Der Kinoerzaehler
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Der Kinoerzähler

Der Kinoerzaehler
„Der Kinoerzähler“ // Deutschland-Start: 25. November 1993 (Kino) // 21. März 2024 (DVD) // 18. Dezember 2025 (Kino Wiederaufführung)

Inhalt / Kritik

Es ist das Ende einer Ära in zweifacher Hinsicht: Während die Weimarer Republik in ihren letzten Zügen liegt, verdrängt der unaufhaltsame Siegeszug des Tonfilms das stumme Kino. Für den Kinoerzähler des Apollo-Kinos (Armin Mueller-Stahl) bedeutet dieser technologische Wandel den beruflichen Ruin. Jahrelang verlieh er den stummen Bildern mit seiner Geige und seinen Erklärungen Leben, doch nun machen sprechende Schauspieler und Lautsprecher seine Kunst obsolet. Der Kinobetreiber Theilhaber (Martin Benrath) entlässt ihn, was den Erzähler nicht nur in die Arbeitslosigkeit, sondern in eine tiefe existentielle Krise stürzt; der Verlust der Leidenschaft wiegt schwerer als der des Broterwerbs. Seine Ehefrau Marie (Tina Engel) wirft ihm das Festhalten an einer brotlos gewordenen Kunst vor, während das häusliche Glück längst Risse bekommen hat: Der Erzähler betrügt sie mit der verwitweten Frau Fritsche (Eva Mattes), gesteht seinem Enkel Paul (Andrej Jautze) jedoch, dass seine wahre Liebe allein dem Stummfilmstar Asta Nielsen gilt. Alle Versuche, das Unausweichliche abzuwenden – sei es durch Bittgänge bei den Babelsberger Studiobossen oder die Konfrontation mit seinem ehemaligen Chef –, scheitern. Vor dem Hintergrund massiver gesellschaftlicher Umbrüche vollzieht sich sein unaufhaltsamer Abstieg.

Monolith der deutschen Kultur

Armin Mueller-Stahl ist ein Monolith in der deutschen Kulturlandschaft. Er ist der einzige Schauspieler, der das seltene Kunststück vollbrachte, in drei völlig unterschiedlichen Systemen zu triumphieren: in der DDR, in der Bundesrepublik und schließlich in Hollywood. Anlässlich seines 95. Geburtstages erfährt nun Der Kinoerzähler eine Wiederaufführung in den Lichtspielhäusern. Es ist eine interessante Wahl, denn dem Werk war bei seiner Erstveröffentlichung im Jahr 1993 kein glückliches Schicksal beschieden. Schon damals attestierten Kritiker dem Film eine „beschauliche Inszenierung“ (Filmdienst), eine Einschätzung, die sich über die Jahrzehnte eher verfestigt hat. Das Erzähltempo, das Regisseur Bernhard Sinkel für seine Adaption des Romans von Gert Hofmann anschlug, wirkt für heutige Sehgewohnheiten noch entrückter, noch langsamer als in den frühen neunziger Jahren. Ein jugendliches Publikum wird man damit heute noch weniger erreichen als damals.

Doch es wäre verfehlt, den Film als bloßes Relikt abzutun. Paradoxerweise wirkt Der Kinoerzähler heute, über dreißig Jahre nach seiner Entstehung, aktueller als zum Zeitpunkt seiner Premiere. Dies liegt in der Natur seines Grundkonflikts begründet. Der radikale Wechsel vom Stumm- zum Tonfilm markiert die wohl tiefgreifendste Zäsur der Filmgeschichte – eine Disruption, die sich heute in den Debatten um Künstliche Intelligenz in der Kreativbranche spiegelt. Die Angst vor der Obsoleszenz ist damals wie heute greifbar. Hinzu kommt die politische Ebene: Die gesellschaftliche Instabilität der späten Weimarer Republik, die im Film den Hintergrund bildet, weist beunruhigende Parallelen zur heutigen Fragilität westlicher Demokratien auf. In dieser Hinsicht wirkt die Nachwendezeit, in der der Film entstand, rückblickend fast wie eine Insel der Stabilität.

Wo ist die Magie?

Macht diese thematische Brisanz aus Sinkels Werk nun automatisch einen guten Film? Leider nein, denn das inszenatorische Grundproblem bleibt bestehen. Der Kinoerzähler will eine Hymne auf die Magie des Kinos sein, eine Parabel über die Kunst des Erzählens selbst. Doch genau diese Magie vermag Sinkel kaum zu entfachen. Die Wahl der Perspektive des kleinen Enkels Paul weckt unvermeidlich Erinnerungen an Giuseppe Tornatores Cinema Paradiso. Doch wo es Tornatore gelang, den Zauber der Leinwand fühlbar zu machen, bleibt Sinkels Film merkwürdig distanziert. Er kratzt an der Oberfläche. Zwar gelingt es Mueller-Stahl, allein durch seine Stimme Klassiker wie Orlacs Hände in der Imagination der Zuschauer lebendig werden zu lassen, doch der Ort des Kinos selbst bleibt seltsam farblos – und das nicht nur, weil der Farbfilm die 1930er Jahre noch nicht erobert hat. Die Dialoge wirken streckenweise hölzern, als seien sie direkt aus der Romanvorlage entnommen, die Dramaturgie oft behäbig.

Dass der Film dennoch eine würdige Hommage zum 95. Geburtstag darstellt, ist allein dem Jubilar selbst zu verdanken. Armin Mueller-Stahl gelingt es, selbst den sperrigsten Dialogzeilen Leben einzuhauchen. Mühelos spielt er seine theatererfahrenen Kollegen an die Wand, nicht durch große Gesten, sondern durch radikale Reduktion. Ein Blick, eine nuancierte Neigung des Kopfes genügen; Theatralik setzt er nur dort ein, wo sie der Rolle als Berufskrankheit immanent ist. In der Darstellung eines Mannes, dessen Leben parallel zum Niedergang seines Landes zerbricht, demonstriert er eindrucksvoll, warum er zu den besten Charakterdarstellern gehört, die Deutschland je hervorgebracht hat. Wer bereit ist, über die Schwächen der Regie hinwegzusehen, um einem Meister bei der Arbeit zuzusehen, für den lohnt sich das Kinoticket. Alle anderen mögen gewarnt sein.

Credits

OT: „Der Kinoerzähler“
Land: Deutschland
Jahr: 1993
Regie: Bernhard Sinkel
Buch: Bernhard Sinkel
Vorlage: Gert Hofmann
Musik: Günther Fischer
Kamera: Axel Block
Besetzung: Armin Mueller-Stahl, Martin Benrath, Andrej Jautze, Tina Engel, Udo Samel, Eva Mattes, Katharina Tanner, Sophie Löwe, Otto Sander

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Der Kinoerzähler
fazit
„Der Kinoerzähler“ ist vor allem ein Schaulaufen Armin Mueller-Stahls – sehenswert für seine Präsenz, nicht für den in seiner Inszenierung behäbigen Film insgesamt, obwohl seine Aktualität überrascht.
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