Baarìa - Eine italienische Familiengeschichte

Baarìa – Eine italienische Familiengeschichte

(„Baarìa – La porta del vento“ directed by Giuseppe Tornatore, 2009)

Der italienische Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Giuseppe Tornatore ist seit Cinema Paradiso bekannt für seine nostalgischen Arbeiten, die immer eine Hommage an die Kraft und Macht des Kinos als magischer Erlebnisort und Hort der Träume sowie Aspekte aus der Geschichte Siziliens darstellen. Durch Filme wie Der Zauber von Malèna ist er längst auch hierzulande und international erfolgreich. In seiner epischen Familiensage Baarìa – eine italienische Familiengeschichte kehrt er wieder zu seinen filmischen Wurzlen und Standards zurück, nachdem er sich 2006 mit dem Die Unbekannte weitestmöglich von der Nostalgie eines Cinema Paradiso entfernt hatte. Baarìa, was übrigens der sizilianische Name der Gemeinde Bagheria ist, ist sein bisher wohl persönlichster Film in dem er die Entwicklung seines Geburts- und Heimatortes, beginnend bei Mussolinis Diktatur bis ca. 1980, in Szene setzt.

Peppino Torrenuova (als Kind gespielt von Giovanni Gambino, dann von Davide Viviani und schließlich als Erwachsener von Francesco Scianni) wächst im Krieg auf, erlebt den Untergang des Faschismus, den Einmarsch der US-Boys und den Aufstieg der Cosa Nostra. Genauso wie sein Vater wird Peppino später Parteimitglied des Partito Communista Italiano. Er geht eigentlich nie wirklich einer regulären Arbeit nach und führt einen scheinbar hoffnungslosen Kampf für mehr Gerechtigkeit. Neben den politischen Themen steht aber, wie der Titel schon verrät, eine Familiengeschichte im Vordergund. Früh lernt er seine spätere Frau Mannina (Margareth Madè) kennen, mit der er viele Kinder in die Welt setzt.

Candide: Es gefällt außerordentlich gut, wie Tornatore uns in den ca. 150 Minuten Laufzeit mehr als Fünfzig Jahre sizilianische Geschichte vor Augen hält, in denen auf den ersten Blick allerlei geschieht, aber am Ende doch alles beim Alten bleibt. Wenn sich was ändert, dann sind es die warmen und malerischen Bilder, die wunderschönen Stadtfassaden, die spielenden Kinder, pralle Olivenbäume und in der Stadt herumtreibendes Vieh, das am Ende lärmenden und stinkenden Autos weichen müssen, ein Bild das schmerzt und zugleich den Zerfall einer Kultur stringent auf den Punkt bringt.

Ijon Tichy: Es ist einfach zuviel, was der italienische Filmemacher da in einen Film packt. Die Story wird in Windeseile vorangertrieben ohne zu verharren, so dass sich ein Spektakel an dem nächsten reiht. Für Charakterstudien bleibt da leider keine Zeit mehr übrig. Die oft gelobte Nostalgie Tornatores wirkt anachronistisch, erst recht wenn er die Gegenwart, also die Wirklichkeit, als Monstrum zeichnet und die Vergangenheit – denn früher war alles besser – in den Himmel lobt.

Candide: Der Regisseur versteht es wie kein anderer das süditalienische Flair mit der Kamera einzufangen und es in wunderschönen Montagen wiederzugeben. Aufgrund der riesigen Zeitspanne, die hier Tornatore abdecken möchte, passiert es nicht wenig oft, dass der Film für auf den Zuschauer zerstückelt und überhastet wirkt. Wenn er zum Beipiel bei Malèna noch bereit war, eine konkrete Geschichte zu erzählen, so verzichtet er diesmal darauf und möchte lieber seine ganz persönlichen Erinnerungen auf Zelluloid bannen. Übrigens tummelt sich auch hier Monica Bellucci unter den Dorfbewohnern, auch wenn es diesmal nur für einen Gastauftritt reichte.

Ijon Tichy: Die Kamera ist das einzige Argument, den Film anzuschauen. Wie ein Raubvogel stürzt sich die agile Krankamera vom Himmel in das Geschehen hinab oder gleitet grazil vom staubigen Boden in denselben hinauf. Ansonsten bleibt leider nur die Nabelschau des Regisseurs, der sich mit der Gegenwart nicht anfreunden kann und permantent in die ach so glorreiche Vergangenheit entflieht. Diesen Eskapismus würde man ihm vielleicht gönnen, aber die virulent wirre Erzählweise verhindert es dann doch, den Film genießen zu können.

Candide: Wenn nun kritische Stimmen dem Film vorwerfen, er wäre zusammenhanglos beziehungsweise zu konfus, so muss ich diesen vehement widersprechen. Für mich hat auch diese Erzählweise seinen Reiz, zumal seine Szenen immer authentisch wirken und die meist unbekannten Schauspieler mit ihren typischen Gesten und dem Dialekt (gemeint ist natürllich der sizilianische O-Ton) mehr als echt wirken.

Ijon Tichy: Lässt man sich auf die nostalgische Darbietung dann doch noch ein, wird man mit klischeehaft überzeichneten Figuren, die meist Karikaturen sind, und einer übertrieben farbprächtigen Ästhetik konfrontiert, die niemals die Realität widerspiegelt, sondern bloß romantisch verklärte Traumbilder erzeugt. Am allerschlimmsten ist aber die seicht-sentimentale Filmmusik von Ennio Morricone, der mit seinem schwülstigen Dauerbeschuss von oberflächlich herzerweichenden Weichspülstreichern den endgültigen Rest gibt.

Candide: Auch diesmal darf man sich übrigens an einen wunderbaren Soundtrack von Großmeister Ennio Morricone erfreuen, dessen Herzstück ein Eigenzitat auf sein Rabbia e Tarantella ist, das ja erst vor Kurzem auch Quentin Tarantino in seinem Inglourious Basterds wiederentdeckt hatte.

Ijon Tichy: Die Schönfärberei der Vergangenheit und die persönliche Nabelschau können einfach nicht überzeugen. Die interessanten Aspekte werden nur angekratzt und die Charaktere nicht eingehend beleuchtet. Interessant ist jedoch, dass es sich bei der epischen Familiensaga streng genommen um einen Fantasy- beziehungsweise Science Fiction-Film handelt. Ohne Spoiler kann der Grund hier aber nur angedeutet werden: Tornatore deutet abgesehen von seiner Überzeugung der Wahrhaftigkeit von Magie, Mystik und Phantasie auch auf seine Überzeugung von einem Bestehen parallel existierenden Universen hin. Außerdem ähnelt eine Grundanlage des erzählerischen Gerüsts von Tornatores Film auf H. G. Wells Der Traum, worin ein Utopier im Jahr 4000 von einer längst überholten Vergangenheit träumt.

Die Qualität von Bild, Sound und Musik lassen auf der DVD nichts zu wünschen übrig. Die Bilder sind gestochen scharf und bringen das Licht und die Farben leuchtend zur Geltung. Der Sound erzeugt eine räumliche Wirkung und auch die Musik schallt in vollen Zügen aus den Lautsprechern. Die entfallenen Szenen aus dem Bonusmaterial sind genauso ganz nett anzuschauen wie das Making Of. In zuletzt Genanntem werden beispielsweise sämtliche bekannten und berühmten Schauspieler aufgedeckt, die sich in einer und anderen Nebenrolle oder Gastauftritt verborgen haben.



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