© Boris Torres

Ira Sachs [Interview]

Ira Sachs gehört zu den wichtigsten zeitgenössischen Regisseuren des US-Independentkinos. Seit den 1990er-Jahren erzählt er von Intimität, Nähe und dem fragilen Gleichgewicht zwischen Liebe und Selbstbehauptung. Filme wie Keep the Lights On (2012), Love Is Strange (2014) oder Little Men (2016) zeichnen sich durch eine besondere Sensibilität für die alltäglichen Bewegungen zwischen Menschen aus: das Zögern, das Vertraute, die Verletzlichkeit. Häufig kreisen seine Geschichten um queere Identitäten, Künstlerfiguren und Beziehungen, die durch äußere Umstände – ökonomische, gesellschaftliche oder familiäre – unter Druck geraten. Sachs’ Inszenierungen sind dabei nie laut oder demonstrativ: Er beobachtet, lässt Raum, vertraut auf die Kraft des Blicks und des Gesprächs.

Mit Peter Hujar’s Day setzt Sachs diese Linie konsequent fort. Basierend auf einem realen Gespräch zwischen dem Fotografen Peter Hujar und der Schriftstellerin Linda Rosenkrantz, konzentriert sich der Film auf den Augenblick des Erzählens selbst: darauf, wie Erinnerung entsteht, wie Nähe hergestellt wird und wie Bedeutung aus dem Alltäglichen wächst. Ben Whishaw und Rebecca Hall spielen diese Intimität mit großer Wärme und feinem Humor. Peter Hujar’s Day startet am 6. November 20255in den deutschen Kinos und ist zugleich eines der persönlichsten und reifsten Werke von Ira Sachs – ein stilles, präzises und zutiefst menschliches Kino.

Im Interview anlässlich des Kinostarts von Peter Hujar’s Day spricht Ira Sachs über die Vorlage, das minimalistische Setting und die Zusammenarbeit mit Rebecca Hall und Ben Whishaw.

In Peter Hujar’s Day geht es darum, dass man etwas Besonderes im Banalen findet. Hast du diese Erfahrung auch schon einmal gemacht?

Im Grunde macht das Kino das mit jedem Bild. Es ist eine intime Beziehung zum Vergänglichen, zum Alltäglichen und zum Tiefgründigen – oder zumindest ist es das, was ich in einem Film suche. Wenn es einem Film gelingt, das Besondere in einer Begegnung zweier Menschen einzufangen, ist das Schönheit. Hinzu kommen noch die ganzen Details, die diese Beziehungen ausmachen und die wirklich faszinierend sind.

Was hat dich an diesem Moment in Peter Hujars und Linda Rosenkrantz’ Leben angezogen und an der Unterhaltung, die sie im Dezember 1974 führten

Die Dialoge aus Peter Hujar’s Day stammen aus einem Transkript eines Gesprächs der beiden aus dem Jahr 1975. Linda wollte aus dieser und anderen Gesprächen ein Buch machen, weshalb sie die Aufnahme mit Peter transkribierte. In ihrem Buch sollte es um den Alltag von Künstlern gehen, von denen sie sehr viele kannte.

Sie entschloss sich dann jedoch, das Buch nicht zu schreiben, und spendete das Transkript der Morgan Library in New York, in der es ein Archiv zu Peter Hujar gibt. Schließlich stieß ein Student auf das Dokument und schlug seinen Freunden vor, es als Buch zu veröffentlichen.

Das Buch mit dem Titel Peter Hujars Day von Linda Rosenkrantz las ich während der Dreharbeiten zu Passages. Ich dachte, das wäre das ideale Projekt für Ben Whishaw und mich. Uns verbindet das Interesse an queerer Kunst und Künstlern sowie die Lust am Experiment und am Risiko. Ich dachte mir, dieses Projekt wäre ein Risiko, das wir beide gerne eingehen würden.

Welche Herausforderungen und Chancen siehst du in einer Geschichte, die nur in einem kleinen New Yorker Apartment spielt?

Sechs Wochen vor Beginn der Dreharbeiten hatte ich alles, was wir brauchten. Ich hatte das Apartment, in dem wir drehen würden, die Finanzierung und meine beiden Schauspieler. In meinem Kopf hatte ich geplant, den ganzen Film praktisch in Echtzeit zu drehen, also in der gleichen Länge wie die echte Konversation zwischen Peter und Linda. Als ich dann aber mit ein paar Schauspielern das Apartment betrat, wurde mir schnell bewusst, dass mein Plan einen Fehler hatte: Es gab keinerlei Motivation, die Kamera zu bewegen.

Ich bin ein Action-Regisseur. Nicht im Sinne des Action-Genres, aber ich benötige Bewegung in meinen Filmen, damit ich besondere Bilder und Momente erschaffen kann. Nach diesem ersten Tag im Apartment war ich jedoch sehr besorgt, weshalb ich begann, mit ein paar Schauspielern – die praktisch Ersatz für Ben und Rebecca waren – diesen Raum an unterschiedlichen Tageszeiten zu fotografieren. Später schaute ich mir die Fotos an und erkannte, dass man aus dieser Reihenfolge der Bilder die Struktur des Films erschaffen konnte. Die Struktur war elliptisch, sprang zwischen Zeiträumen und Orten im Apartment. Das war die Antwort auf meine Frage, wie ich Bewegung und Action in meinen Film bringen konnte.

