
Die Amtszeit des italienischen Präsidenten Mariano De Santis (Toni Servillo) nähert sich ihrem Ende. Nach fast sieben Jahren und sechs bewältigten Regierungskrisen ist der erzkatholische Jurist der Verantwortung seines Amtes müde. Das Tagesgeschäft überlässt er gerne seinen Beratern, allen voran seiner eigenen Tochter Dorothea (Anna Ferzetti), wobei er lediglich einen groben Überblick behält. Sie ist es jedoch auch, die von ihm vor seiner Verabschiedung die Unterzeichnung eines Gesetzes über Sterbehilfe und eine Entscheidung über zwei Gnadenersuche fordert. Ihrer Vehemenz ist es letztlich zu verdanken, dass der apathische De Santis seine eigene Vergangenheit emotional aufarbeitet, um über seine letzte große Amtshandlung zu entscheiden.
Il grande ritorno
Obwohl Paolo Sorrentino diese Bezeichnung selbst vehement ablehnt, gilt der oscarprämierte Regisseur als einer der Meister des italienischen Kinos. Als Dauergast der europäischen Filmfestspiele kehrt Sorrentino zurück in sein Heimatland und an den Strand Venedigs, um mit La Grazia die 82. Iteration der Filmfestspiele von Venedig und den offiziellen Wettbewerb zu eröffnen.
Thematische Abstraktion
Anhand der letzten Monate der Amtszeit eines fiktiven Präsidenten der italienischen Republik zeichnet Sorrentino nicht nur eine eindringliche Charakterstudie, sondern greift eine Vielzahl sensibler Themen auf. Die zugrundeliegende Entscheidung über einen Gesetzentwurf zur Euthanasie dient als Aufhänger und gleichzeitig als indikative Metapher für die Evolution alter festgefahrener Normen zu einer modernen verjüngten Sichtweise. Ein Ansatz, der gleichzeitig die Diskrepanz zwischen dem gealterten Präsidenten und seiner jüngeren Tochter verbildlicht.
Eine definitive moralische Einordnung von Euthanasie geht Sorrentino bewusst aus dem Weg. Wie so oft in seinen Filmen sind es Konzepte, die er inszeniert, ohne jemals tiefer in die Materie einzutauchen. Hinter der Fassade seines bildgewaltigen Inszenierungsstils fehlt Substanz, um sein Publikum nachhaltig zu beschäftigen. Neben dem Generationskonflikt tangiert La Grazia Selbstbestimmung, Beständigkeit, Reue, Religion und Absolution während Sorrentino versucht, sich letztendlich auf Liebe und Familie zu fokussieren. Dabei verliert sich La Grazia stellenweise in seiner Fülle an Symbolik und Metaphorik, während er anderswo wie sein auf Beton-Präsident getaufter Protagonist stillzustehen scheint.
Kinematografische Vitalität
Im Rahmen seines vorherigen Films Parthenope inszenierte Sorrentino das Konzept weiblicher Schönheit und darüber hinaus sehr abstrakt. Für La Grazia kehrt er hingegen zu dem direkteren Ansatz seiner früheren Filme zurück und zitiert sich dabei in Stil und Ausdruck häufig selbst. Die letzte Kameraeinstellung La Grazias ist eine fast identische Referenz zur Ballsaal-Szene Sorrentinos La Grande Bellezza und vermittelt ein ähnliches Motiv. Entschleunigte Szenen bricht er oft durch irrationale Kameraführung auf, eingerahmt durch einen Soundtrack aus moderner elektronischer Musik und gelegentlichem Rap.
Gleichzeitig findet sich der La Grazia zugrundeliegende Generationenkonflikt und die innere Zerrissenheit des Präsidenten in diesem auditiven Bruch zwischen Klassik und Moderne wieder. In dieser Rolle liefert der italienische Schauspieler Toni Servillo eine vollumfänglich überzeugende Performance. Gestützt wird er vor allem durch Anna Ferzetti als De Santis Tochter Dorothea und durch Milvia Marigliano als Freundin der Familie Coco Valori. Letztere bereichert die oft spannungsgeladene Emotionalität von La Grazia immer wieder durch pointiertes Comic-Relief und stiehlt jede einzelne ihrer Szenen.
OT: „La Grazia“
Jahr: 2025
Land: Italien
Regisseur: Paolo Sorrentino
Drehbuch: Paolo Sorrentino
Musik: Rodion Schtschedrin
Kamera: Daria D’Antonio
Besetzung: Toni Servillo, Anna Ferzetti, Orlando Cinque, Massimo Venturiello, Giuseppe Gaiani, Giovanna Guida
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