
Amber Kumar Gurung lebt in Bhutan und geht einem außergewöhnlichen Beruf nach. Als „Glücksagent“ trägt er dazu bei, das Bruttonationalglück zu ermitteln, für das der Binnenstaat im Himalaja so bekannt ist. Dafür reist er an der Seite seines Kollegen Guna Raj Kuikel durchs Land, besucht Menschen zu Hause und findet mit Fragebogen, Stift und Klemmbrett bewaffnet deren Glückslevel heraus. Doch Amber selbst könnte glücklicher sein. Er sucht schon lange die Frau fürs Leben, hat sie aufgrund seiner Lebensumstände aber noch nicht gefunden: Amber kümmert sich um seine pflegebedürftige Mutter, mit der er zusammen wohnt, und besitzt, obwohl er in Bhutan geboren wurde, weder eine Staatsbürgerschaft noch einen Pass. Eine Reise nach Australien, wo Sarita Chettri, die er übers Onlinedating kennengelernt hat und mit der er sich eine gemeinsame Zukunft vorstellen könnte, zum Studium hinzieht, kommt für Amber somit nicht infrage.
Froh zu sein …
Es gibt Filme, aus denen man glücklicher herauskommt, als man den Kinosaal zuvor betreten hat. Der Dokumentarfilm von Arun Bhattarai und Dorottya Zurbó zählt dazu und das nicht nur, weil er das Glück bereits in gleich zwei Sprachen in seinem Namen trägt. Für ihr jüngstes Projekt haben sich der Bhutaner und die Ungarin, die seit elf Jahren gemeinsam Regie führen, einem ganz besonderen Thema gewidmet: dem Bruttonationalglück. Das hatte der König von Bhutan in den 1990er-Jahren eingeführt, und seither hat dieses faszinierende Konzept weltweite Schlagzeilen gemacht. Das Regieduo nähert sich dem Thema auf die denkbar dankbarste Weise: über einen charismatischen Protagonisten.
Bhattarai und Zurbó begleiten Amber Kumar Gurung mit der Kamera durch seinen beruflichen wie privaten Alltag. Und schon an seiner Person zeigt sich, dass sich Glück nicht einfach staatlich verordnen lässt. Während Amber im Auftrag der Regierung Menschen nach der eigenen Zufriedenheit befragt, ist er selbst unzufrieden. Sein eigenes Glückslevel liegt niedriger als das vieler Mitmenschen. Die Gründe dafür – einer ist, dass er als Sohn zweier Geflüchteter bis heute keine Staatsbürgerschaft besitzt – führen dem Kinopublikum wiederum Aspekte vor Augen, die es von diesem mythischen Land bislang höchstwahrscheinlich noch nicht kannte. Schließlich wird der kleine Binnenstaat im Himalaja, der an Indien, China und Tibet grenzt, in den Medien gern als das „letzte Shangri-La“ verklärt (worauf das Regieduo selbst hingewiesen hat).
… bedarf es wenig
Filme wie Lunana. Das Glück liegt im Himalaya (2020) und Was will der Lama mit dem Gewehr? (2024) des bhutanischen Regisseurs Pawo Choyning Dorji haben weiter am Mythos gebastelt, so kritisch sie viele Aspekte des Lebens auch beleuchten. Und es scheint ja durchaus etwas dran zu sein an Bhutans Glücksformel, auch wenn diese durch die zunehmende Modernisierung seit der Öffnung des bis dahin abgeschotteten Landes im Jahr 2008 immer stärker aus dem Gleichgewicht gerät.
Dass die Modernisierung schlecht ist und alles davor besser war, ist eine zu einfache Aussage, auf die sich der Film nicht bringen lässt; allein schon deshalb, weil die darin befragten Menschen viel zu wenige sind, um einen gesellschaftlichen Querschnitt abzubilden. An der mit augenzwinkerndem Humor gefilmten Reise lassen sich aber durchaus Tendenzen ablesen, die sich auch auf unsere Gesellschaft übertragen ließen: Die Nutzung von Social Media macht die Menschen eher unglücklicher als glücklicher. Patriarchale Strukturen machen nur die Männer glücklich. Zu viel Besitz bereitet Kopfzerbrechen, gar keinen Besitz zu haben aber ebenso. So viel zu besitzen, dass man sich um seine Existenz keine Sorgen machen muss, beruhigt den Geist – und dafür bedarf es oft weniger als landläufig angenommen.
Und wer froh ist …
All diese Feststellungen sind freilich mit Vorsicht zu genießen, weil wir es als Kinopublikum hier mit Menschen zu tun bekommen, die ihr Glückslevel subjektiv selbst einschätzen, und sich zudem die Frage stellt, ob sich das Glück überhaupt messen lässt. Fakt sind indessen die aufschlussreichen Einblicke, die der Film von Land und Leuten gewährt. Und gewiss ist, wie viel Freude dieser Film und sein Protagonist machen. Wer am Ende den Kinosaal nicht mit einem Lächeln verlässt, geht zum Lachen vermutlich in den Keller. Alle anderen werden königlich unterhalten.
OT: „Agent of Happiness“
Land: Bhutan, Ungarn
Jahr: 2024
Regie: Arun Bhattarai, Dorottya Zurbó
Musik: Ádám Balázs
Kamera: Arun Bhattarai
Sundance Film Festival 2024
Zurich Film Festival 2024
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