Muddi – Zwölf Annäherungen an das Altern
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Muddi – Zwölf Annäherungen an das Altern

Inhalt / Kritik

Sobo Swobodnik, der sich in seinen bisherigen Arbeiten – wie Die Einsamkeit der Großstädter*innen und Geschlechterkampf – Das Ende des Patriarchats – als Beobachter gesellschaftlicher Spannungsverhältnisse erwiesen hat, wendet sich in Muddi – Zwölf Annäherungen an das Altern einer intimeren, zugleich jedoch hochpolitischen Konstellation zu: dem Altern seiner Mutter Erika Maria Swobodnik. Die 90-Jährige lebt, dement und zunehmend verstummt, allein mit einer polnischen Pflegerin in ihrem Haus auf der schwäbischen Hochalb; ihre Söhne wohnen weit entfernt. Dass der Filmemacher aus dieser Distanz heraus einen Film über ihre Gegenwart und ihr gelebtes Leben wagt, verweist bereits auf die Grundspannung des Projekts – die Nähe (oder Entfernung) zum Objekt und die Kühle der Beobachtung.

Dokumentarisches Essay

Der Film gliedert sich in zwölf Abschnitte, die wie einzelne Gedanken oder Überlegungen wirken – jeder Abschnitt stellt eine eigene Perspektive oder eine neue Idee vor. Swobodnik erzählt aus dem Off, präzise formuliert, oft mit literarischer Strenge. Er zitiert Didier Eribon, Simone de Beauvoir oder Jean-Paul Sartre. Diese Stimmen regen zum Nachdenken an: Sie helfen, die Frage zu beleuchten, was Altern für den Einzelnen und für die Gesellschaft bedeutet. Währenddessen sieht man die Mutter beim Essen, beim Frisiertwerden, beim stillen Verharren. Dem gespro­chenen Text ist das visuelle Material untergeordnet; die Bilder wirken wie tastende Kommentare zu einem Denkprozess, der ebenso gut als gedruckter Essay bestehen könnte.

Diese Form hat Konsequenzen. Die starke intellektuelle Rahmung schafft eine analytische Distanz, die der emotionalen Wucht des Themas mitunter entgegensteht. Margarita Breitkreiz tritt – wie bereits in Swobodniks autobiografischem Film Klassenkampf – als Verkörperung des erzählenden Ichs auf. Dass zwischen Mutter und Sohn immer ein schwieriges, ja entfremdetes Verhältnis bestand, bildet den tiefsten Unterstrom des Films, doch gerade diese persönliche Spannung scheint sich in der formalen Strenge zu spiegeln: Die Mutter wird zur Figur im theoretischen Gefüge, weniger zur Person mit unverwechselbarem Eigenleben.

Soziale Diagnose

Indem Swobodnik die Biografie seiner Mutter in größere historische und gesellschaftliche Zusammenhänge einbettet, öffnet er das Private hin zur sozialen Diagnose. Der Film zeigt deutlich, wie prekär die Stellung alter Menschen in modernen Gesellschaften ist – und verweist zugleich darauf, dass Geringschätzung und Ausgrenzung der Alten keineswegs ein neues Phänomen sind. Doch gerade dort, wo der Regisseur die Marginalisierung der Hochbetagten und ihre Entindividualisierung untermauern möchte, droht der Blick auf seine Mutter paradoxerweise erneut zu verallgemeinern: Die konkrete Person Erika wird zur Symbolträgerin eines Problems, das der Film eigentlich kritisieren will.

Im letzten Drittel schlägt Muddi – Zwölf Annäherungen an das Altern wieder einen persönlicheren Ton an. Der Sohn versucht, die Gedanken seiner Mutter zu imaginieren – notwendigerweise eine Projektion, da sie selbst längst schweigt. In diesen Passagen zeigt sich, dass der Film letztlich weniger ein Porträt der Mutter ist als ein Selbstporträt des Sohnes: ein Nachdenken über Herkunft, Fremdheit, über die Angst vor dem eigenen Altern. Dass der Film diese Paradoxie nicht auflöst, macht ihn ambivalent – und vielleicht gerade dadurch interessant. Doch bleibt eine Frage, die wie ein Echo im Raum steht: Darf man die eigene Mutter, verletzlich und entblößt, so ungeschützt dem Blick der Öffentlichkeit preisgeben?

Credits

OT: „Muddi – Zwölf Annäherungen an das Altern“
Land: Deutschland
Jahr: 2025
Regie: Sobo Swobodnik
Buch: Sobo Swobodnik
Musik: Vasilis Dokakis, Coti K.
Kamera: E Sobo Swobodnik
Mitwirkende: Erika Maria Swobodnik, Margarita Breitkreiz, Zofia Gierko

Bilder

Trailer

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Muddi – Zwölf Annäherungen an das Altern
fazit
"Muddi – Zwölf Annäherungen an das Altern” ist ein formal ambitioniertes, aber emotional distanziertes Alters-Essay, das die porträtierte Mutter bisweilen zur Projektionsfläche macht. Swobodniks kluger Blick gerät oft zu theoretisch, sodass die persönliche Ebene verblasst.
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