The Black Hole Must auk
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The Black Hole

The Black Hole Must auk
„The Black Hole“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt / Kritik

Achtung: Dieser Film ist nichts für Menschen mit Phobien vor Aliens, Spinnen und Österreichern in Lederhosen (wobei letzteres noch die wohl grausamste darstellt). Und das Skurrilste ist: All diese Lebensformen finden im Orbit eines brutalistischen Wohnblocks in Estland zusammen, dargelegt in einem dramatischen, absurden, bodenständig-abgehobenen Triptychon. Regisseurin Moonika Siimets erzählt so in drei Episoden die Geschichten der besten Freundinnen Sirje (Anne Reemann) und Maret (Eva Koldits), die (fast) alles tun würden, um ihrem dahinsiechenden Alltag zu entfliehen, von Mariliis (Doris Tislar), die in einer missbräuchlichen Beziehung feststeckt und in dem Zuge Uma (Rea Lest) näherkommt, und von Jüri (Ursel Tilk), der inmitten einer unerwiderten Liebschaft besagtem mysteriösem Trachten-Ösi über den Weg läuft.

Oh, wie schön ist Andromeda

Ein für postsowjetische Staaten typischer Plattenbau-Komplex wird in The Black Hole Schauplatz für allerlei Aberwitziges. Aus einem Fliederbusch entspringt ein Schwarzes Loch, ein Portal zu anderen Dimensionen, das von den gelangweilten und perspektivlosen Ortsansässigen mit Kusshand als Startschuss für neue Abenteuer genommen wird – endlich passiert mal etwas! Und was so alles passiert: Sirje und Maret sind single and ready to mingle (zudem arbeitslos), sind allerdings extrem enttäuscht von der Männerwelt, was sich aufgrund eines Perverslings, der sie ohne Hose zu einem versprochenen Job fährt, erst recht manifestiert. Heil bringt erst ein schleimiges, außerirdisches Wesen mit tentakelartigen Fingern. Der sabbernde, hochintelligente Herr stellt sich als Kri-In-Poulsen aus der Andromeda-Galaxie vor und lockt die beiden Damen mit einem Versprechen von Tausenden von Euros. Die Bedingung: Sie müssen schmerzfreie Tests über sich ergehen lassen; für die Wissenschaft.

Während dieser wirklich schmerzfreien Versuche, bei denen ihnen zeitweise ihr Herz entnommen wird oder ihre Gliedmaßen abgetrennt werden, merken Sirje und Maret, dass sie äußerste Lust darauf haben, nicht mehr in ihrem schnöden Block in Estland zu verweilen, sondern zusammen mit Kri-In-Poulsen nach Andromeda zu reisen, da alles dort um einiges fortschrittlicher wirkt. Endgültig um sie geschehen ist es, als er sie mit seinen Glubschfingern massiert – kein Vergleich zu menschlichen Chiropraktiker*innen. Allein diese Geschichte zeigt etliche urkomische Nuancen des Lebens auf, Sorgen sowie Witz, Probleme und mögliche Lösungen, und dass man vielleicht doch nicht unbedingt aus seinem gewohnten Umfeld fliehen muss, wenn die Kraft der Freundschaft einen doch am Irdischen festhalten lässt. Und eventuell auch eine Abfuhr des nun ungehobelten Grobians Kri-In-Poulsen.

Witz und Grausamkeit

Etwas bedrückender sieht es bei Mariliis aus, die von ihrem halbstarken Macker häusliche Gewalt sowie Gaslighting erfährt und nach einem Heulkrampf in der Umkleide eines Fitnessstudios von Uma mit nach Hause mitgenommen wird. Dabei merkt sie: Mit einer Frau kann es viel schöner sein… doch ein ungebetener, gefräßiger Gast in Form einer massiven Spinne treibt langsam einen Keil zwischen die Beiden. Moonika Siimets versteht es, zutiefst menschliche Verhaltensweisen und Gedanken mit einem surrealen, entrückten Setting zu verbinden, mal herzerwärmend, mal niederschmetternd zu sein, mal lacht man vor Weinen, mal weint man vor Lachen. Leider beschränkt sich diese Vielfalt an Emotionen knapp ausschließlich auf die erste Hälfte des Filmes, denn dann werden die von den Kurzgeschichten von Andrus Kivirähk und Armin Kõomägi inspirierten Erzählungen etwas dröge.

Die Kurve geht in den anfänglichen 60 Minuten steil nach oben, bietet sympathische Charaktere und Spezialeffekte, die an wohlig-obskure Filme der 1980er oder frühen 90er wie Naked Lunch erinnern. Jedoch wird es irgendwann zu verworren, es passieren grausame Dinge, die mit der Brechstange einen kompletten Mood Change einleiten, und ein jodelnd durch die Straßen hüpfender Hawara ist zwar amüsant mitanzusehen, hat im Vergleich zum philosophierenden Octodaddy Kri-In-Poulsen kaum Impact. Erst zum Ende hin fängt sich der Film in seiner Kohärenz und in seinen klugen, satirischen Beobachtungen des humanen Daseins wieder und zeigt, dass beispielsweise ehrliches, hausgekochtes Essen für galaxieübergreifende Begeisterung sorgen kann. Doch die ca. 50 Minuten davor verschwinden in einem Strom aus Fragezeichen und Leere. Allein für die Lehren und die Charakterstudien, für die Kreativität und Experimentierfreudigkeit, kann The Black Hole durchaus als moderne Perle des estnischen Kinos bezeichnet werden.

Credits

OT: „Must auk“
Land: Estland
Jahr: 2024
Regie: Moonika Siimets
Drehbuch: Moonika Siimets
Musik: Ann Reimann
Kamera: Ivar Taim
Besetzung: Ursel Tilk, Liina Tennosaar, Rea Lest, Doris Tislar, Anne Reemann, Eva Koldits

Bilder

Trailer

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The Black Hole
fazit
Obwohl „The Black Hole“ nicht über die gesamte Laufzeit ausgereift ist, sprüht das Sci-Fi-Comedy-Drama der Regisseurin Moonika Siimets vor humanistischen, feministischen, absurdistischen Ideen. Mit viel Liebe zum Detail und einem Old-School-Ansatz, was Spezialeffekte und Kostüme angeht, gehören die aus dem Leben gegriffenen, auf surreal-satirische Weise überhöhten Einzelschicksale der Bewohnenden eines gewaltigen Plattenbaus, der auf einmal mit kosmischen Parallelwelten verbunden wird, zu den kreativsten filmischen Storys des Festivaljahres.
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