Ester (Anna Geislerová) macht mit ihrem Sohn David (David Vodstrčil) Urlaub bei Freunden in Italien. Wirklich entspannen und fallen lassen kann sie sich dort allerdings nicht: Auch wenn die anderen sich in Esters Gegenwart nichts anmerken lassen wollen, so bekommt sie doch mit, wie David der Gruppe zur Last fällt und für alle Beteiligten immer wieder Stress in den Urlaub bringt. Denn David ist zwar schon im Teenageralter, muss aufgrund seiner geistigen Behinderung jedoch durchgehend beaufsichtigt werden. In einer Spontanaktion stiehlt Ester eines Nachts einfach ein Wohnmobil und macht sich zusammen mit ihrem Sohn auf und davon. Ziellos fahren die beiden durch die italienische Landschaft und leben in den Tag hinein. Sie lernen die rebellische Zuza (Juliana Ol’hová) kennen, die sie bei sich aufnehmen und sind fortan zu dritt unterwegs. Doch wonach suchen sie eigentlich – oder wovor laufen sie davon?
Aufarbeitung eigener Erfahrungen
Die tschechische Autorin und Regisseurin Zuzana Kirchnerová verarbeitet in ihrem ersten Langfilm zum Teil eigene Erfahrungen. Während sie den Film schrieb, hatte sie ihre beiden kleinen Kinder um sich, von denen eines eine geistige Behinderung hat. In dem Blick, den Caravan auf die Beziehung Esters zu David wirft, steckt dementsprechend nicht nur einiges an Lebensnähe, sondern die Mutter-Sohn-Beziehung bildet auch das Herzstück des Films. Caravan kommt dabei wie eine Mischung aus Road Movie und Dokumentation daher. Ohne großen dramatischen Spannungsbogen wirken die Szenen, in denen die Figuren durchs Land streifen, manchmal genauso ziellos wie die Charaktere selbst. Ester, David und Zuza befinden sich gemeinsam mit dem Film und den Zuschauern auf einer Reise der Findung und Entdeckung. Viele der Nebenfiguren werden von Laiendarstellern gespielt, was diese Reise noch einmal realitätsnäher wirken lässt.
Kirchnerová und ihre Figuren haben es alles andere als eilig auf ihrer Entdeckungsreise. Jede Flucht vor der Realität hat es an sich, dass man sich den wahren Problemen gar nicht stellen möchte. Und so wird hier vor allem angedeutet, dass unter der Oberfläche etwas brodelt. Da ist die spürbare Lust nach Ausbrüchen und Regelverstößen, die Ester und Zuza zwar regelmäßig begehen – viel spannender aber wäre zu erfahren, woher diese Sehnsüchte kommen. Diesbezüglich bleibt der Film seinen Zuschauern leider einiges schuldig und man kann etwa nur mutmaßen, dass Ester sich etwa durch die Dauerbetreuung Davids zu sehr unter Druck gesetzt fühlt.
Eine Suche voller Enttäuschungen
Dass im Urlaub die Regeln des Alltags für eine Weile außer Kraft gesetzt werden, weiß jeder aus eigener Erfahrung. Ebenso dürfte jeder den Wunsch kennen, diesen Zustand ins Endlose zu verlängern. Genau diese Sehnsucht spürt man auch bei Ester und Zuza – das sich nicht-Kümmern-Wollen um die realen Probleme des täglichen Lebens, das eine Zeitlang legitim sein kann, aber niemals Dauerzustand. Allein David scheint das erlaubt zu sein; der Film zeigt ihn in einem ständigen Geisteszustand der Unbekümmertheit, den sich die anderen Figuren nicht leisten können.
Was Caravan aber auch darstellt, sind die Gefahren, die das von Ester gewählte Leben mit sich bringt. Nicht dazuzugehören und ständig weiterzuziehen mag seine Vorteile haben, doch in einem fremden Land ist man darauf angewiesen, auf die Hilfsbereitschaft anderer zu vertrauen und macht sich so verwundbar. Und so suchen Ester, Zuza und David fast Tag für Tag aufs Neue nach Anschluss, Nähe und bezahlter Arbeit. Häufig ist ihre Suche mit Enttäuschungen und Gefahren verbunden.
Ein „ist“ ohne „werden“
Wie die Charaktere ziellos in den Tag hineinleben, mäandert bedauerlicherweise auch der Film selbst lange Zeit vor sich hin. Er beschreibt den Ist-Zustand der Figuren, ohne diese aber vollends daraus ausbrechen und sich weiterentwickeln zu lassen oder auch nur ihre Hintergründe zu beleuchten. Dass man sich vieles über die Motivationen und Lebensgeschichten der Figuren selbst erschließen muss, lässt Caravan leider mit fortschreitender Laufzeit zu einem immer unbefriedigenderen Filmerlebnis werden. So sehr der Film einen auch in vielen Szenen durch seine Echtheit und Spontanität berührt, so fehlen eben doch entscheidende Szenen, die mehr in die Tiefe gehen und der Geschichte und den Figuren zusätzliche Facetten verleihen, welche über den reinen Wunsch hinausgehen, ein anderes Leben zu führen und aus dem Alltag auszubrechen. Das Fehlen dieser Elemente macht Caravan zu einem zwar emotionalen, aber auch irgendwie unbefriedigenden Filmerlebnis, bei dem auf allen Ebenen – inszenatorisch, schauspielerisch – mehr drin gewesen wäre, wenn das Drehbuch eine klarere Vision vorgegeben hätte.
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