
Auf den ersten Blick scheinen die beiden Filmarten entgegengesetzt zu sein. Während Dokumentarfilme darauf abzielen, die Welt da draußen abzubilden, verfremden Animationsfilme diese oft, wenn sie nicht gleich ganz neue erschaffen. Und doch finden sich immer wieder interessante Beispiele, wie beides zusammenfinden kann, wenn beispielsweise etwas illustriert wird, wofür es sonst keine Bilder gibt, oder man über das bloße Wiedergeben hinaus etwas erschaffen möchte. Another Day of Life zeichnete beispielsweise ein alptraumhaftes Bild des Bürgerkriegs in Angola 1975. Originell war auch Piece by Piece, welches das Leben von Pharrell Williams mithilfe von Lego-Figuren veranschaulichte. Wer da gedacht hat, bereits die seltsamste Form einer solchen animierten Biopic-Dokumentation gesehen zu haben, wird mit Endless Cookie eines Besseren belehrt.
Porträt zweier besonderer Brüder
Im Mittelpunkt steht hier keine internationale Berühmtheit, deren Lebensgeschichte man schon immer mal erfahren wollte. Stattdessen lernen wir zwei Brüder kennen, dazu noch das erweiterte Umfeld der beiden. Genauer handelt es sich um zwei kanadische Halbbrüder, die einen gemeinsamen Vater haben, aber unterschiedliche Mütter. Während die von Seth Scriver weiß ist, entstammt die von Peter dem indigenen Volk der Cree. Und auch der große Altersunterschied von 16 Jahren hat dazu geführt, dass die beiden sehr unterschiedliche Leben geführt haben. Und doch ist in Endless Cookie immer wieder eine besondere Nähe zu fühlen zwischen den beiden Männern, die wir im Laufe der etwas mehr als anderthalb Stunden kennenlernen.
Der Film lässt dabei vielen anderen Familienmitgliedern Raum, hinzu kommen Bekannte und Freundeskreise. Tatsächlich sind es so viele, dass man mitunter ein wenig den Überblick verliert: An einer Stelle werden die meisten in einer Art Schlittenfahrtsequenz gezeigt, die kein Ende nehmen will. Dass es einem schwerfällt, die einzelnen Leute in Erinnerung zu behalten, hängt aber auch mit der eigenwilligen Darstellung zusammen. Anstatt sie als reale Menschen zu zeigen, wie es bei einem Animationsfilm durchaus möglich gewesen wäre, verwandeln sie sich in Endless Cookie in die sonderbarsten Gestalten. Manche sind noch realen Gegenständen zuzuordnen, etwa dem titelgebenden Keks. Bei anderen weiß man gar nicht so genau, was die Scriver-Halbbrüder, die gemeinsam Regie geführt und das Drehbuch geschrieben haben, eigentlich genau zeigen.
Verwirrend, aber sympathisch
Verwirrung stiftet aber auch der Inhalt, wenn da ständig hin und her gesprungen wird. Mal geht es um einzelne Familiengeschichten, mal wird das Thema etwas weiter gefasst. Da wird dann von der kanadischen Identität gesprochen, verbunden mit dem immer etwas schwierigen Umgang mit den indigenen Völkern. Zwischendurch wird länger über einen Vorfall gesprochen, bei dem einer aus der Familie in einer Tierfalle gefangen war. Einen roten Faden braucht man in Endless Cookie erst gar nicht zu suchen. Vielmehr gleicht der Film einer Wundertüte, die bis zum Rand mit knallbunten Bonbons gefüllt ist und bei der man nie weiß, was als nächstes herausfallen wird.
Diese Mischung aus Alltag und Skurrilem, surrealen wie banalen Momenten ist schon etwas Besonderes. So besonders, dass das Publikum sicher geteilter Ansicht sein dürfte. Während die einen das vor Persönlichkeit nur so leuchtende Werk schätzen werden, dürften andere bei dieser Mischung aus Reizüberflutung und Ziellosigkeit überfordert sein. Ein wenig anstrengend ist das Ergebnis ja schon. Aber eben auch sehenswert. Der Animationsfilm, der 2025 au dem Sundance Film Festival Weltpremiere hatte, ist ein Beispiel dafür, was sich mit diesem Medium alles anstellen lässt. Außerdem ist es beeindruckend, mit welcher visuellen Kreativität diese eher kostengünstige Produktion auf sich aufmerksam macht. Die vielen sympathischen Menschen runden Endless Cookie ab, es macht oft einfach Spaß, mit diesen Zeit zu verbringen.
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