Wir sprechen mit Regisseur Behrooz Karamizad über seinen Film "Leere Netze" (Foto: Laura Nickel)

Behrooz Karamizade [Interview]

Der aus dem Iran stammende und seit langem in Deutschland lebende Regisseur Behrooz Karamizade kehrt für seinen Debütfilm in seine Heimat zurück. Leere Netze erzählt von Amir (Hamid Reza Abbasi) und seiner Freundin Narges (Sadaf Asgari). Das junge Paar möchte gern heiraten, aber das ist nicht so einfach. Denn Amir stammt aus einer armen Familie, die das Brautgeld für die aus wohlhabenderen Verhältnissen stammende Narges nicht aufbringen kann. Zudem verliert Amir seinen Job genau in dem Augenblick, als ein besser betuchter Konkurrent bei Narges‘ Vater um die Hand der Freundin anhält. Weil er in der Nähe keine neue Arbeit finden kann, beschließt der junge Mann, zu den Fischern ans Kaspische Meer zu gehen, weit weg von seiner Freundin. Dort lässt er sich in krumme Geschäfte verwickeln. Auf dem Filmfest München, wo Leere Netze 2023 Premiere hatte, sprachen wir mit Behrooz Karamizade über seine Faszination für die iranische Filmkultur, seine Recherche bei den Fischern und sein Verhältnis zum Neorealismus.

Du bist im Alter von sieben Jahren nach Deutschland gezogen, aber dein Herz als Filmemacher scheint für den Iran zu schlagen. Warum ist das so?

Als Filmemacher folgt man den brennenden Fragen, die man hat. Ich bin im Iran geboren, habe viele Erinnerungen an meine Kindheit und bin dort auch immer wieder hingereist, etwa in meiner Studienzeit. Dabei habe ich gemerkt, dass im Iran Themen liegen, die mich interessieren. Zum Beispiel Ungerechtigkeiten, die ich gerne aufdecken möchte. Oder Konflikte der Menschen, die man in Filmen aufarbeiten müsste, um Lösungswege aufzuzeigen. Hinzu kommt dass mich die Filme der großen Regisseure aus dem Iran immer fasziniert haben. Die Filmkultur ist dort sehr wichtig. Schon seit meiner Kindheit habe ich wichtige Werke aufgesogen, vermittelt über meine Eltern. Als die Frage anstand, wo ich meinen Debütfilm drehen möchte, wollte ich die Herausforderung annehmen, dort zu drehen.

Ist das iranische Kino so etwas wie ein Vorbild für dich?

Meine filmischen Vorbilder dort sind unter anderem Abbas Kiarostami und Dariush Mehrjui. Aber ich würde das Bild gern erweitern um das östliche Kino überhaupt. Dazu zähle ich Nuri Bilge Ceylan, Andrei Swjaginzew oder die alten Meister Akira Kurosawa und Andrei Tarkowski. Alle haben mich sehr stark geprägt, weil sie auf visuelle Weise erzählen. Für mich steht das Bild im Vordergrund. Es soll die Geschichte, die Poesie und die Atmosphäre viel stärker transportieren als der Plot und die Dialoge. Deswegen suche ich nach Stoffen, die das Potenzial haben, auf der visuellen Ebene über Themen zu sprechen.

Konkret sind das in deinem Fall die Fischer am Kaspischen Meer.

Die Welt dieser Männer hat mir die Möglichkeit geboten, die großen Probleme, die die iranische Gesellschaft hat, in einem Mikrokosmos unter die Lupe zu nehmen. Ich denke an Arbeitslosigkeit, Niedergang der Wirtschaft, grassierende Inflation und die mangelnden Zukunftschancen für die Jugend.

Die Hauptfiguren sind junge Leute. Wie ist die Idee zu diesen Charakteren entstanden?

