
Fatima (Nadia Melliti) wächst als jüngste von drei Töchtern in einem Vorort von Paris auf. Mit klassischen Geschlechterrollen hat es die 17-jährige Muslima dabei weniger. Nicht nur, dass sie gern Fußball spielt. Sie weigert sich auch, Kleider zu tragen, zieht Jogginghosen vor – sehr zum Leidwesen ihres Freundes, mit dem sie heimlich zusammen ist und der sie gern ein wenig weiblicher sehen würde. Schließlich hat er längst beschlossen sie zu heiraten und mit ihr eine kleine Prinzessin zu bekommen. Zwar widerspricht Fatima diesem Wunsch nicht. Insgeheim entspricht das aber gar nicht ihren eigenen Vorstellungen. Stattdessen empfindet sie etwas für Frauen, was aber niemand wissen darf und was sie selbst auch noch nicht wirklich akzeptiert hat. Und auch, als sie die Medizinstudentin Ji-Na (Ji-Min Park) kennenlernt, tut sie sich noch schwer damit, diese Gefühle zuzulassen …
Preisgekrönte Romanadaption
2025 ist ein gutes Jahr für Hafsia Herzi. Nicht nur, dass die als Schauspielerin bekannt gewordene Französin für das Gefängnisdrama Borgo einen César als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wurde. Auch ihre 2019 mit Du verdienst eine Liebe gestartete Zweitkarriere als Regisseurin hat noch einmal einen deutlichen Sprung gemacht. So wurde ihr neuestes Werk Die jüngste Tochter in den Wettbewerb von Cannes eingeladen. Zwar konnte sie dort nicht gewinnen. Dafür wurde sie mit dem Queer Palm ausgezeichnet, ihre Hauptdarstellerin Nadia Melliti erhielt den Preis als beste Darstellerin. Das Drama wurde zudem bei rund 30 weiteren renommierten Festivals gezeigt, darunter Toronto und Locarno. Das muss man auch erst einmal schaffen.
Dabei erzählt die Adaption des gleichnamigen Romans von Fatima Daas eigentlich keine neue Geschichte. Filme über junge Menschen, die sich selbst suchen und nicht so genau ihren Platz in der Welt kennen, gibt es ohne Ende. Die Erfahrung ist so universell, dass ständig irgendwelche Coming-of-Age-Filme gedreht werden. An Kombinationen mit einer sexuellen Selbstfindung mangelt es auch nicht, die Filmgeschichte ist voller Coming-out-Dramen. Zumal Die jüngste Tochter da nicht mit Klischees spart. Nur weil jemand lesbisch ist, bedeutet das ja nicht, dass man keine Kleider tragen darf, mit Jungs abhängen muss und Fußball spielt. Ungewöhnlicher ist da schon, dass die Protagonistin eine gläubige Muslima ist und aus einer traditionellen Familie stammt. Homosexualität ist da nicht wirklich ein Thema.
Film der leisen Töne
Nun könnte man meinen, dass der Film diese beiden Seiten als unvereinbar darstellt und der Familie antagonistische Züge gibt. Doch das geschieht gar nicht. Es gibt keine große Streitszenen mit den Eltern oder den Freunden. Zwar läuft ihre Bewusstwerdung nicht ohne Komplikationen. Doch der Konflikt, den Fatima auszutragen hat, ist größtenteils mit sich selbst, wenn sie nach einem Weg sucht, diese Widersprüchlichkeiten aufzulösen und aus den verschiedenen Aspekten ihr Selbst zusammenzubasteln. Tatsächlich gibt es in Die jüngste Tochter eine späte Szene mit der Mutter, die impliziert, dass diese längst Bescheid weiß und weiter ist als die Tochter – dieser aber all die Zeit gibt, die sie braucht, um bei sich anzukommen.
Es ist einer der emotionalsten Momente des Films, obwohl ganz ruhig erzählt. Insgesamt zieht Herzi die leisen Töne vor, zeigt eine Selbstfindung, die ohne großes Drama auskommt. Das könnte manchen zu wenig sein. Und doch ist es ganz angenehm, wie hier Homosexualität mal nicht problematisiert wird. Die jüngste Tochter gelingt es dabei, die diversen universellen Elemente mit einem spezifischen Kontext zu verbinden, wenn die Protagonistin aus einer muslimischen Einwandererfamilie kommt und in den Banlieues lebt. Im Laufe der fünf Kapitel wird sich Fatima zwar ein wenig von dieser Herkunft lösen auf der Suche nach sich selbst, diese aber nie ganz ablegen. Die Romanadaption lebt von dieser Komplexität – und eben von Nadia Melliti, die eine echte Entdeckung ist.
OT: „La Petite dernière“
IT: „The Little Sister“
Land: Frankreich, Deutschland
Jahr: 2025
Regie: Hafsia Herzi
Drehbuch: Hafsia Herzi
Vorlage: Fatima Daas
Musik: Amine Bouhafa
Kamera: Lali Rubio, Jérémie Attard
Besetzung: Nadia Melliti, Ji-Min Park, Amina Ben Mohamed, Melissa Guers, Rita Benmannana
Cannes 2025
Locarno 2025
Toronto International Film Festival 2025
Filmfest Hamburg 2025
Französische Filmtage Tübingen Stuttgart 2025
Internationales Filmfestival Mannheim Heidelberg 2025
Französische Filmwoche 2025
Around the World in 14 Films 2025
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)





