Inspiriert von Hans Christian Andersens Märchen Die Schneekönigin über einen verzauberten Jungen und ein Mädchen, das diesen rettet, erzählt Herz aus Eis (Kinostart: 18. Dezember 2025) von der Jugendlichen Jeanne (Clara Pacini). Diese lebt eigentlich in einem Waisenhaus in den Bergen, wo sie behütet aufwächst. Nur ist ihr das zu langweilig, es zieht sie in die Stadt, wo sie endlich wirklich etwas erleben möchte. Dieser Wunsch geht in Erfüllung, als sie zufällig auf einem Filmset landet, wo eben diesen Märchen verfilmt wird. Dabei hat es Jeanne vor allem die Schauspielerin Christina (Marion Cotillard) angetan, die darin die Königin spielt und von der sie sofort fasziniert ist. Und tatsächlich kommen sich die beiden mit der Zeit näher. Wir haben uns im Rahmen der Französischen Filmwoche mit Regisseurin und Co-Autorin Lucile Hadžihalilović unterhalten. Im Interview spricht sie über die Faszination des Kinos, Filme als Wechselspiel aus Eskapismus und Spiegelung und ihre eigenen Erfahrungen während dieser Entdeckungsreise.
Könnten Sie uns etwas über die Entstehungsgeschichte von Herz aus Eis verraten? Wie kam es zu dem Film?
Ich wollte schon immer einmal eine Geschichte von Hans Christian Andersen verfilmen. Er hatte so viele großartige Ideen, die gleichzeitig sehr poetisch waren und tiefe Einblicke in die menschliche Natur gegeben haben, ohne dabei zu moralisierend zu werden. Die Schneekönigin ist nicht die düsterste Geschichte, die er geschrieben hat. Mein Film ist vermutlich düsterer als seine Fassung. Mich hat vor allem die Figur der Schneekönigin interessiert und was sie repräsentieren würde. Am Anfang war mir selbst nicht klar, warum eine Teenagerin so von ihr fasziniert sein sollte. Und dann ist da noch der Aspekt des Films. Die Geschichte hat einen Prolog, wie der Teufel einen Spiegel baut, der die Welt verzerrt wiedergibt. Dann zerbricht dieser Spiegel und die Splitter landen in den Menschen, im Auge oder im Herzen, wodurch sie die Welt selbst nur noch verzerrt sehen. Für mich ist das ein schönes Bild dafür, was Filme sind. Auf diese Weise habe ich zwei Ebenen in meinen eigenen Film eingebaut: der Film im Film, der eher Fantasy ist, und die Geschichte um Clara, die realistischer ist.
Im Märchen gibt es eigentlich einen Jungen, den das Mädchen retten will. Warum haben Sie ihn aus der Geschichte geschrieben? Dadurch fehlt das Motiv der Rettung.
Eine Zeit lang hatte ich den Jungen immer noch drin. Aber mir wurde klar, dass der interessanteste Punkt für mich die Begegnung des Mädchens und der Schneekönigin ist. Die Faszination des Jungen gegenüber der Schneekönigin und die Neugierde konnten aber ebenso in dem Mädchen sein. Und deswegen habe ich die beiden Figuren zusammengeführt. Im Märchen unternimmt das Mädchen eine lange Reise und erlebt währenddessen die unterschiedlichsten Geschichten. Für mich war das viel zu lang, weswegen ich das abgekürzt habe. Bei mir kommt es gleich zur Begegnung. Sie ist sowohl die entführte Person wie auch diejenige, die sie rettet. Sie hat sich also mehr oder weniger selbst gerettet.
Eine weitere Änderung ist der zeitliche Rahmen. Bei Ihnen spielt die Geschichte in den 1970ern. Was steckt dahinter?
Mein Co-Autor Geoff Cox und ich fanden, dass die Geschichte besser in einer Zeit funktioniert, als die Schauspieler und Schauspielerinnen noch mysteriöser waren. Heute wissen wir alles über sie – oder glauben das zumindest. Das Geheimnisvolle fehlt. Für uns war das aber wichtig, wenn wir diese große Faszination glaubhaft machen wollten. Außerdem war ich selbst in den 1970ern Teenagerin. Deswegen war es für mich irgendwie naheliegend, die Geschichte in dieser Zeit spielen zu lassen.
Das Thema selbst ist aber aktuell. Wir leben in einer Zeit, in der wir oft nicht mehr wissen, ob Bilder real sind oder gefälscht. Wir sind umgeben von Geschichten, die alle erfunden sein könnten.
Das stimmt. Ich denke, dass das Thema bei vielen heute Anklang findet. Als ich mit dem Schreiben des Drehbuchs angefangen habe, habe ich nicht darüber nachgedacht, wie relevant das für ein heutiges Publikum ist, wenn es um die Frage geht, was real ist und was nicht. Wobei ich denke, dass es ganz normal ist, wenn junge Menschen sich in einer Geschichte verlieren. Das war auch früher schon so.
Geschichten erlauben uns auch, die Realität und unsere Welt für eine Weile hinter uns zu lassen und etwas anderes zu sehen. Wann wird ein solcher Eskapismus gefährlich?
Das ist eine gute Frage, die ich auf Anhieb aber nicht beantworten kann. Unsere Protagonistin musste ihr langweiliges Leben hinter sich lassen. Sie ist eine Teenagerin, die sich danach sehnt, die Welt der Erwachsenen kennenzulernen. Die Begegnung mit der Schneekönigin bedeutet für sie aber auch, dass sie sich mit sich selbst auseinandersetzen muss. Es geht also nicht nur um die Illusionen des Kinos. Aber es stimmt natürlich, dass du irgendwann gefangen sein kannst in den Träumen anderer – aber auch in deinen eigenen. Jeanne ist noch jung und hat deshalb ihre Schwierigkeiten zu unterscheiden, was real ist und was nicht. Aber es ist auch eine kathartische Erfahrung für sie.
