
In der Lebensgeschichte bekannter Künstler vermischen sich nicht selten Mythos und Wahrheit. Im Falle von Michelangelo Merisi, besser bekannt unter seinem Künstlernamen „Caravaggio“, trifft dies ebenso zu, denn schon kurz nach seinem Tod 1610 verbreitete sich die Legende vom „verruchten Künstler“, dessen Biografie ebenso bewegt war wie das Geschehen in seinen Kunstwerken. „Berufung des Heiligen Matthäus“ oder „Heiliger Johannes der Täufer mit Widder“, um nur zwei Beispiele zu nennen, verbinden europäische Mythen und christliche Motive mit Humanismus. Caravaggio wählte bekannte Motive und Geschichten, doch durch das Minenspiel der Figuren betonte er eine menschliche Ebene, die das Geschehen und dessen Dimension begreiflich macht. Auch technisch beeindrucken diese Werke, insbesondere durch ihre Hell-Dunkel-Kontraste, die maßgeblich zur Wirkung der Gemälde beitragen. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass Caravaggio als einer der bedeutendsten Maler des Frühbarock gilt, der seiner Zeit weit voraus war. Heute noch einen echten Caravaggio zu finden, ist natürlich eine Sensation, doch genau dies geschah 2021, als ein Gemälde des Meisters in einem Madrider Auktionshaus auftauchte.
Dies ist der Beginn von Ecce Homo – Der verlorene Caravaggio, der Dokumentation von Álvaro Longoria. Erzählt wird, was danach geschah: wie sich Kunsthändler auf das Werk stürzten, früh erkannten, um welch bedeutendes Stück es sich handeln könnte, und wie die Restauration begann. Was sich zunächst wie ein nüchtern vorgetragene Rekapitulation der Fakten anhört, wird recht schnell zu einer Art Krimi, bei dem es nicht allein um eine Bestätigung des Urhebers des Gemäldes geht, sondern vielmehr um eine Perspektive auf den heutigen Kunstmarkt, seine Hierarchien und Mechanismen. Longoria gelingt ein Kunstthriller, der zwar den Konventionen des Dokumentarfilms treu bleibt, aber zugleich den Wert von Kunst und die Mechanismen des Marktes hinterfragt.
Von Wölfen und Hyänen
Caravaggios Gemälde sind – wie bereits erwähnt – wegen ihrer Kontraste und der Betonung des Menschlichen unverkennbar. Diese Ästhetik scheint das Fundament für Longorias Herangehensweise an ihr Thema gewesen zu sein, wenn man schon die an den Meister erinnernde Farb- und Lichtgebung in den Bildern der Dokumentation betrachtet. Caravaggio lenkt den Blick des Betrachters auf die Motivation seiner Figuren, ihrer Emotionalität und der Tragik ihres Handelns, was sie nicht selten selbst zu überraschen oder schockieren scheint. Bei den Protagonisten in Ecce Homo beobachtet man eine ähnliche Bandbreite an Emotionen sowie jene, bei denen man sich ihrer Authentizität nicht sicher sein kann.
Der Kunstmarkt, so heißt es an einer Stelle, ist definiert von „Wölfen und Hyänen“, die sich um ein Werk streiten und sich gegenseitig überbieten wollen. Zwar lenkt Longoria unseren Blick immer wieder zurück auf das Kunstwerk, doch dann schweifen wir ab in die Routine eines Marktes, der – ganz wie in der Wortschaft – den Wert eines Werkes unter sich aushandelt. Es geht um Reputation, Außenwirkung und eben auch um einen enormen Geldbetrag, der vor allem wegen der Marke „Caravaggio“ zustande kommt. Man kann Ecce Homo als ein Dokument über einen außergewöhnlichen Fund betrachten, doch wirklich spannend wird Longorias Film als Studie über das Verhältnis von Kunst und Markt.
OT: „The Sleeper. El Caravaggio perdido“
Land: Spanien, Italien
Jahr: 2025
Regie: Álvaro Longoria
Drehbuch: Ana Barcos Artacho, Ricardo Fernández-Deu, Álvaro Longoria, Gerardo Olivares
Musik: Roberto Procaccini
Kamera: Fiorela Gianuzzi, Hernán Pérez
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