Ein weiterer wichtiger Punkt für meine Vorbereitung war eine Reihe von Experimentalfilmen aus den späten 1960er- und 1970er-Jahren. Filme wie Shirley Clarkes Portrait of Jason, Andy Warhols Poor Little Rich Girl mit Edie Sedgwick oder Jim McBrides My Girlfriend’s Wedding waren unter anderem dabei. Die Regisseure dieser Filme scherten sich nicht um erzählerische Konventionen und nutzten Zeitsprünge. Ich verstand, wie man bestimmte Themen durch Raum oder Licht ausdrücken konnte. In Peter Hujar’s Day sehen wir in einer Einstellung die beiden Figuren auf der Couch am Nachmittag, während in der nächsten Einstellung sie auf dem Bett liegen und nur eine kleine Nachttischlampe Licht spendet. Raum und Licht zeigen, wie sich die Beziehung zwischen Menschen verändert und entwickelt.

Darüber hinaus spielen Aspekte wie die Kostüme oder die Farbgebung eine besondere Rolle in deinem Film. Kannst du zu diesen Punkten auch noch etwas sagen?

Wenn man zu Beginn die Filmklappe und die Stimmen vom Filmteam hört, weiß der Zuschauer, dass es sich um einen Spielfilm, eine Fiktion handelt. Was wir sehen, ist nicht die Realität, sondern ein Film aus dem Jahre 2025. Ich nehme mir die Freiheit, Bilder zu konstruieren und meine Figuren andere Kostüme tragen zu lassen, obwohl sie das Apartment nicht verlassen. Film ist nicht real, und das gibt einem Regisseur sehr viel Freiheit. Fassbinder und Godard arbeiten mit dem Menschen und der Realität, aber genauso mit dem „Hyper-Realen“, wenn du es so nennen willst.
Farben drücken für mich eine Stimmung oder ein Gefühl aus, und Kostüme genauso.

Welche Aspekte der Identität der beiden Künstler Linda Rosenkrantz und Peter Hujar waren dir und deinen Darstellern wichtig?

Peter fand ich schon immer faszinierend. Er war scheinbar ständig mit sich selbst im Gespräch über ein einziges Bild, das er machen sollte oder das schon fertig war. Bei ihm konnte absolute Sicherheit plötzlich umschlagen in Selbstzweifel. Einerseits glaubt er an den Wert des Bildes, und dann ist es auf einmal wertlos. Ich finde das sehr menschlich, und als Künstler kann ich es nachvollziehen, dass Schmerz und Vergnügen bei der Betrachtung der eigenen Kunst so nah beieinander liegen. Kannst du das nachvollziehen? Ergibt das Sinn?

Klar. Wenn ich später einen Text von mir lese, habe ich auch manchmal Zweifel, ob ich das so richtig ausgedrückt habe oder einem Film vielleicht sogar Unrecht tue.

Natürlich. So wie wir uns verändern, verändert sich auch das, was wir erschaffen. Peter hat das auf eine Weise ausgedrückt, die ich verstehe.

Manchmal denke ich, wenn ich nicht Filmemacher wäre, wäre ich heute Therapeut. Ich kann mir vorstellen, dass es Linda genauso geht. Sie hört sehr genau zu, wenn man ihr etwas erzählt, und interessiert sich für die Details deiner Erzählung.

Die Idee einer Freundschaft eines homosexuellen Mannes und einer Frau kann ich ebenfalls nachvollziehen. Peters und Lindas Freundschaft ist sehr liebevoll und intim, und ich hoffe, dass ich diese Beziehungen in meinem Leben auch auf dieser Ebene noch sehr lange haben werde.

Wie war die Zusammenarbeit mit Ben Whishaw und Rebecca Hall?

Ben ist jemand, der gerne riskiert und weniger auf Stabilität setzt. Die Arbeit mit ihm ist immer eine sehr kreative Kollaboration, weil er das Risiko sucht und einem damit sehr viele Möglichkeiten gibt.
Rebecca ist Autorin und Schauspielerin in einer Person. Was ich damit meine, ist: Sie schreibt eigene Texte für ihre Figuren, die so nicht im Skript stehen. Sie bringt so sehr viele neue Ideen und Perspektiven in die Geschichte. Sie und Linda verbindet aber nicht nur ihr Faible für Literatur, sondern auch die Verbindung zu Peter/Ben.

Ben und Rebecca führen ein Leben voller Kreativität. Sie leben für ihre Kunst – das bewundere ich sehr. Der Schauspieler John Lithgow ist ihnen darin ähnlich: Seine Arbeit im Film, im Theater, als Illustrator und als Autor wird von dem Wunsch getragen, kreatives Erleben zu schaffen. Isabelle Huppert ist ebenfalls so motiviert.

Für Ben und Rebecca kann dieses kreative Erleben alles Mögliche sein – ein Theaterstück auf einer kleinen Bühne in London oder eine weitere Zusammenarbeit mit mir.

Würdest du sagen Peter Hujar’s Day ist eine Fortsetzung oder eine Abweichung von deinen vorherigen Filmen? Oder ist es vielmehr die Essenz deines Schaffens?

Wie meinst du das?

In deinen Filmen geht es immer wieder um Beziehungen und darum, wie Vertrautheit zwischen zwei oder mehr Personen entsteht. Wenn man das minimalistische Setting von Peter Hujar’s Day bedenkt, könnte man auf die Idee kommen, dass der Film so etwas wie die thematische Essenz deines bisherigen Schaffens darstellt.

Da ist schon etwas dran und ich würde dir nicht widersprechen. Allerdings ist jeder meiner Filme auch eine Reflexion meiner selbst, meiner Interessen, meiner Sorgen und meiner Neugier. Um es mit deinen Worten auszudrücken: Jeder Film ist die Essenz meiner Gefühlslage an einem bestimmten Punkt in meinem Leben.

Vielen Dank für das tolle Gespräch.



(Anzeige)