
Der Kriegsverbrecher Josef Mengele (August Diehl), der im KZ Auschwitz tödliche Experimente an Gefangen:innen unternahm, flieht nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst nach Argentinien und später nach Paraguay und Brasilien. Auf zwei Zeitebenen erzählt der neue Film von der Flucht Mengeles durch Südamerika in den 1950ern und von einem Wiedersehen mit seinem Sohn Rolf Mengele (Max Bretschneider) in den 1970ern.
Zur Zeit der Adenauer-Jahre besucht Josef heimlich seinen Vater (Burghart Klaußner) in Günzburg. Der Großunternehmer bietet seinem Sohn an, im Heimatort wieder leben und arbeiten zu können, wie viele ehemalige NS-Anhänger auch. Doch Josef befürchtet vom amerikanischen oder israelischen Geheimdienst verfolgt und vor Gericht verurteilt zu werden. Er kehrt nach Buenos Aires zurück, heiratet erneut, trifft sich mit anderen deutschen Nazis, aber nach der Verhaftung von Adolf Eichmann durch den Mossad flieht er über die Grenze nach Brasilien. Dorthin reist ungefähr zwanzig Jahre später sein Sohn Rolf, der den Kontakt zu seinem Vater und dem Großteil der Familie abgebrochen hat. Der Sohn konfrontiert den alten Mann mit Fragen über seine unmenschlichen Taten in der Vergangenheit.
Der Todesengel von Auschwitz
Nach The Zone of Interest von Jonathan Glazer kommt nun erneut ein Film über einen NS-Verbrecher in die Kinos. Die historische Figur Josef Mengele wurde bereits in fiktionalisierter Form von namhaften Schauspielern wie Laurence Olivier, Gregory Peck, Götz George und Ulrich Mühe verkörpert. Es scheint ein filmisches und öffentliches Interesse an dem „Todesengel von Auschwitz“ zu geben, das irgendwo zwischen Faszination und Ekel schwankt. Der Film des russischen, in Deutschland im Exil lebenden Regisseurs Kirill Serebrennikov bewegt sich ebenfalls zwischen diesen zwei Polen und deswegen ist Das Verschwinden des Josef Mengele eine zweischneidige Angelegenheit. Der Film basiert auf einen Roman von Olivier Guez.
Einerseits gelingt Serebrennikov es glaubhaft, eine Atmosphäre der Paranoia zu schaffen. Die Bilder sind in kontrastreichen Schwarz-Weiß gehalten und der jazzige Score ist von unheilvollen Tönen durchzogen. Josef Mengele eilt wie eine zwielichtige Figur aus einem Film Noir mit Hut, Trenchcoat und Sonnenbrille durch die chaotischen Straßen von Buenos Aires. Von jedem Fremden, auch von den argentinischen Bediensteten, vermutet er, auf seiner Hochzeit verraten zu werden. Selbst seiner neuen Frau Martha (Friederike Becht) misstraut er. An der Beziehung sieht man auch, wie schnell seine allgegenwärtige Angst in Hass kippen kann. Als sie sich weigert mit dem Sohn nach Paraguay mitzugehen, schlägt er sie brutal.
Das Schweigen der Eltern
Auch zwanzig Jahre später ist Josef Mengele immer noch dieser hasserfüllte Mensch. Sein Sohn Rolf gehört dagegen zu einer jüngeren Generation. Mit seinen langen Haaren steht er für die rebellischen 68er, die das Schweigen ihrer Eltern über die Zeit während der NS-Diktatur hinterfragen und beenden wollen. Die Gespräche mit seinem Vater stellen sich als unheimlich schmerzhaft heraus. Statt über seine Taten zu sprechen, wälzt der Vater die Schuld auf Arztkollegen ab und sieht sich sogar im Recht, die Gesundheit der deutschen Bevölkerung bewahrt zu haben.
Die Gegenüberstellung der zwei Zeitebenen funktioniert sehr gut, denn der Verfolgungswahn von Josef Mengele wirkt wie die Flucht vor sich selbst und das Gespräch mit dem Sohn zwingt ihn, sich mit den Morden an den Gefangenen auseinander zu setzen. Andererseits ist das große Problem des Films, dass er die Vergangenheit mit bunten Bildern illustriert. Die Episode mit seiner ersten Frau am See und im Bett ist unheimlich kitschig und verharmlost einen Massenmörder als jungen Liebhaber. Besonders schlimm sind die Szenen im Lager, wie Josef Mengele und seine Kollegen die Menschen quälen und töten und dazu lächelnd in die Super 8 Kamera schauen. Die Perspektive der Opfer wird wie in The Zone of Interest ignoriert und in diesem Fall durch den sadistischen Blick von Mengele mit der Kamera doppelt entwürdigt.
Dämon oder Mensch?
Wahrscheinlich ist es unmöglich, einen Film über eine solche historische Person zu drehen, ohne sie dabei zu dämonisieren und gleichzeitig zu vermenschlichen. Diesen Widerspruch kann Serebrennikov nicht wirklich auflösen. Aber er zeigt Mengele zumindest am Ende so, wie er es vermutlich verdient hat: als alten gebrechlichen Mann, der alleine in einer heruntergekommenen Wohnung sitzt und weiterhin auf das Judentum genauso wie auf Amerika, Russland, die junge Bundesrepublik und seine Familie schimpft. Seinen Sohn schreit er direkt ins Gesicht, wie sehr er ihn verachtet.
August Diehl ist erschreckend gut darin, den jungen sowie den alten Mengele zu verkörpern. Diehl beherrscht den bösen Blick und die Wutausbrüche genauso wie die Darstellung der zittrigen Gebrechlichkeit im hohen Alter. Josef Mengele musste sich zwar nie vor einem Gericht verantworten, aber am Ende ist er ein Mensch, der von seinem eigenen Hass so sehr zerfressen ist, dass er in der Fremde allein dahinvegetiert. Nicht mal sein eigener Sohn verabschiedet sich, als er abreist. Das ist die bittere Pointe einer grausamen Lebensgeschichte.
OT: „Das Verschwinden des Josef Mengele“
Land: Deutschland, Frankreich
Jahr: 2025
Regie: Kirill Serebrennikov
Drehbuch: Kirill Serebrennikov
Kamera: Vladislav Opelyants
Besetzung: August Diehl, Max Bretschneider, Burghart Klaußner, Friederike Becht, Dana Herfurth
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