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The Woman Who Poked The Leopard

Inhalt / Kritik

Selten trifft man solch eine bewegte Lebensgeschichte vor wie die von Stella Nyanzi, einer 1974 im Süden Ugandas geborenen Feministin, Aktivistin, Menschenrechtlerin, Anthropologin und Poetin. Ihr ganzes Leben stellt sie in den Dienst des Widerstandes gegen das Patriarchat, gegen Korruption, gegen Unterdrückung. Regisseurin Patience Nitumwesiga porträtiert in ihrem Langfilm-Debut eine enorm starke, resiliente Persönlichkeit, die sich mit den höchsten Tieren ihres Heimatlandes anlegt, um die Verbesserung der Lebensrealität von Millionen durchzusetzen; obwohl Stella Nyanzi 2017 inhaftiert wird, 2022 ins Exil nach München flüchten muss, gleichzeitig eine Familie zu ernähren hat, verliert sie niemals ihre Bissigkeit, die in aller Detailliertheit in dieser Dokumentation dargestellt wird.

Eindrucksvoll, stark, verletzlich, menschlich

Stella Nyanzi ist das, wovor sich egozentrische, schwache Männer fürchten: eine laute, ihrer Stärke bewusste, emanzipierte Frau. Während der 81-jährige, autokratische Präsident des ostafrikanischen Landes, Yoweri Museveni, seit 1986 bis heute ungeniert regiert, lehnt sie sich quasi allein gegen ihn auf, beleidigt ihn und seine Frau Janet Museveni in einem vulgären Gedicht, ausgehend von einem Streit um Hygieneartikel für Mädchen, und landet dafür im Knast; wird dort gefoltert, erleidet eine Fehlgeburt, erfährt Gewalt, die sich längerfristig auf ihrem Körper abzeichnet.

In keiner Sekunde macht sie sich einer performativen Selbstdarstellung schuldig – ihre Wut ist berechtigt, begründet in der mangelnden Wertschätzung weiblichen und queeren Lebens in Uganda, in der immer noch praktizierten Genitalverstümmelung, in der ungenügenden Versorgung der Frauen seitens des Staates. Allein in ihrer gebildeten, selbstbewussten Existenz stört sie den Status Quo, in ihrer faktenbasierten, ungeschönten Wortwahl gibt sie ihm den faktischen Todesstoß.

Ihre eindringlichen, slam-poetry-artigen Gedichte werden in The Woman Who Poked The Leopard über Szenen der Polizeigewalt, der staatlichen Willkür, der immer wieder niedergeschlagenen Proteste gelegt, und könnten so passender nicht sein: Ohne viele sprachliche Schnörkel, dabei gleichzeitig ihrer Intelligenz bewusst, spricht Stella Nyanzi das Unaussprechliche (Unterstützung für Frauen und für Menschen aus der LGBTQ+-Community) aus, und wird dafür immer wieder mit Repressionen belegt.

Eine Art auferlegte Primitivität, Unsittlichkeit verbittet sich allein schon durch ihren Bildungsgrad: Sie erlangte einen Bachelor of Arts in Journalismus, Kommunikationswissenschaft und Literatur, einen Master of Science in medizinischer Anthropologie. Stella Nyanzi weiß, wovon sie spricht, und gerade das macht sie für die herrschende Klasse zu solch einer gefährlichen Kraft; auch, weil sie bereits früh Social Media für ihre Message nutzt, und so umso mehr Menschen zum Protest mobilisiert.

