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„A Scary Movie“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt / Kritik

Wenn man ein altes Bauwerk oder eine historische Stätte betritt, kommt man in Berührung mit Gespenstern. Was sich anhört wie der Plot eines beliebigen Gruselfilms, ist durchaus ernst gemeint: In der tiefgehenden Beschäftigung mit Geschichte und im Bewusstsein für sie setzt man sich fast automatisch mit dem Unheimlichen auseinander. Ein Historiker oder ein Dokumentarfilmer konzentriert sich auf das Vergangene, setzt es in Beziehung zur Gegenwart, rekonstruiert es oder befasst sich mit dem, was vergessen, verdrängt oder unterdrückt wurde

In ihrem Essay Making Room for Ghosts: Memory, History and Family Biography on Film stellt die Autorin Kerreen Ely-Harper die Theorie auf, dass eine Dokumentation per se viel mit einer Geistergeschichte gemein hat. Sie spricht von einem „ghost narrative“, das sich mit Themen, Personen oder Entwicklungen auseinandersetzt, die längst vergessen sind oder die nun in einem neuen Kontext betrachtet werden müssen. Im Grunde funktioniere eine Dokumentation, die sich mit Vergangenem beschäftigt, wie unsere eigene Erinnerung, die ebenfalls Episoden, Gespräche oder Klänge abruft, sie in einen Zusammenhang setzt und dadurch verschiedene Reaktionen hervorruft – von Freude bis hin zu Trauma.

Ähnliche Gedanken wie Ely-Harper vertritt auch Regisseur Sergio Oksman. Sein filmisches Werk befasst sich mit der Vergangenheit und den Erinnerungen von Personen und Kulturen, wobei er stets die Grenzen zwischen Dokumentar-, Experimental- und Spielfilm überschreitet. In Notes on the Other (2009) folgt er einer Gruppe von Ernest-Hemingway-Doubles und erzählt von Identität, Doppelgängern und der Veränderung von Perspektiven. Für seinen Film On Football (2015) zeigt er ein Wiedersehen mit seinem Vater während der Fußball-WM, wobei die Grenzen zwischen Erinnerung und Inszenierung verschwimmen. Sein neues Werk A Scary Movie, das auf der DOK Leipzig 2025 lief, greift die Ideen seiner früheren Filme auf: Er und sein Sohn betreten ein altes Hotel kurz vor der Schließung – eine Begegnung mit der eigenen Biografie und der Stadtgeschichte Lissabons.

„Ich hätte gerne Angst vor Dingen.“

Für jeden kommt einmal der Moment, in dem man nicht mehr länger Kind sein will. Für Nuno Oksman, Sergio Oksmans Sohn, fällt dieser Moment mit dem Erleben von Furcht zusammen – genauer gesagt mit seinem ersten Horrorfilm „für Erwachsene“, wie er es gegenüber seinem Vater formuliert. Poltergeist kennt er nicht, Der Exorzist fand er nicht sonderlich gruselig, und für den Wahnsinn eines Jack Torrance aus Shining hat er ebenfalls wenig übrig, wie er dem letzten verbliebenen Hotelangestellten erzählt.

Als ihm wenig später sein Vater beim Gang über das Aqueduto das Águas Livres von den Gräueltaten eines Diogo Alves berichtet, zeigt der Junge kaum eine Regung. Er scheint eher besorgt zu sein, dass sein Vater den Weg nach Hause findet, als sie sich in den Katakomben verirren. Nuno will Angst haben, sagt er, er würde sich gerne fürchten – doch die Monster im Horrorfilm oder die Serienkiller, von denen sein Vater erzählt, lösen dieses Gefühl nicht aus. Die Gespenster in A Scary Movie haben jedoch nichts mit jenen des Horrorgenres gemein; vielmehr erfüllen sie den Raum – ein Aquädukt oder ein Hotelzimmer – und sind stets präsent. Wenn man sich ihrer bewusst ist, mögen sie berechenbar sein, doch solange sie es nicht sind, haben sie Macht über uns.

Wenn es jemanden in A Scary Movie gibt, der Angst hat, dann ist es der Regisseur selbst. Oksman greift immer wieder auf Material seiner früheren Filme – etwa On Football – zurück oder erwähnt Projekte wie seine Recherche zum Fall Diogo Alves. Er zitiert die bizarre Theorie, dass man anhand der Physiognomie eines Gesichts erkennen könne, ob ein Mensch kriminell sei oder dieses „Erbe“ an seine Kinder weitergebe. Die Gespenster sind nicht greifbar, doch sie sind präsent in diesen Bildern und Geschichten – sie haben Macht über den Menschen und vielleicht sogar über nachfolgende Generationen. In Shining ist es schließlich nicht der Sohn, der besessen wird, sondern der Vater, der zum Opfer einer unterdrückten, schrecklichen Vergangenheit wird. Oksman erzählt von der Angst, selbst zum Monster zu werden oder zumindest das Potenzial dazu in sich zu tragen. Letztlich sind die Bilder, die wir in unserer Erinnerung tragen, der eigentliche Geisterfilm.

Credits

OT: „Una película de miedo“
Land: Spanien, Portugal
Jahr: 2025
Regie: Sergio Oksman
Drehbuch: Sergio Oksman
Musik: Amy Fajardo
Kamera: Jorge Rojas, Francisco Marise
Besetzung: Sergio Oksman, Nuno Oksman, Daniel Blaufuks, Ana Moreira

Trailer

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A Scary Movie
fazit
„A Scary Movie“ ist ein Hybrid aus Experimental-, Dokumentar- und Spielfilm. Sergio Oksman gelingt ein komplexer, nachdenklicher Film über die Macht der Erinnerung und über die Geister der Vergangenheit – ein stiller Film, der noch lange im Zuschauer nachwirkt.
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