Nella colonia penale In the Penal Colony
© Mommotty

In the Penal Colony

Nella colonia penale In the Penal Colony
„In the Penal Colony“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt / Kritik

Der Blick auf die Randbezirke unserer Gesellschaft offenbart meist unangenehme Wahrheiten. In der Erzählung In der Strafkolonie von Franz Kafka erfährt der Leser von einem System, in dem das Bestrafen einhergeht mit Folter und Tod. Ein kompliziert zu bedienender Apparat vollzieht das Urteil, indem dem Verurteilten jener Grundsatz in den Körper geritzt wird, gegen den er verstoßen haben soll. Der Vorgang führt natürlich zum Tod der Sträflinge, was von den Offizieren hingenommen wird – mehr noch, sie wollen teils sogar, dass man die Methode gutheißt. Das Albtraumszenario zeigt Gewalt als Kern der Gesellschaft, die nach außen hin Prinzipien wie Gleichheit vorgibt, aber deren Brutalität sich letztlich gegen jeden richtet, ohne dass sie dafür einen nachvollziehbaren Grund haben muss. Man könnte Kafkas Erzählung als Traumgespinst abtun – doch damit würde man der unbequemen Wahrheit ausweichen, dass der Strafvollzug aufzeigt, wie wir als Gesellschaft Aspekte wie „Strafe“ oder „Buße“ definieren. Es ist komfortabel, davon auszugehen, dass eine Strafe einen Menschen „resozialisiert“, doch schaut man sich diese Orte, ihre Abläufe und die Menschen, die in ihnen arbeiten und leben, an, stellt sich die Frage, was sie genau mit einem Menschen machen.

Diese Fragen stellten sich auch die italienischen Regisseure Gaetano Crivaro, Silvia Perra, Ferruccio Goia und Alberto Diana. Als die Corona-Pandemie auf ihrem Höhepunkt angelangt war, begannen sie mit den Arbeiten an ihrem Projekt In the Penal Colony. Die Vorgaben der Regierung zum „social distancing“ sowie der Lockdown an sich führten zu eingehenden Gesprächen über Strafvollzug und Gefängnisse als gesellschaftliche Orte. Als es während des ersten Lockdowns in einigen Gefängnissen zu Gefangenenaufständen kam, wurde den Filmemachern die Relevanz ihrer Überlegungen verdeutlicht. Entstanden ist schließlich ein Projekt, das in verschiedenen Episoden seinem Zuschauer den Alltag einer Strafanstalt aus verschiedenen Perspektiven zeigt. In teils langen Einstellungen zeigt In the Penal Colony Abläufe wie beispielsweise die Essensausgabe, den Ausgang der Insassen oder sogar das Entlassen eines Verurteilten, der seine Haftstrafe verbüßt hat. Laut dem Statement der vier Regisseure geht es ihnen darum, einen Ort zu zeigen, der jenseits von uns liegt, doch deren Prozesse einen unmittelbaren Einfluss auf unsere Welt haben, da die Strafanstalt ein „direkter Ausdruck unserer eigenen Realität“ ist.

Von Schafen und Menschen

In the Penal Colony beginnt mit Bildern, die sicherlich ebenso bedeutungsvoll sind wie die Schilderungen Kafkas. Wir sehen, wie eine Horde Schafe von den Insassen bereit gemacht wird für den Schlachter, beobachten den Selektierungsprozess sowie den Abtransport der eingesperrten Tiere mittels eines Gabelstaplers. Von dem eigentlichen Vorgang im Schlachthaus sehen wir nichts außer einen beschürzten Herren, der mit einem Schlauch die letzten Spuren des blutigen Vorgangs beseitigt. Die Handgriffe sind geübt und alles findet fast stumm statt – es ist nicht das erste Mal, dass die Männer diese Arbeit verrichten. Einzig die Geräusche der Tiere – das protestierende, dann panische Blöken – begleiten die Prozesse, die der Zuschauer in den ersten Minuten von In the Penal Colony sieht. Unabhängig von der Episode verändert sich der ästhetische Zugang nur geringfügig – lange, meist statische Einstellungen zeigen Menschen, Gespräche und Prozesse. Die Lämmer im Käfig scheinen sich ebenso mit ihrem Schicksal abgefunden zu haben wie die Insassen der Strafanstalt, die wie Maschinen ihren täglichen Aufgaben nachgehen. Die Filmemacher verzichten auf Interviews mit den Wärtern oder Gefangenen und lassen stattdessen die Bilder für sich sprechen, was zwar ästhetisch spröde, dramaturgisch aber durchaus wirkungsvoll ist.

Eine Maschine, wie sie Kafka in seiner Erzählung beschreibt, gibt es in In the Penal Colony nicht, denn der Film kommt ohne sie aus. „Wir wollen raus“ und „Wir wurden entführt“ rufen ein paar der Häftlinge an einer Stelle und man weiß nicht, ob sie es ernst meinen oder es nur Teil eines Spiels ist. Die Kamera hält stets eine Distanz zum Geschehen aufrecht, bleibt bisweilen sogar hinter den Gittern, um die Perspektive des Zuschauers zu suggerieren. Mit der Zeit kommen Fragen auf nach dem, wer hier „resozialisiert“ wird. Man fragt sich, was der entlassene Sträfling gelernt hat in den neun Jahren Haft und mit welcher Perspektive er nun in die Welt hinausgeht. Vielleicht gilt, was in Die Verurteilten Morgan Freemans Red beschreibt: dass man das Gefängnis nur gegen ein größeres eintauscht.

Credits

OT: „Nella colonia penale“
Land: Italien
Jahr: 2025
Regie: Gaetano Crivaro, Silvia Perra, Ferruccio Goia, Alberto Diana
Drehbuch: Gaetano Crivaro, Silvia Perra, Ferruccio Goia, Alberto Diana
Kamera: Federica Ortu

Bilder

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Locarno 2025

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In the Penal Colony
fazit
„In the Penal Colony“ wirft einen Blick auf Themen wie Strafe, Buße und Resozialisierung in unserer Gesellschaft. Ein Film, der weniger Antworten liefert als vielmehr Bilder, die Kafkas Metaphern in eine heutige Realität übersetzen – nüchtern, manchmal spröde, aber gerade darin eindringlich. Die ästhetische Strenge beeindruckt, doch sie wird nicht jedem zugänglich sein
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