
Die attraktive Raimunda (Penelope Cruz) hat es nicht leicht – während sie versucht, mit diversen Jobs die Familie über Wasser zu halten, trinkt ihr arbeitsloser Ehemann Paco (Antonio de la Torre) lieber Fußball schauend Bier auf dem Sofa und ihre vierzehnjährige Tochter Paula (Yohana Cobo) braucht ständig, trotz Geldknappheit der Familie, ihr Handy-Guthaben auf. Darüber hinaus sorgt sich Raimunda um ihre sehbehinderte Tante (Chus Lampreave), die allein lebt und allmählich ihren Verstand bzw. ihr Gedächtnis zu verlieren scheint, denn sie spricht über Raimundas Mutter, die vor einigen Jahren bei einem Brand umgekommen ist so, als würde diese noch leben und präsent sein. Als Raimunda eines Abends nach einem langen Arbeitstag zu Hause ankommt, wartet bereits ihre verstörte Tochter auf sie und beichtet schließlich, dass sie Paco in Notwehr getötet hat, als sich dieser ihr auf unsittliche Weise nähern wollte. Raimunda beschließt die Tat zu vertuschen, als sie einen Anruf ihrer Schwester Sole (Lola Dueñas) erhält, durch den sie vom Tod ihrer geliebten Tante erfährt. In ihrer aktuellen schwierigen Lage kann sich Raimunda nicht um die Beerdigung kümmern und überträgt diese Aufgabe an Sole. Durch diesen Umstand und seinen Folgen kommen bald langgehütete Familiengeheimnisse ans Licht…
Frauen Power
Schnell wird klar, dass Frauen die Stars dieses Films sind, ob in Form der Protagonistin Raimunda, ihrer Schwester Sole, ihrer Tochter Paula, Tante Paula und Mutter Irene oder der in den Nebenrollen auftretenden Nachbarinnen Augustina und Regina: Alle Frauen sind unabhängig und brauchen keine Männer in ihrem Leben um dieses zu meistern. Wenn wir Raimundas Leben genauer unter die Lupe nehmen, so scheint ihr Ehemann Paco sogar eher für sie ein Klotz am Bein zu sein, und sie kommt nach seinem Ableben besser klar.
Interessant ist dabei auch, dass es sich bei den eben genannten Frauen um charakterlich unterschiedliche Figuren handelt: Raimunda ist extrovertiert und geizt nicht mit ihren Reizen, ohne diese bewusst einzusetzen, während Sole dagegen schüchtern und angepasst ist, wodurch sie neben ihrer Schwester wie eine graue Maus wirkt. Tochter Paula ist ein typischer, egozentrischer Teenager, der im Verlauf der Handlung allerdings eine Wende durchmacht, Raimundas Mutter Irene, die wir zunächst hauptsächlich durch Erinnerungen der anderen Protagonistinnen kennen lernen, entpuppt sich ebenfalls ganz anders, als Raimunda sie in Erinnerung hatte, und die gutmütige Tante war doch mehr als nur eine alte, senile Frau. Auch Augustina und Regina stehen auf ihre Weise “ihre Frau”: Regina ist zwar als Sexworkerin tätig, beweist sich aber auch als gute Barkeeperin, weshalb sie schließlich eine Partnerschaft mit Raimunda bzgl. ihres neu eröffneten Restaurants eingeht. Augustina, die alleine lebt, hat sich jahrelang um Raimundas Tante gekümmert und möchte nichts sehnlicher als zu erfahren, wie es ihrer Mutter, die sie selbst als Hippie beschreibt und ein unkonventionelles Leben gelebt hat, seit dem Verschwinden ergangen ist.
Auch wenn Raimunda eine bildschöne, attraktive Frau ist, so kann man nicht sagen, dass ihre Figur auf diese Attribute reduziert wird, im Gegenteil, als Zuschauer bekommt man den Eindruck, dass Raimunda die Kleidung und das Styling trägt, das für sie und ihren Typ vorteilhaft ist, doch in der Interaktion mit anderen (männlichen) Protagonisten, nutzt sie dies nicht aus. Tatsächlich flirtet sie nicht einmal bei den Gelegenheiten, die sich ergeben. In diesem Sinne kann man sagen, dass Raimunda trotz ihres Erscheinungsbildes eine rationaldenkende, zielgerichtete Figur ist, was bzgl. des Verlaufs der Handlung zeigt, dass der erste Eindruck des Zuschauers trügen kann.
Don Quijote de la Mancha
Interessant in diesem Film ist auch der Kontrast von Dorf (Region in La Mancha) und Stadt (Madrid). Raimunda, die aus einem Dorf der Region La Mancha – einer spanischen, autonomen Gemeinschaft – stammt, lebt inzwischen mit Mann und Tochter in Madrid. Doch sieht die Straße mit dem Kopfsteinpflaster, in der sich ihre Wohnung befindet, selbst wie ein Teil eines Dorfes aus. Zudem scheint Raimunda auch sämtliche Bewohner des Viertes zu kennen – was ebenfalls auf das Leben in einer Dorfgemeinschaft hindeutet. Auf diese Weise wird dem Zuschauer die Verbindung von Raimundas aktuellem mit ihrem vergangenen Leben bewusst.
Zugleich denkt man bei “La Mancha” sofort an Miguel de Cervantes’ Roman El igenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha, bzw. Don Quijote von der Mancha auf Deutsch, dessen Protagonist ja bekannt für seinen Kampf gegen die sprichwörtlichen Windmühlen ist. Da die Gemeinde in Raimundas Geburtsort abergläubisch ist und an alten Traditionen festhält, wie bereits zu Beginn des Films klargestellt wird, kann man glauben, dass Raimunda, wie Don Quijote, gegen diese sogenannten Windmühlen kämpft, wobei ihre Schwester Sole die Rolle von Don Quijotes Sidekick “Sancho Panza” einnehmen würde, vor allem wenn man bedenkt, dass Sole in ihrer Wohnung einen nicht genehmigten Friseursalon betreibt, und Sancho Panza in Cervantes Roman u.a. als Barbier tätig ist.
Demzufolge kämpft Raimunda also gegen die “Windmühlen” ihrer Vergangenheit, die sowohl mit dem Leben im Heimatdorf als auch ihren eigenen, persönlichen “Gespenstern” zu tun haben.
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