
Das Internet – ein weltumspannendes Netzwerk, eine Datenwolke, ein heute selbstverständliches Kommunikationswerkzeug. Wir haben uns über die letzten Jahrzehnte daran gewöhnt, mit immer mehr Geräten ständig online gehen zu können. Die dahinterstehende Technik hinterfragen wir kaum; nur sehr wenige verstehen sie überhaupt. Und nur die allerwenigsten versuchen, sich der Macht des Internets ernsthaft zu widersetzen und den Großkonzernen etwas entgegen zu stellen. Denn genau diese Konzerne sind es, die das Netz nun kontrollieren, in das einst so große Hoffnungen gesetzt wurden – auf Gleichberechtigung, Demokratie und Teilhabe an der Weltgesellschaft. Doch es gibt sie, die Widerständler und Tüftler, die überall auf der Welt nach neuen Lösungen suchen, um das Internet wieder zu dem zu machen, was es einmal war: ein wirklich dezentrales Netzwerk, in dem nicht nur einige wenige Akteure einen Großteil der Informationen und des Datenverkehrs kontrollieren.
Ein beispielloses Problem
The End of the Internet steigt gleich mit einem Beispiel ein, das auf anschauliche und erschreckende Weise verdeutlicht, wie viel Kontrolle die wenigen großen Akteure ausüben, die Macht über das Internet haben: Als Nicaragua einmal Truppen auf eine zum Nachbarland Costa Rica gehörende Insel verlegte, hätte dies beinahe einen militärischen Konflikt zwischen den beiden Ländern ausgelöst. Dahinter stand aber keine böse oder provokante Absicht. Man hatte sich einfach an den auf Google Maps eingezeichneten Grenzen orientiert, die die Insel dem Staatsgebiet von Nicaragua zugeordnet hatten!
Mit diesem Missverständnis, das allein aus dem blinden Vertrauen einiger weniger Individuen auf die Gültigkeit dessen beruhte, „was im Internet steht“, macht Regisseur Dylan Reibling klar, welche Gefahren von der heutigen Struktur des World Wide Web ausgehen können. Im weiteren Verlauf seines Films vermisst man solche anschaulichen Beispiele allerdings weitestgehend. The End of the Internet bleibt größtenteils abstrakt und diffus. Es gelingt dem Film nicht, seinen Gegenstand wirklich zu greifen und dem Zuschauer zu erklären, warum genau die immer weiter fortschreitende Zentralisierung des Netzes, das einst mit dem Grundgedanken der Dezentralisierung ins Leben gerufen wurde, denn nun konkret ein Problem ist. Zwar dürfte so gut wie jedem klar sein, dass die Problematik existiert. Der Film setzt hier jedoch zu viel voraus und geht kaum in die Tiefe oder liefert konkrete Beispiele.
Die Suche nach Besserung
Stattdessen verliert er sich im Portraitieren eben der Widerständler, die eigene technische Ideen verwirklichen, um das Netz wieder zu einem wirklich dezentralen Ort zu machen. In Berlin oder Spanien etwa bauen Gruppen unabhängige Netze auf, die parallel zum kommerziellen Internet laufen und als reine peer-to-peer-Netzwerke ohne zentrale Knoten funktionieren. Zumindest dem technisch kaum versierten Zuschauer bleibt der Film allerdings die Antwort auf die Frage nach dem konkreten Weltverbesserungspotenzial dieser Projekte schuldig. Stellen sie nur Modelle dafür dar, wie ein weltweites, demokratisch organisiertes Internet aussehen könnte? Wie an vielen Stellen geht Reibling nicht ins Detail, sondern springt immer wieder zum nächsten Thema.
Richtig ärgerlich wird es, als eine weitere alternative Form vorgestellt wird, mit der das Internet organisiert werden könnte: Bei Urbit handelt es sich um eine dezentralisierte Serverplattform, die von dem ultra-rechten und antidemokratischen amerikanischen Blogger Curtis Yavin gegründet wurde. Dessen Ideen werden im Film zwar kritisiert, Urbit wird später allerdings so viel Zeit eingeräumt, dass die Dokumentation stellenweise eher wie ein Werbefilm wirkt.
Mehr Fragen als Antworten
Mit der Demokratiebewegung in Taiwan oder auch dem studentischen Widerstand nach dem Tianameng-Massaker 1989, bei dem Faxgeräte genutzt wurden, um Bilder und Fakten an der Zensur vorbei zu schleusen, nennt der Film weitere Beispiele für dezentral organisierte Netzwerke. Dennoch bleibt The End of the Internet Stückwerk. So richtig vermag der Film nicht zu verdeutlichen, weshalb wir denn nun ans Ende des Internets kommen. Geht es nicht vielmehr in eine neue Phase über, was immer man auch davon halten mag? Die im Film dargestellten Lösungsansätze für das nur angeschnittene Problem hinterlassen jedenfalls mehr Fragen als Antworten.
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