„Ich habe meine Vagina und meine Brüste.“

Worüber Nyanzi jedoch keine Macht verfügt, wo sie sich nicht mithilfe ihrer schier nie endenden Energie durchsetzen kann, ist ihre eigene Familie, sind ihre Kinder – eine ältere Tochter sowie männliche Zwillinge, die durch den politischen Aktivismus der Mutter ebenfalls in Gefahr gebracht werden und sich zeitweise von ihr entfremden. Doch auch wenn sie im Gefängnis sitzt, bringt sie die Liebe zu ihren Nachkommen stets in den Vordergrund. Die Hoffnung, der Glaube, allein die Existenz ihrer Kinder ist ihr größter Motor, wie sie in Briefen aus dem Gefängnis heraus beweist. Ihr gewähltes Protestmedium, die „radikale Unhöflichkeit“, ist laut ihr in der ugandischen Tradition tief verwurzelt, und diese „radikale Unhöflichkeit“ wird oftmals zum agitierenden Merkmal von The Woman Who Poked The Leopard:

Vor ihrer Verhaftung, während der Gerichtsverhandlung, zeigt eine sichtlich wütende Stella Nyanzi vor dem versammelten Gerichtssaal zuerst die Mittelfinger, dann ihre Brüste, was von einem halb schockierten, halb tosenden Publikum quittiert wird. Hier wird deutlich: Nyanzi vertraut auf ihren Körper, auf ihr Dasein, auf ihre Weiblichkeit, denn laut eigener Aussage habe sie keine Waffe, generell nichts, um sich zu verteidigen, außer eben ihre Vagina und ihre Brüste.

Damit reduziert weder sie sich noch diese Dokumentation sie auf ihren bloßen Körper, sondern zeigt eklatant ein immerwährendes Tabuthema innerhalb der ugandischen Gesellschaft, der ugandischen Politik auf, die immer noch vom „starken Mann“ und der „bescheidenen Frau“ bestimmt wird. Und es ist gut, dass dieser Film eben jene Momente für sich scheinen lässt, ohne sie zusätzlich, unnötigerweise einzuordnen oder zu kommentieren: Stella Nyanzi ist der Star ihrer eigenen Bühne, würde jeglichen typisch-dokumentarischen Ansatz überstrahlen – deswegen versucht Patience Nitumwesiga es erst gar nicht, sondern hält einfach nur die Kamera drauf oder schneidet bereits geschehene Gegebenheiten, maximal untermalt mit teilweise etwas zu lauter/dramatisierender Musik, hinein.

Diese Szenen wiederholen sich in ihrer Struktur manchmal, doch The Woman Who Poked The Leopard hält selbst in vor sich hintröpfelnden Momenten die Zuschauenden bei Stange, durch das Charisma von Nyanzi und vor allem die immer wieder eingestreuten verletzlichen, menschlichen Momente, die sich in der bereits angesprochenen Liebe zu ihren Kindern zeigen oder durch das Exil in Deutschland, in dem diese enigmatische Persönlichkeit jedoch trotzdem nicht aufhört, sich für ihre Landsleute einzusetzen.

Credits

OT: „The Woman Who Poked The Leopard“
Land: Uganda, Südafrika, Deutschland, USA
Jahr: 2025
Regie: Patience Nitumwesiga
Drehbuch: Patience Nitumwesiga
Musik: Sylvia Babirye
Kamera: Rachael Mambo, Phil Wilmot
Mitwirkende: Stella Nyanzi, Baraka Bah, Kato Bah, Wasswa Bah

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The Woman Who Poked The Leopard
fazit
„The Woman Who Poked The Leopard“ lebt von der Frau, die den allmächtig wirkenden Präsidenten Ugandas herausforderte: Dr. Stella Nyanzi. Sie hat alles getan, um den herrschenden Zustand in ihrer Heimat herauszufordern, und doch scheint die Politik sowie die mehrheitliche Gesellschaft nicht bereit für das zu sein, was sie predigt: „Women‘s lives matter“, Akzeptanz für LGBTQ+-Rechte, bedingungslose Liebe, Menschlichkeit. Patience Nitumwesigas Dokumentation begleitet nicht nur ihre Hauptperson, sie wird von ihr gestaltet. Und Stella Nyanzi führt ihr Wirken weiterhin fort – sowohl in Poesie als auch in Vulgarität.
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