Den jungen Menschen im Iran bleiben die elementarsten Dinge des Lebens verwehrt. Selbst wenn sie ein Studium haben, können sie in ihrem Beruf nicht arbeiten und müssen sich mit anderen Jobs über Wasser halten. Sie dürfen nicht verreisen, bevor sie nicht ihren Militärdienst absolviert haben. Durch Gespräche mit meinen Cousins und anderen jungen Leuten, die ich auf meinen Reisen kennenlernte, habe ich verstanden, dass eines der Kernprobleme dieser Gesellschaft die Perspektivlosigkeit der jungen Generation ist. Als ich nach Geschichten dazu Ausschau hielt, kam die Figur eines jungen, naiven Menschen in meinen Kopf, der seine Freundin liebt und ein ganz einfaches Bedürfnis hat. Es geht nicht um einen großen Traum, sondern einfach darum, sie heiraten zu können, um mit ihr zusammen zu sein. Im Iran darf man sich nicht mit seiner Freundin in der Öffentlichkeit zeigen, wenn man nicht verheiratet ist. Der einfache, ganz normale Wunsch bringt den jungen Mann dazu, Schritte zu gehen, die ihn immer mehr ins Verderben ziehen.

Schon 2021 hast du den Deutschen Drehbuchpreis für das beste unverfilmte Drehbuch erhalten, also vor der jüngsten Protestbewegung im Iran. Inwiefern hat sich das Drehbuch unter dem Eindruck der Ereignisse noch verändert?

Es hat sich nicht verändert, denn der Film beschäftigt sich nicht mit den Protesten, sondern mit den strukturellen Problemen der jungen Leute im Iran. Wenn die Proteste etwas damit zu tun haben, dann ist das so. Aber ich habe den Film nicht gemacht, um die Proteste zu beschreiben. Auch im Nachhinein habe ich das nicht eingearbeitet. Die Geschichte ist ganz klar: Es geht um einen jungen Menschen, der am Anfang hehre moralische Werte und eine große Liebe hat, der sich aber aufgrund seiner schwierigen Lage entscheidet, den falschen Weg einzuschlagen. Ich wollte das nicht in Schwarz-Weiß-Gegensätzen erzählen, sondern eher in Grautönen. Denn die Probleme dieser Gesellschaft sind sehr komplex und differenziert. Dafür ist das Sinnbild des Netzes sehr wichtig. Wenn die Fische im Netz zappeln, ist das, wie wenn die jungen Leute im Iran um Luft ringen. Die Netze mit ihren vielschichtigen Maschen, die für vielschichtige Probleme stehen, drücken sie herunter. Das zu erzählen, war mir wichtiger als zu agitieren.

Die Zensurbehörde kannte wohl das Drehbuch, in dem ganz klar von Klassengegensätzen und von der Not der armen Leute berichtet wird. Wie war es möglich, trotzdem eine Drehgenehmigung zu bekommen?

Wenn man im Iran einen Film drehen will, muss man das Drehbuch einer Behörde des Kulturministeriums vorlegen. Sie entscheidet, ob der Film gedreht werden kann oder nicht. Das gilt nicht nur für Filme, sondern auch für Bücher und Theaterstücke. Dennoch ist es für uns Filmemacher wichtig, über die Themen zu sprechen, die in der Gesellschaft akut sind. Deswegen versuchen wir, diese Punkte über Umwege darzustellen. Zum Beispiel gibt es nicht die Möglichkeit, ein Liebespaar Händchen haltend oder küssend zu zeigen. Aber man kann versuchen, Sinnbilder für die Liebe zu finden, etwa wie bei uns das rote Kopftuch oder die Leichtigkeit der Eingangsszene am Meer oder die Motorradfahrt, bei der die beiden zu schweben scheinen. So machen wir das mit allen anderen Themen auch, soweit es geht. Ganz klar zeige ich Missstände, aber ich versuche es nicht von oben aus der Vogelperspektive zu tun, sondern aus der Sichtweise der Menschen, die auch eine Entscheidungsmöglichkeit haben. Menschen sind verantwortlich für Ihre Handlungen, auch wenn sie in Not sind. Man muss das differenziert darstellen.

Mich haben die Szenen bei den Fischern sehr beeindruckt. Wie hast du dort recherchiert?

