Fucktoys

Die Sexarbeiterin und Tänzerin AP (Annapurna Sriram) erfährt bei einer Tarotlegung, dass sie verflucht sei. Gleich mehrere Wahrsager bestätigen ihr, ihre einzige Hoffnung liege in einer spirituellen Reinigung für 1000 Dollar und der Opferung eines Lamms. Verzweifelt macht sich AP daran, das Geld zusammenzukratzen und ein Lamm zu finden und verliert sich dabei zunehmend in einer spirituellen und transzendentalen Odyssee in ihrer Heimatstadt Trashtown, USA.

Indie Film ganz groß

Fucktoys markiert das Spielfilmdebüt Annapurna Siriams, die neben Regie und Drehbuch gleichzeitig die Hauptrolle in ihrem eigenen Film übernimmt. Aus der fiktionalen Spielstadt des Films ist sogar ihre eigene Produktionsfirma Trashtown Pictures entsprungen. Als Independent-Produktion ist Fucktoys in Produktion und Umsetzung damit nicht nur ambitioniert, sondern auch fast vollumfänglich eigenständig realisiert.

Der Fluch der Karten

Der Narr ist die erste Karte des Großen Arkanas des Tarot und symbolisiert Naivität, Unbekümmertheit und den Sprung ins Ungewisse. Passenderweise ist es ein Tarot legendes Medium, das Fucktoys Protagonistin AP auf eben diese Reise schickt. Vormals der Versuch 1000 Dollar und ein Lamm zu finden, avanciert ihr Vorhaben zu einer Odyssee durch die dunkelsten Abgründe einer dystopischen, verlorenen Welt. Fucktoys etabliert eine Gesellschaft, die zwischen Selbstaufgabe und Perversion schwelgt. In ihrer Suche nach Geld dient ihr AP lediglich als weiteres, austauschbares Ventil, sexuelle Deprivation auszuleben und die eigenen dunklen Gelüste zu stillen.

Fetischismus, Abhängigkeit und Gewalt sind in Fucktoys allgegenwärtig und kompromisslos inszeniert, wirken dabei aber nicht unnötig skandalisiert. Vielmehr verdeutlichen Szenen wie eine Fetischparty in einem heruntergekommenen Schuppen den verrotteten Kern einer Überflussgesellschaft von Entmenschlichung und APs Rolle innerhalb dieser als Werkzeug, als Sexspielzeug, als Fucktoy. AP gibt sich dieser Gesellschaft zwar hin, aber gleichzeitig nicht auf. Ihre spirituell getriebene Mission stets vor Augen ist ihr Umfeld lediglich Mittel zum zweifelhaften Zweck. Fucktoys führt sein überspitzt anarchisch-dystopisches Gesellschaftsbild immer wieder ad absurdum und balanciert die Tristesse seiner Botschaft durch Satire und pointierte, makabre Komik.

New New American Wave

Fucktoys besticht durch einen körnigen Look im 16-Millimeter-Filmformat. Gepaart mit einer unruhigen Kamera vermittelt der Film die 70er-Jahre-Optik der Amerikanischen New Wave. Gleichzeitig bildet er die heutige Zeit ab und thematisiert kontemporäre Probleme. Diese Dissonanz unterstreicht den surrealistischen, fast psychedelischen Pathos von Fucktoys. Srirams luzide Inszenierung kombiniert mythische Fabel mit gelebtem Leid und schafft damit trotz ihrer abstrakten, experimentellen Art der Inszenierung einen realen Bezugspunkt für ihr Publikum.

DIY-Kino

Schauspielerisch ist es vor allem Annapurna Sriram selbst, die ihre kreative Vision als Protagonistin wortwörtlich in Eigenregie trägt. Trotz ihrer begrenzten Schauspielerfahrung in einem einzelnen Film in Spielfilmlänge mit Feral (2019) und weiteren kleinen Rollen in einem Kurzfilm so wie den Serien Billions und Blacklist merkt man ihr die begrenzte Erfahrung nicht an. Ihre Darstellung der Protagonistin AP ist einnehmend wie charismatisch. Neben ihr sind es besonders Sadie Scott als ihre queere Kollegin und Mitbewohnerin und Damian Young als empathische wie gutmütige Mischung aus Affäre und Sugar Daddy, welche dem Film ihren Stempel aufdrücken.