O último azul Das tiefste Blau The Blue Trial
© Guillermo Garza Desvia - Alamode Film
O último azul Das tiefste Blau The Blue Trial
„Das tiefste Blau“ // Deutschland-Start: 25. September 2025 (Kino)

Inhalt / Kritik

Für ältere Menschen hält das Leben nicht mehr viel bereit – denkt zumindest die brasilianische Regierung und führt ein System ein, das Rentner zu Bürgern zweiter Klasse degradiert. Sie stehen unter der Vormundschaft ihrer Kinder und benötigen deren Erlaubnis für Behördengänge oder um zu reisen. Wenn sie ihre Wohngegend verlassen, droht ein Altenabschlepper sie wieder einzufangen. In letzter Konsequenz zwingt man sie, in eine sogenannte „colonia“, eine Seniorensiedlung zu ziehen, isoliert vom Rest der Gesellschaft. Die gerade in den Ruhestand eingetretene Tereza (Denise Weinberg) möchte sich allerdings nicht von ihrem Leben in Würde verabschieden. Sie beschließt, sich aus dem Staub zu machen, um ihren Traum, noch einmal mit einem Flugzeug zu fliegen, zu verwirklichen…

Satirische Dystopie ohne Moralpredigt

Die Geschichte von Das tiefste Blau ist in einen hochaktuellen Kontext eingebettet: Brasilien altert immer schneller, schon heute sind fast 11 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre alt. Auch wenn der demografische Wandel dort noch nicht das Ausmaß von dem europäischer Nationen erreicht hat, liegt die Geburtenrate im größten Staat Lateinamerikas mit rund 1,6 Kindern pro Frau inzwischen auf einem historischen Tiefstand. Während es vielerorts noch üblich ist, dass die Nachkommen sich um die eigenen Eltern und Großeltern kümmern, stellt sich die Frage, wie man in Zukunft mit der älter werdenden Population umgehen möchte.

In seinem vierten Langspielfilm findet Regisseur Gabriel Mascaro eine denkbar pessimistische Antwort darauf und präsentiert uns eine Dystopie mit satirischem Charakter, in der Altersdiskriminierung eine neue Stufe erreicht hat. In vielen kleinen Szenarien werden wir mit Absurditäten unserer tatsächlichen Gesellschaft konfrontiert, ohne es sich anfühlt wie eine knallharte Moralkeule. Natürlich solidarisiert man sich als Zuschauer mit Tereza und ihren Altersgenossen, die von ihren jüngeren Mitmenschen, sogar der eigenen Familie, gedemütigt werden. Doch auch die Protagonistin ist keine bloße Heldenfigur, sondern trifft Entscheidungen oder Aussagen, die man zumindest diskutabel finden kann.

Unterwegs auf dem Wasser: Ein Roadmovie jenseits der Straße

Neben Ageism greift der Regisseur von Ventos de Agosto (2014), Neon Bull (2015) und Divino Amor (2019) mit seinem Ko-Autor Tibério Azul weitere Themen auf, die sich bereits durch seine gesamte Filmografie ziehen: die Rolle vom Glauben in seinem noch immer sehr religiösen Land oder die Unberührtheit von Natur, und wie der Mensch sie nach seinem Willen formt. Manchmal erkennt man eine damit verbundene Kritik leicht an am Flussufer gestapelten Autoreifen, manchmal tarnt sie sich subtiler hinter Fischaufnahmen mit wundervollem Colour-Grading. Die Plot-Struktur von Das tiefste Blau offenbart vor allem ein Roadmovie – nur eben mit Boot statt Auto und Fluss statt Straße. So werden typische Motive des Genres, wie Terezas Suche nach Freiheit, ihre Begegnung mit verschiedenen Begleitern, die sie mit ihren Lebensbetrachtungen konfrontieren und einem Wunschziel, das am Ende aber gar nicht so wichtig ist wie die eigentliche Reise, verarbeitet.

Visuelle Einfachheit, große Wirkung

Insgesamt schafft es Mascaro clever, sein surreales Setting ohne großen Kulissenaufwand oder CGI-Schummeleien zu konstruieren: Es reichen ein paar Szenen mit auffälligen Requisiten, Memo Guerras entfernt an Vangelis’ erinnernden Synthwave-Score von Blade Runner (1982)  – wobei die Klänge noch etwas weniger bedrohlich sind – und die Nennung von Orten, die entweder fernab der Amazonas-Region, wo Tereza durchreist, liegen, phonetisch leicht abgewandelt wurden oder gar nicht existieren. Der Einsatz von natürlichem, aber auch Neon-Licht taucht die Welt in einen träumerischen Schleier und trägt zu einer, dem Sujet des Films entsprechend, traurigen Grundstimmung bei.

Trotzdem verzichtet der Silberne-Bär-Gewinner der Berlinale 2025 auf allzu viel Geschrei und Tränen (höchstens einmal aus Erleichterung oder Euphorie). Zwar haben wir es mit einer inhumanen Welt zu tun, doch wirkt diese Inhumanität beiläufig, wird von Menschen in trockenen Nebensätzen oder beiläufigen Gesten ausgedrückt. Selbst das titelgebende Schneckenblau, das Hoffnung und Erlösung verspricht, bleibt in dieser Logik ein ambivalentes Zeichen – schillernd, aber nie eindeutig tröstlich.

Credits

OT: „O último azul“
IT: „The Blue Trail“
Land: Brasilien, Mexiko, Chile, Niederlande
Jahr: 2025
Regie: Gabriel Mascaro
Drehbuch: Tibério Azul, Gabriel Mascaro
Musik: Memo Guerra
Kamera: Guillermo Garza
Besetzung: Denise Weinberg, Rodrigo Santoro, Miriam Soccorás, Adanilo

Bilder

Trailer

Interview

Ihr wollt mehr über den Film erfahren? Wir hatten die Chance, uns mit Regisseur Gabriel Mascaro zu unterhalten. Im Interview zu Das tiefste Blau spricht er über das Älterwerden, den Dreh im Amazonas und Schneckenschleim.

Gabriel Mascaro [Interview]

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Das tiefste Blau
fazit
„Das tiefste Blau“ gelingt es, das Thema des Alterns in einer dystopischen Zukunft zu verhandeln, ohne aufdringlich zu moralisieren. Durch die Kombination aus visueller Schlichtheit und emotionaler Ambivalenz entsteht ein Film, der zum Nachdenken über Würde, Freiheit und die Stellung älterer Menschen in der Gesellschaft anregt. Gerade in seiner stillen, leisen Art hinterlässt er einen bleibenden Eindruck, nicht durch Dramatik, sondern durch die Fragen, die er aufwirft.
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