Nachdem ich auf das Thema gestoßen war, habe ich bei einer Rundreise am Kaspischen Meer diese Art der Fischerei gesehen und war sofort fasziniert. Die Fischer schließen sich über Monate in einer Art Kolchose zusammen. Sie verdienen nur das, was sie fangen, bekommen also keinen festen Lohn. In der Saison leben sie monatelang entfernt von ihren Familien. Es ist ein reiner Männerkosmos und dort wirken die Gesetze der patriarchalischen Welt. Um die Rauheit dieses Lebens im Film spüren zu lassen, beschloss ich, mit echten Fischern zu arbeiten, die ein bisschen ein schauspielerisches Talent mitbringen. Dazu kamen sehr gut ausgebildete Schauspieler aus dem Iran wie Ali Bagheri, der den Rahim, einen der Chefs spielt. Anders hätten wir diese spezielle Art der Fischerei gar nicht einfangen können. Es ist ein Seilzugsystem mit Traktoren, die die Netze ans Land ziehen. Das existiert in dieser Weise nur am Kaspischen Meer. Auch der Aspekt der illegalen Stör-Jagd wegen des Kaviars ist authentisch. Es gab auch einen echten Wilderer in unserem Team. Ich sage jetzt nicht, wer das ist (lacht).

Stellenweise hat der Film eine neorealistische Anmutung. Siehst du diese Stilrichtung als Vorbild?

Ich bin sicher geprägt von neorealistischen Filmen. Ich würde Leere Netze aber nicht so etikettieren, weil ich keiner bestimmten Filmrichtung folge. Mein Drang ist, Bilder zu finden, die die Emotionen und den Subtext der Figuren transportieren. Bei der Schauspielführung mag ich die Mischung aus einem kraftvollen Bild und einem natürlichen Spiel, wie man es auch in vielen neorealistischen Filmen sehen kann. Und was die Fischer betrifft, so habe ich mich sehr stark an Stromboli von Roberto Rossellini orientiert, also an den Szenen, wo die Thunfische aus dem Meer gezogen werden.

Könntest du Leere Netze auch heute noch im Iran drehen, nach allem, was an Repressionen in der Zwischenzeit geschehen ist?

Ich würde den Film heute noch einmal genauso zur Genehmigung vorlegen, auch wenn ich weiß, was in der Zwischenzeit passiert ist. Denn die Frage der Zukunftsperspektive für die junge Generation ist für mich weiterhin nicht geklärt. Ob der Film dann noch einmal genehmigt würde, müsste man ausprobieren.

Gibt es neue Projekte? Und wenn ja, spielen die auch wieder im Iran?

Es gibt neue zwei Projekte, aber sie sind noch nicht in einer Phase, in der ich konkret davon sprechen kann. Eines davon schreibe ich zusammen mit einer sehr bekannten deutschen Drehbuchautorin. Es gibt eine Geschichte, die im Iran spielt, aber auch eine, die in Deutschland spielt. Man muss ja immer parallel arbeiten und schauen, welches Projekt als erstes finanziert wird. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass sich für mich und meine Partner Türen öffnen könnten durch die Einladung von Leere Netze hier auf das Festival in München und auch in den Wettbewerb des Festivals von Karlovy Vary.

Zur Person
Behrooz Karamizade wurde 1978 in Ahwaz im Iran geboren. 1984 immigrierte er gemeinsam mit seiner Familie über die ehemalige Sowjetunion durch die ehemalige DDR in die BRD. Seit 1985 lebt er in Deutschland. Von 2005 bis 2013 studierte er Filmregie an der Kunsthochschule in Kassel. Mit seinen ersten Kurzfilmen gewann er mehrere Preise. Mit seinem Abschlussfilm Bahar im Wunderland nahm er an über 150 Filmfestivals teil und gewann 20 Preise, unter anderem den Deutschen Menschenrechtsfilmpreis 2014. 2016 wurde der Film auf ARTE ausgestrahlt. Leere Netze ist Behrooz Karamizades Langfilmdebüt und gewann beim Filmfest München den „Förderpreis Neues Deutsches Kino“ in der Kategorie Produktion sowie den Spezialpreis der Jury im Hauptwettbewerb des renommierten Filmfestivals von Karlovy Vary.



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