That Kind of Summer Un été comme ça
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That Kind of Summer

That Kind of Summer Un été comme ça
„That Kind of Summer“ // Deutschland-Start: 1. Dezember 2022 (MUBI)

Inhalt / Kritik

Léonie (Larissa Corriveau), Eugénie (Laure Giappiconi) und Geisha (Aude Mathieu) befinden sich in Therapie. Die drei sind für 26 Tage in einem abgelegenen Haus untergebracht, um dort unter therapeutischer Begleitung über ihre Hypersexualität zu sprechen. Ständige Begleiter des Aufenthalts sind Geschichten über sexuelle Grenzerfahrungen und persönliche Dämonen, sodass die Zeit für alle Beteiligten zu einer Herausforderung wird.

Das Beobachten beobachten

Es sind aber nicht nur die Figuren, die sich dieser Herausforderung stellen, auch wir Zuschauenden sind es. Das liegt zum einen an der Thematik, wenn uns die Protagonistinnen schonungslos an ihren sexuellen Eskapaden teilhaben lassen, zum anderen aber auch an der Inszenierung. Wir erleben eine erbarmungslose Kamera, die keine Nähe scheut, regelrecht an den Figuren und ihren Körperteilen klebt. Dadurch entsteht eine sehr immersive und intensive Wirkung, die weitestgehend in ihren Bann ziehen kann.

Kontrastiert wird das mit der Anlage der Perspektive. Der Film bleibt stets außerhalb der Figuren. Wir beobachten sie, sind aber nie ein Teil von ihnen. Sind ihnen ganz nah und doch fern. Sie bleiben uns immer ein Stück fremd, ein Stück unerreichbar. Gerade deshalb entsteht eine fast schon bizarr anmutende Wirkung von Figuren, die ihre intimsten Details scheinbar problemlos mitteilen.

Die Grenzen des Hedonismus

Diese Wirkung ist natürlich kein Zufall. Genau den beschriebenen Kontrast nutzt der Film, um die gängigen Meinungen zum Verhalten der Protagonistinnen zu hinterfragen. Wo liegt die Grenze zwischen Freiheit und Selbstzerstörung? Und obliegt es Außenstehenden, das zu beurteilen? Die Frage nach dem Sinn und der Funktionsweise von Therapien schließt daran an. Denn mit der Frage, was krankhaftes Verhalten ist, muss auch die Frage, was dessen vermeintliche Heilung dann ist, gestellt werden. Im Fall von That Kind of Summer geht das nicht nur mit den Reaktionen der Protagonistinnen auf die Therapie einher, sondern auch mit der Dekonstruktion der Therapeutinnen. Diese haben ihre persönlichen Probleme wie die Abhängigkeit von einer toxischen Beziehung, zeichnen sich durch Missgunst untereinander aus und werden dadurch in ihrer Rolle diskreditiert.

Inwiefern Therapien sinnvoll sind und die sonstigen gestellten Fragen beantwortet der Film nicht eindeutig. Stattdessen stellt er eine zerstörerisch wirkende Lebensrealität mit scheinbar zufriedenen Betroffenen gegenüber. Entsprechend schwebt auch die Frage im Raum, ob die Betroffenen denn wirklich glücklich mit ihrem Leben sind. Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek sieht in der Szene in Persona, in der Alma von der Orgie am Strand erzählt, eben diese Erzählung als das Reizvolle für sie. Das Kreieren einer solchen Realität, einer solchen Persona ist auch ein Aspekt der unweigerlich in That Kind of Summer eine Rolle spielt.

Die Sexualität und Sexualisierung der Frau

Anzumerken an Žižeks Aussage ist, dass er die Freude am Nacherzählen sexueller Erlebnisse als allgemein weibliches Phänomen betrachtet. Mit dieser kontroversen Aussage schließt er an einen Punkt des Regisseurs und Autors von That Kind of Summer, Denis Côté, an. Dieser sagt, sein Film handle von der weiblichen Sexualität, wofür er teils stark kritisiert wurde. Doch ist diese Kritik in einem Werk, das einen so dekonstruktivistischen Ansatz hat, angebracht?

Nun, die Aussage hinterlässt allemal einen unangenehmen Nachgeschmack. Denn That Kind of Summer spielt wie beschrieben damit, dass wir als Publikum das Verhalten der Figuren unangenehm finden und eine Problematik darin sehen. Zwar stellt er eben die Problematisierung eines solchen Verhaltens infrage, aber zu sagen, der Film handle von explizit weiblicher Sexualität, obwohl er eindeutig menschliches Grenzverhalten thematisiert, verleitet zu fragwürdigen Implikationen. Côté nutzt für einen Film, der die Grenzen menschlichen Sexualverhaltens thematisiert, ausschließlich Vertreterinnen des Geschlechts, das ohnehin mit struktureller Benachteiligung durch Sexualisierung und Objektifizierung zu kämpfen hat.

Natürlich kann argumentiert werden, dass man solche Aussagen vom Film trennen sollte. Aber auch unabhängig von Côtés Aussage ist festzuhalten, dass die einzige Person im Film, die keinen fragwürdigen Lebensstil hat, der männliche Sozialarbeiter ist. Insgesamt bildet sich eine Problematik heraus, die nicht ignoriert werden kann. Es wirkt so, als verliere der Film, neben seinem spannenden Ansatz, ein wenig seine sonstigen Implikationen aus dem Auge, sodass er nicht sein ganzes Potenzial entfalten kann.

Credits

OT: „Un été comme ça“
Land: Kanada
Jahr: 2022
Regie: Denis Côté
Drehbuch: Denis Côté
Kamera: François Messier-Rheault
Besetzung: Larissa Corriveau, Aude Mathieu, Laure Giappiconi, Anne Ratte-Polle, Samir Guesmi, Josée Deschênes, Marie-Claude Guérin

Trailer

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That Kind of Summer
fazit
„That Kind of Summer“ ist ein sehr schwieriger Film. Er wählt einen dekonstruktivistischen und wirklich interessanten Ansatz, um Dinge zu hinterfragen, die in unserer Gesellschaft als selbstverständlich gelten. Dabei rutscht er aber immer wieder in die Situation, von der Komplexität und Vielschichtigkeit des Themas sozialer Implikationen menschlicher Sexualität verschluckt zu werden. Auch die tolle Inszenierung hilft nur bedingt darüber hinweg.
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