Un milione di granelli di sabbia Eine Million Sandkörnchen
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Eine Million Sandkörnchen

Un milione di granelli di sabbia Eine Million Sandkörnchen
„Eine Million Sandkörnchen“ // Deutschland-Start: 14. August 2025 (Kino) // 31. Oktober 2025 (DVD)

Inhalt / Kritik

Seit Eva Pattis Zoja denken kann, wollte sie weg aus ihrer Südtiroler Heimat, wusste aber nicht warum. Heute lebt und arbeitet die jungianische Psychoanalytikerin in Mailand. Dort betreibt sie Expressive Sandarbeit, über die sie Vorträge hält und zwei Bücher geschrieben hat. Dieser nonverbale Ansatz vertraut auf die selbstheilenden Kräfte von Kindern und Jugendlichen und versucht, deren Traumata vermittels eines Sandkastens, Spielfiguren und weiteren Materialien zu therapieren. Während Eva Pattis Zoja in der Welt herumkommt, um ihre Arbeit vorzustellen, wartet zu Hause eine alte Schachtel mit Erinnerungen auf sie, die von traumatischen Erlebnissen in ihrer eigenen Familie zeugen.

Im Innern verwundet

Es sieht aus wie ein Kinderspiel und ist so viel mehr. Hände wühlen im Sand, setzen kleine Plastikfiguren, Tiere, Fahrzeuge in einen mit der feinen Substanz gefüllten Kasten. Die jeweilige Anordnung, zu der die Kinder diese Gegenstände arrangieren, kommt einer Miniaturausgabe ihrer Welt gleich. Und die ist nicht von Lachen, sondern von Ängsten erfüllt. Manche der Spielfiguren sind bewaffnet und zu den Gegenständen, aus denen die Kinder auswählen können, zählen beispielsweise auch Panzer. Was uns der italienische Regisseur Andrea Deaglio hier zeigt, sind keine fröhlichen Spielplatzerlebnisse, es handelt sich um eine nonverbale Therapie. Die Psychoanalytikerin Eva Pattis Zoja, der Deaglios Dokumentarfilm folgt, hat sie entwickelt.

Diese Art der Therapie, die der Traumabewältigung dient, ist keine neue Erfindung. Die Sandspieltherapie, auf der Pattis Zojas sogenannte Expressive Sandarbeit aufbaut, wurde bereits in den 1920er-Jahren von der Britin Margaret Lowenfeld (1890–1973) ent- und von der Schweizerin Dora Kalff (1904–1990) weiterentwickelt. Auch im Dokumentarfilm Die Insel der hungrigen Geister (2018) von Gabrielle Brady kommt sie vor. Worin genau der Unterschied zwischen der Sandspieltherapie und der Expressiven Sandarbeit besteht, darüber klärt Deaglios Film nicht auf. Dem Regisseur geht es vielmehr darum, die Arbeit selbst und deren Ergebnisse abzubilden. „In Kriegen oder Naturkatastrophen werden die Verletzten und Toten gezählt, doch die ,inneren Verwundeten` – die Traumatisierten – werden oft übersehen“, sagt Deaglio. Mit seinem Film schenkt er diesen „inneren Verwundeten“ Aufmerksamkeit.

Vererbtes Trauma

Deaglio ist sich der Schwere seines Themas bewusst und bringt die nötige Sensibilität dafür mit. Er stellt die Traumatisierten, zu denen ukrainische Kriegsopfer, chinesische Erdbebenopfer und jesidische Opfer der Terrorgruppe IS zählen, und ihre Leiden nicht aus. Der Blick der Kamera wahrt die nötige Distanz, gerät nie voyeuristisch, fokussiert sich zudem weniger auf die Traumatisierten selbst und mehr auf deren „Bilder“, die sie in den kleinen Sandkästen erschaffen. Ob Eva Pattis Zoja diese Bilder stets richtig interpretiert oder nicht vielmehr überinterpretiert, sei dahin gestellt. Fakt sind die positiven Ergebnisse, die ihre Arbeit zeitigt.

Die Teilnahme an Deaglios Dokumentarfilm hat darüber hinaus einen positiven Nebeneffekt auf Eva Pattis Zoja. Erzählerisch setzt der Regisseur auf zwei Stränge: die gegenwärtige Arbeit seiner Protagonistin auf der einen, die Vergangenheit ihrer Mutter auf der anderen Seite. Mithilfe alter Briefe, Fotografien und Archivmaterials zeichnet Eine Million Sandkörnchen eine tragische Liebesgeschichte nach, die vor dem Zweiten Weltkrieg begann, durch den Krieg ein abruptes Ende nahm und von Eva Pattis Zojas Mutter zeitlebens nicht verwunden wurde. Geht es nach der Psychoanalytikerin, dann hat sich dieses Trauma auf sie vererbt. Die Konfrontation damit vor der Kamera scheint ein entscheidender Schritt zu sein, diese so lange klaffende Wunde endlich zu schließen.

Credits

OT: „Un milione di granelli di sabbia“
Land: Italien
Jahr: 2024
Regie: Andrea Deaglio
Drehbuch: Andrea Deaglio, Stefano Zoja
Kamera: Stefania Bona

Bilder

Trailer

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Eine Million Sandkörnchen
fazit
Andrea Deaglios Dokumentarfilm „Eine Million Sandkörnchen“ stellt einen besonderen Ansatz der Traumatherapie vor und verschränkt auf geschickte Weise die Arbeit der Psychoanalytikerin Eva Pattis Zoja mit deren Familiengeschichte.
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