Dein Film ist beides auf einmal. Er nimmt uns sowohl mit in eine Fantasiewelt und ist zugleich ein Spiegel unserer Welt.
Das stimmt. Die Fantasiewelt ist eine Möglichkeit, unserer Welt zu entkommen. Die Erfahrungen, die Jeanne während dieser Reise macht, nimmt sie aber mit in ihre eigene Welt. Es sind Erfahrungen, die intensiver sind als die, die sie in ihrem normalen Leben macht, und sind doch fest mit ihr verbunden. Deswegen ist diese Fantasiewelt ein Spiegel, durch den sie viele Male hindurchgeht.
Kommen wir zu Christina. Würden Sie sie als Antagonistin beschreiben?
Auf jeden Fall. Selbst wenn du Jeanne als die jüngere Version von ihr ansiehst, ist Christina die Antagonistin. Sie treibt die Protagonistin an und zwingt sie zu dieser Reise. Auch wenn Christina sie verführt, ist sie die Antagonistin, selbst wenn sich Jeanne dessen gar nicht bewusst ist. Deswegen muss Jeanne gegen sie kämpfen, was sie am Ende auch tut, um sich selbst zu befreien. Wenn wir jung sind, ist das Gefährliche und das Unbekannte anziehend. Bei Christina ist es die Intensität, die so anziehend ist. Aber Jeanne ist sich nicht dieser dunklen Seite bewusst, bis sie beide am Abgrund der Klippe stehen. Der Zauber verfliegt und die Dunkelheit ist sichtbar. Aber Jeanne muss diese Dunkelheit eben erst erkennen, um gegen sie kämpfen zu können.
Jeanne ist nicht die Einzige, die unter Christina zu leiden hat. Sie führt sich teilweise wie eine Tyrannin auf. Wurde sie zur Tyrannin, weil sie ein Star ist, oder konnte sie erst zum Star werden, eben weil sie eine Tyrannin ist?
Christina suchte nach einer Art Perfektion, vielleicht auch als eine Art Schutz. Ich denke, dass ihr Wahn daraus entstanden ist. Die Suche nach Perfektion kann toxisch sein, geradezu tödlich. Auf diese Weise ist sie selbst zu einer Gefangenen geworden und hat dann angefangen, sich so zu verhalten.
Wir haben darüber gesprochen, was Jeanne durch diese Erfahrungen gelernt hat. Wie sieht es mit dem Publikum aus? Denken Sie, dass Filme etwas über die Welt lehren können?
Was ich mit meinen Filmen versuche, ist, dass das Publikum etwas über sich selbst lernt, wenn es sich auf diese emotionale Reise einlässt. Der Film soll keine geistige Erfahrung sein. Es geht nicht darum, etwas zu wissen, sondern etwas zu fühlen. Über die Welt selbst will ich gar nicht so viel aussagen. Diesen Anspruch habe ich nicht. Ich will nichts analysieren oder erklären.
Und haben Sie selbst etwas gelernt durch die Arbeit an dem Film?
Ja! Ich habe gelernt, was die Schneekönigin für mich bedeutet, auch weil ich mich selbst in Jeanne sehe. Natürlich habe ich keine vergleichbare Erfahrung gemacht. Und doch habe ich gemerkt, dass ich im Grunde über mich selbst spreche, wenn Jeanne sich verzaubern lässt, auch wenn mir das zunächst gar nicht bewusst war. Diese Faszination für andere, für Bilder, für Filme, das war bei mir genauso. Und es ist gut möglich, dass ich so wie Jeanne reagiert hätte, wenn ich in ihrer Situation gewesen wäre.
Das heißt, für Sie war der Film ebenfalls eine Reise?
Genau. Und diese Reise war erst vorbei, als ich den Film anderen zeigte und die Reaktionen des Publikums sah. Erst dann wurde mir wirklich bewusst, was ich da eigentlich gemacht habe.
Kommen wir noch zur Besetzung. Wonach hatten Sie gesucht bei den beiden Protagonistinnen?
Für Christina brauchte ich jemanden, dem man wirklich abnimmt, dass er ein Star ist. In Frankreich gibt es nicht so viele Schauspielerinnen, die dafür in Frage kamen. Für mich war Marion Cotillard da einfach die beste Wahl. Sie kann eiskalt sein und sogar furchteinflößend, auch wenn sie das in Filmen nur selten zeigt. Wir brauchten auch jemand, der in diesem 70er-Jahre-Rahmen funktioniert. Marion hat etwas Zeitloses an sich, als wäre sie aus der Zeit der Stummfilme, obwohl ihr Schauspiel ganz modern ist. Wir hatten auch schon mal zusammengearbeitet. Deswegen war es klar für mich, dass sie es ist. Clara Pacini habe ich durch den Castingprozess kennengelernt. Durch sie ist mir auch erst bewusst geworden, dass Jeanne auch eine starke Persönlichkeit sein kann. Ich hatte eher an einen zerbrechlichen Menschen gedacht. Aber Jeanne ist nicht einfach nur ein Opfer. Sie hat einen starken Willen und kann auch besessen und forsch sein. Als Christina wäre ich vielleicht sogar etwas eingeschüchtert gewesen.
Vielen Dank für das Interview!
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