New Nemuro Pro Wrestling Story
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New Nemuro Pro Wrestling Story

New Nemuro Pro Wrestling Story
„New Nemuro Pro Wrestling Story“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt / Kritik

Professionelles Wrestling ist seit spätestens den 1980ern Hort für Superheldengeschichten, das Erfüllen von Träumen, der Ort, an dem sich harte Arbeit auszahlt – ein Sinnbild des amerikanischen Traums, ein Mikrokosmos zwischen Realität und Fiktion. Der Wrestler Rikidōzan, eine Lichtgestalt in Japan, erfand quasi und popularisierte das moderne „Puroresu“, das bis heute eine wichtige Stellung in der japanischen Popkultur erfährt, nicht zuletzt durch weltweit erfolgreiche Unternehmen wie „New Japan Pro-Wrestling“. New Nemuro Pro Wrestling Story, eine Dokumentation von Hiroshi Minato, die auf der Nippon Connection 2025 ihre Europapremiere feierte, präsentiert jedoch die Wrestlingwelt abseits des Glamours und der großen Stadien, mit einem lokalen Grass-Roots-Anspruch und komplett irren Gimmicks, und vor allem mit einer riesigen emotionalen Bedeutung für die Mitwirkenden.

Lebenssinn im Wrestling

Nemuro, ein Städtchen im äußersten Nordosten von Hokkaidō, steht vor allem für Hafen und Fischerei, wird ab 2006 jedoch auch Schauplatz für eine Wrestlingliga, die alsbald immer mehr Beliebtheit im Entertainment-Underground genießt: „New Nemuro Pro Wrestling“. Gründer und selbst Superstar seiner Promotion, Samson Miyamoto, ist kein großer Athlet, eigentlich Spielzeugladenbesitzer, aber passionierter Wrestling-Fan, was die einzige Voraussetzung innerhalb dieser Ansammlung an liebenswürdigen Außenseiter*innen ist.

Im Gegensatz zu den auf eine ernstzunehmende sportliche Präsentation bedachten „New Japan Pro-Wrestling“ oder „All Japan Pro Wrestling“ oder zu blutgetränkten Deathmatch-Ligen voller verrückter Stipulationen wie „IWA Japan“ oder „Frontier Martial Arts Wrestling“ steht bei „New Nemuro“ die sorglose Unterhaltung im Vordergrund – dort antretende Wrestler*innen tragen skurrile Kostüme und Namen, die In-Ring Action ist zweitrangig: So gibt es das drei Meter hohe Maskottchen Andreza Giant Panda (der Name ist angelehnt an die Wrestling-Legende André the Giant), Hulk Homan (eine Persiflage auf den wohl bekanntesten Wrestler aller Zeiten, Hulk Hogan, der sich nicht zuletzt als ewiggestriger Rassist outete) oder auch Ossan Tiger, eine weitere Inkarnation des in Japan sehr populären Tiger Mask, wobei „Ossan“ „Mann mittleren Alters“ bedeutet.

Hier versammeln sich keine professionellen Athlet*innen mit großartigen Ambitionen, sondern hauptsächlich sich als gescheitert sehende Existenzen mit tiefgreifenden Problemen, die im Wrestling und dem Spiel mit der Crowd neuen Lebenssinn finden. Das Mitwirken bei „New Nemuro Pro Wrestling“ unter der Leitung von Samson Miyamoto, der als Ziehvater betrachtet wird, gibt diesen Menschen die Kraft, sich durch Schicksalsschläge wie Trennungen, Essstörungen, Depressionen, Todesfälle, Mobbing, etc. buchstäblich zu kämpfen, dabei Spaß zu haben, sich aktiv sportlich zu betätigen und auch noch eine kleine, aber sehr leidenschaftliche Fanbase mit ihren Auftritten zu erfreuen.

„We have work tomorrow!“

Die mit einer Erzählerstimme unterlegte Dokumentation (was unter den etlichen, derzeit im Westen äußerst populären Direct Cinema Filmen ein erfrischender Ansatz ist und zur allgemeinen Schrulligkeit des Dargestellten passt) guckt immer mal wieder tiefer in die Leben der nach außen hin farbenfrohen, nach innen hin stark gebeutelten Persönlichkeiten, und baut ab und an sympathische Cartoon-Passagen ein. Durch die mittelmäßige Kameraqualität vor allem bei Veranstaltungen der Wrestling-Liga bekommt New Nemuro Pro Wrestling Story einen Patchwork-Look, der zwar zur Thematik passt, allerdings nicht besonders schmeichelnd fürs Auge wirkt. Auch sollte man hier nicht von einer reinen Feel-Good-Doku ausgehen: Die Wrestler*innen sind von psychischen Problemen und/oder Armut geprägt, so auch Atsushi Osuna (eine komödiantische Version des bekannten Deathmatch-Wrestlers Atsushi Onita), der während der Corona-Pandemie in einer von Einsamkeit und Trauer verursachten Müllhalde von Wohnung lebt. Und der Urvater des Ganzen, Samson Miyamoto, verkündigt 2019, an einer unheilbaren Form von Krebs zu leiden und stirbt, bevor er ein geplantes Comeback-Match bestreiten kann.

Ein tragisches, abruptes Ende wollen sich die „New Nemuro“-Wrestler*innen jedoch nicht gefallen lassen – the show must go on. Getrieben von der Stärke ihrer Community und ihrer Liebe fürs Geschäft tragen sie nach der Lockerung des Corona-Lockdowns, drei Jahre nach Samsons Tod, eine Reunion-Show aus, die für große Gefühle und Erheiterung sorgt, nicht zuletzt aufgrund eines Darstellers in einem riesigen Samson-Kostüm, der sich (natürlich) mit dem Gigantenpanda prügelt. Die Hingabe, mit der die Wrestler*innen für ihren Sport stehen, für ihre Heimatstadt, für ihre Verbindung untereinander, ist respektabel und motivierend. So erzählt Hiroshi Minato eine knackige, mitreißende Außenseiter-Geschichte und transportiert die Power von Pro-Wrestling auf die Leinwand, auch wenn diese handwerklich nicht ganz rund sein möge. Nichtsdestotrotz ist es einfach schön, dass solche Erzählungen vom Rand einer Gesellschaft in letztendlich so positiver Form eine filmische Veröffentlichung erfahren.



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New Nemuro Pro Wrestling Story
fazit
„New Nemuro Pro Wrestling Story“ ist formell mehr Fernsehbeitrag als Kinofilm, mehr Indie-Passion-Project als ausgeklügelte Dokumentation. Dies zeigt sich in qualitativ nicht ganz hochwertigen Bildern und einem eher antiklimatischen Pacing mit aneinandergeschusterten Bildern, aber auch im DIY-Herz, der Wärme und der emotionalen Bindung, die die Wrestler*innen mit dem Sport und mit ihren Fans besitzen. Selbst ein Kuriosum in einem bereits nischigen Interesse, sorgen sowohl bunte Outfits als auch tragische Schicksale für ein abwechslungsreiches, schließlich nicht besonders fein ausgearbeitetes Erlebnis.
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