
Ainu Puri – das ist die Lebensweise der Ainu, den Ureinwohnenden Japans und Teilen Russlands, die heutzutage hauptsächlich auf Japans Nordinsel Hokkaido sowie den zu Russland gehörenden Kurilen und auf der Insel Sachalin leben. Shigeki Amanai ist einer davon, der sich für die Erhaltung der Kultur und Traditionen der Ainu einsetzt, im Einklang mit dem modernen Leben in Japan; einem Land, in dem bis heute Ainu diskriminiert werden. Durch Unterrepräsentation, Assimilation, dem fast gänzlichen Aussterben der Sprache und durch hohe bürokratische Auflagen für beispielsweise Fischfang, der für dieses indigene Volk essenziell ist, stehen die Zeichen nicht besonders gut – doch Menschen wie Shigeki wollen nicht aufgeben, für mehr Sichtbarkeit zu kämpfen, die ihnen Takeshi Fukunaga in dieser Dokumentation zusätzlich geben möchte.
Beibehaltung von Traditionen
Als für die Versorgung zuständiges Familienoberhaupt geht Shigeki auf Wildjagd und fängt Fische – dabei benutzt er teilweise Instrumente, die in ihrer Form bereits seit Jahrtausenden in Benutzung sein müssten. Weder nimmt er sich von der Natur mehr, als ihm zustünde, noch geht er rücksichtslos mit ihr um. Vor jedem Leben, das er nimmt, betet er zu den traditionellen Göttern, nach jeder erfolgreichen Aktion bedankt er sich für die Gabe, die seiner Familie Essen auf den Tisch bringt. Natürlich ist er als Mitglied der japanischen Gesellschaft nicht darauf angewiesen, die Ortschaft Shiranuka, in der er lebt, ist an sich ein ganz normales kleines Städtchen. Trotzdem ist es ihm wichtig, diese Lebensweise, die Verbindung mit der Natur, nicht nur erhobenen Hauptes auszuleben, sondern auch an nachfolgende Generationen weiterzutragen. Etwas, was zum Beispiel seiner Uroma aufgrund starker Diskriminierung nicht vergönnt war.
In der stark auf Homogenität bedachten japanischen Kultur, deren Politik ab Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges stark imperialistisch geprägt war und in der bis heute Nicht-Zugehörige diskriminierende Erfahrungen machen müssen, spielte die Kultur der Ainu über die längste Zeit keine Rolle, ein Bekenntnis dazu war gar verboten. Immer noch unzureichend, aber zumindest positiver ist die Entwicklung, die Shigeki beschreibt: Seine Community wird nicht an schamanistischen Ritualen gehindert, es gibt Bestrebungen, die Sprache wiederzubeleben, es erfolgt Anerkennung durch den Aufbau von kulturellen Zentren und Museen (wie dem sehenswerten „Upopoy“, Anmerkung des Autors).
Stimmlos im eigenen Land
Allerdings macht die Bürokratie im modernen Japan auch nicht vor jahrelang unterdrückten Ureinwohnenden Halt: Shigeki beklagt, dass man für das Fangen von Lachsen, mit eine der Hauptnahrungsquellen der Ainu, eine Genehmigung bräuchte, für die ständig Anträge gestellt werden müssten, obwohl sie weder Überfischung betreiben noch ein großes Business daraus machen. Ihr gesamtes Bestehen lang betrieben Ainu Lachsfang im Einklang mit der Natur – und nun brauchen sie eine Erlaubnis dafür, von denen, die sie ungefragt besetzten? „Das war einmal unser Haus mit freiem Zugang zu fließend Wasser, jetzt müssen wir uns die Erlaubnis holen, um den Wasserhahn aufzudrehen“, fasst Shigeki halb-resigniert, halb-frustriert zusammen.
Regisseur Takeshi Fukunaga und Kameramann Erik Shirai machen eine tolle Arbeit dabei, ohne jegliche Exotisierung oder Paternalismus das Leben einer Ainu-Familie im Direct Cinema Format zu porträtieren sowie die Bemühungen Shigekis zu zeigen, Traditionen aufrechtzuerhalten oder überhaupt erst wiederzuentdecken und diese mit der lokalen Community so gut es geht auszuleben. Die Bilder, die in Ainu Puri geliefert werden, sind intim, authentisch und behutsam, die sich durchziehende Farbe Blau wirkt sogar warm, macht die Nähe zum Meer spürbar. Bereits im 2020er Drama Ainu Mosir befasst sich Fukunaga mit dem Leben eines Ainu-Jungen im Spielfilmformat, die vorliegende Dokumentation verdeutlicht es abermals, wie wichtig es ihm ist, die Belange des indigenen Volkes sichtbar zu machen und auf Augenhöhe mit den Menschen zusammenzuarbeiten.
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