
St. Gallen, 1904: Als in einem Wald die verscharrte Leiche eines Jungen gefunden wird, deutet alles auf dessen Mutter, die Schneiderin Frieda Keller (Julia Buchmann), als Täterin hin. Bei ihrer Verhaftung gesteht sie umgehend. Für den Staatsanwalt Walter Gmür (Stefan Merki) ist der Fall klar. Er bereitet seine Anklage vor, die auf vorsätzlichen Mord lautet und ein Todesurteil zur Folge hätte. Seine Frau Erna (Rachel Braunschweig) ist skeptisch. Nicht nur besucht sie Frieda mehrfach in ihrer Zelle, sie gewährt auch dem von Friedas Schwester Bertha (Liliane Amuat) als Verteidiger engagierten Rechtsanwalt Arnold Janggen (Maximilian Simonischek) den nötigen Zugang zu seiner Klientin, den ihm der Staatsanwalt verwehrt. Nach und nach stellen sich die Beweggründe für Friedas Tat heraus, die Janggen in seiner Verteidigungsstrategie, gegen das Anraten seiner Frau Gesine (Marlene Tanczik), allerdings ignoriert.
Sankt Galler Sittengemälde
In der Schweiz tickt manche Uhr langsamer. Dass Frauen irgendwann einmal ihre Stimme an einer Wahlurne abgeben könnten, kommt in Maria Brendles Spielfilmdebüt am Rande zur Sprache, wird von den Männern um den Sankt Galler Staatsanwalt Walter Gmür aber als lachhafte Modeerscheinung abgetan. Einzig Gmürs Nemesis, der Rechtsanwalt Arnold Janggen, gibt sich erstaunlich emanzipiert, was an seiner Ehefrau Gesine, einer waschechten Berlinerin, liegt. Die übt, wenn keiner hinsieht, schon mal das Fahrradfahren, was sich für eine Frau im Jahr 1904 nun wirklich nicht ziemt! Bis Frauen in der Schweiz das Wahlrecht auf Bundesebene erlangten, dauerte es weitere 67 Jahre. Womit die Eidgenossenschaft zu den europäischen Schlusslichtern zählt. Was den eigentlichen Kern des Films anbelangt, waren aber auch die deutschen Nachbarn kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert nicht viel fortschrittlicher.
Das Patriarchat auf der Anklagebank
Im Zentrum steht ein Fall, der diesem Debüt nicht nur seinen Namen gibt, sondern Schweizer Rechtsgeschichte geschrieben hat: die Verurteilung der Schneiderin Frieda Keller wegen Kindsmords, für die vor Gericht keine mildernden Umstände galten, sowie die spätere Aufhebung des Todesurteils, das zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe in Einzelhaft umgewandelt wurde. Als Vorlage diente der Roman Die Verlorene der Schriftstellerin Michèle Minelli, die auch am Drehbuch des Films beteiligt war. Erzählerisch lässt das Drama entscheidende Erkenntnisse lange Zeit im Dunkeln, um den vollen Umfang von Friedas Hintergrundgeschichte mit größerem Effekt erst im letzten Akt über eine Rückblende offenbaren zu können. Die im baden-württembergischen Singen nahe der Schweizer Grenze geborene Regisseurin Maria Brendle macht ein zwar nüchtern inszeniertes, aber dennoch packendes Justizdrama daraus. Ihr Sittengemälde über die himmelschreienden Ungerechtigkeiten des Patriarchats erinnert inszenatorisch allerdings bisweilen an ein Theaterstück und stets mehr an einen Fernseh- denn an einen Kinofilm.
Kühl und bisweilen künstlich
Rund um den Klosterhof St. Gallen gefilmt, muten die Drehorte, Ausstattung und Kostüme bisweilen künstlich an. Die Wohnungen wirken nicht bewohnt, sondern wie Museumsräume, die Orte unter freiem Himmel nicht natürlich, sondern wie fein säuberlich hergerichtete Sets. Und viele Dialoge sind zu plakativ geraten. All das verleiht dem Drama eine gewisse Aseptik, die ebenso wie die kühle Farbpalette in starkem Kontrast zum hochemotionalen Thema steht. Die Leistungen des Schauspielensembles, allen voran die zurückhaltende Julia Buchmann in der Titelrolle, können sich aber sehen lassen. Und die Aussagekraft des Films ist angesichts aktueller Tendenzen in einigen Demokratien dieser Welt, hart erkämpfte Rechte wieder zurückzudrehen, wichtiger denn je.
OT:„Friedas Fall“
Land: Schweiz
Jahr: 2024
Regie: Maria Brendle
Drehbuch: Michèle Minelli, Robert Buchschwenter, Maria Brendle
Vorlage: Michèle Minelli
Musik: Mark Baechle
Kamera: Hans Syz
Besetzung: Julia Buchmann, Stefan Merki, Rachel Braunschweig, Max Simonischek, Marlene Tanczik, Liliane Amuat
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