Die marokkanische Wüste, eine verschwundene Jugendliche und jede Menge Techno-Musik: Das in Cannes preisgekrönte Roadmovie-Drama Sirât handelt von Luis, der mit seinem kleinen Sohn seine Tochter sucht, die zu einem dieser verbotenen Raves gegangen und nie wieder zurückgekehrt ist. Auf der Suche nach ihr schließen sich die beiden einer Truppe an, die noch weiter in die Wüste reisen, um sich dort ganz den Rhythmen hinzugeben. Diese Begegnung wird zu einer existenziellen Erfahrung, an deren Ende vieles anders ist. Wir haben uns zum Kinostart am 14. August 2025 mit Regisseur Oliver Laxe unterhalten. Im Interview sprechen wir über den Tod, eine lehrreiche Natur und warum das Leben wie eine Zugfahrt ist.
Könntest du uns etwas über die Entstehungsgeschichte von Sirāt verraten? Wie bist du auf die Idee für den Film gekommen?
Es ist schwierig, den genauen Weg nachzuzeichnen. Aber am Anfang stand mein Wunsch, mich mit dem Thema Tod auseinanderzusetzen. Wie alle anderen auch fürchte ich mich vor dem Sterben und dem Leid. Auf eine gewisse Weise wollte ich den Tod transzendieren und das Mysterium Leben verstehen. Die schmerzhafteste Sache kann gleichzeitig auch ein Geschenk sein. Und ich wollte das Publikum dazu einladen, mich auf dieser Reise zu begleiten. Natürlich ging es mir aber auch darum, Bilder zu schaffen, ich bin in erster Linie ein Filmemacher. Ich war auf einer Menge Raves und während ich auf der Tanzfläche war und der Musik zugehört habe, kamen die Bilder zu mir. Nach und nach setzte sich das alles zu einem Film zusammen.
Warum hast du für dieses Thema eine Wüste als Schauplatz genommen? Gestorben wird schließlich überall.
Wenn du dir die marokkanische Landschaft anschaust, wird das zu einer existenziellen Erfahrung. Du spürst, wie klein du bist. Die Wüste zwingt dich, dich selbst anzuschauen. Du kannst dich in einer Wüste nicht verstecken. Da ist nichts, um dich abzulenken. Du kannst nur den Himmel anschauen oder in dich selbst hinein – was im Grunde dasselbe ist. Gleichzeitig ist die Wüste sehr abstrakt. Ich will, dass das Publikum etwas fühlt, selbst wenn es nicht wirklich versteht, was es da fühlt. Die Wüste ist eine Wüste. Sie ist gleichzeitig aber auch mehr. Genauso wie der Zug am Ende des Films mehr ist als nur ein Zug.
Wie hat diese Wüste dann den Film beeinflusst?
Für mich ist die Natur mehr als eine Landschaft. Ich drehe dort nicht, weil es schön ist. Natürlich mag ich Schönheit und Schönheit schafft ein Mysterium. Aber wenn ich in der Natur drehe, dann weil sie eine Manifestation ist. Die Natur spricht zu uns, schickt uns Zeichen, testet uns. Ich bin der Überzeugung, dass in den Bäumen kein Blatt ist, das sich nicht aus einem guten Grund bewegt. Meine Figuren verstehen das. Sie erkennen, dass sie an einem Ort ist, der nicht nur materiell ist.
Es gibt später eine interessante Szene, in der die Figuren in eine gefährliche Situation geraten. Jedes Mal, wenn sie versuchen, einen rationalen Plan zu fassen, wie sie wieder herauskommen, scheitern sie. Erst als sie sich gewissermaßen führen lassen, finden sie ihren Weg. Der Weg durch unser eigenes Leben, wählen wir ihn selbst oder werden wir durch den Weg gewählt?
Wir Menschen sind nicht völlig frei bei dem Weg, den wir gehen. Unsere einzige Möglichkeit, Freiheit zu erlangen, ist die Erkenntnis, dass wir eben nicht frei sind. Wir sind wie ein Zug, der auf Gleisen fährt. Wir können nicht nach Belieben nach links oder nach rechts abbiegen. Uns steht es aber frei, in der ersten oder der dritten Klasse zu fahren, je nach unserer Fähigkeit zu akzeptieren. Dass wir nicht frei sind, ist nicht automatisch schlecht. Das Drehbuch des Lebens ist sehr gut geschrieben, selbst wenn es voller Tragödien und voller Schmerz ist. Unsere Freiheit liegt darin, wie wir mit dem umgehen, was uns geschieht.
Wie sieht diese erste Klasse aus?
Das Leben so zu akzeptieren, wie es ist. Dich nicht zu beschweren. Dankbar zu sein für alles, selbst für die vielen Krisen, die auf dich warten. Davon handelt dann auch der Film. Für manche Zuschauer ist das sehr schwierig, der Film zwingt dich, in dich selbst hineinzuschauen. Selbst Leute, die Sirāt ablehnen, werden davon berührt.
Du hast davon gesprochen, das Publikum über sich selbst nachdenken lassen zu wollen. Was hast du über dich selbst gelernt, als du den Film gemacht hast?
Gute Frage. Am Anfang des Projekts hatte ich noch eine idealisierte Vorstellung von mir selbst. An einem Film zu arbeiten, bedeutet oft, von mir selbst zu entkommen. Sirāt hat mich wieder zu mir selbst geführt und mich dazu gebracht, mich mit mir und meinen Fehlern zu beschäftigen. Mein Film ist voller Menschen, die zerbrechlich und verletzlich sind. Und ich bin letztendlich wie sie. Der kreative Prozess hat mir dabei geholfen, das zu erkennen und mich selbst eben auch so zu akzeptieren, wie ich bin. Wir tun das, was wir können.
Als dein Film in Cannes Premiere feierte, gab es die unterschiedlichsten Versuche, deinen Film zu beschreiben. Wie würdest du ihn selbst beschreiben?
Als Psychotherapie mit LSD. (lacht) Aber im Ernst, ich mag es nicht, meinen eigenen Film zu interpretieren und zu sagen, was er ist. Ein Film kann dich die unterschiedlichsten Sachen fühlen lassen. Es gibt hunderte von Versionen dieses Films, je nachdem, wer ihn anschaut. Und das mag ich. Das ist die Magie des Kinos, dass jede Reise etwas anders ist. Jeder macht etwas Eigenes daraus.
Und waren Reaktionen oder Interpretationen dabei, von denen du dennoch überrascht warst, weil du etwas ganz anderes wolltest?
Es gibt Menschen, für die der Film zu sorgenvoll und zu nihilistisch war. Da bin ich dann schon traurig, weil der Film für mich eigentlich positiv ist. Ich bin jemand, der voller Glauben ist und glücklich ist leben zu dürfen. Die Zeit, in der wir leben, ist für mich sehr stimulierend. Ich bin tatsächlich sehr dankbar für diese Zeit, weil ich denke, dass sie uns menschlicher und empathischer machen wird. Und es gibt auch Leute, für die der Film Hoffnung gibt. Aber ein Film sollte über den Filmemacher hinausgehen. Deswegen ist es für mich auch okay, wenn jemand das Gegenteil fühlt.
Und wie ist das bei dir? Was gibt dir Hoffnung, wenn du dich einmal verloren fühlst?
Ich vertraue dem Leben einfach. Klar ist das Leben manchmal hart. Aber es gibt immer gute Gründe dafür.
Vielen Dank für das Interview!
(Anzeige)

