We Almost Lost Bochum
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We Almost Lost Bochum – Die Geschichte von RAG

Kritik

We Almost Lost Bochum
„We Almost Lost Bochum – Die Geschichte von RAG“ // Deutschland-Start: 10. September 2020 (Kino) // 14. Mai 2021 (Blu-ray)

Rap aus Deutschland? Das geht doch nicht! Inzwischen ist der hiesige Sprechgesang natürlich schon etabliert, in den verschiedensten Ausprägungen und Stilen, das Genre hat zahlreiche Stars hervorgebracht. Doch das war nicht immer so. In den 90ern gab es zwar erste Erfolgsgeschichten zu erzählen, allen voran natürlich die der Fantastischen Vier. Doch die waren mit ihren oft witzigen Texten und dem Major Label im Rücken der zuvor eher im Untergrund agierenden Szene nicht authentisch genug. Gerade die 90er waren daher eine sehr spannende Zeit, als der Mainstream eine Musikrichtung entdeckte – oder umgekehrt –, Alteingesessene mächtig Kontra gaben, man allgemein einfach noch nicht wirklich wusste, was Deutschrap alles sein kann und was nicht.

Die Geschichte eines Scheiterns
We Almost Lost Bochum – Die Geschichte von RAG nimmt uns mit zurück in diese Zeit und erzählt die Geschichte einer Band, die irgendwie zwischen allen Stühlen saß. Ruhrpott AG hieß sie, oft als RAG abgekürzt, und repräsentierte eben die Ruhrpott-Rap-Ausrichtung, welche sich deutlich von der etwa in Stuttgart, Hamburg und Berlin unterschied. Wem der Name jetzt auf Anhieb erst einmal nichts sagt, muss sich nicht schämen. RAG war eine dieser Gruppen, die in diese Aufbruchstimmung Ende der 90er hineingezogen wurde, als auf einmal reihenweise Bands zu Stars werden sollten. Doch angekommen sind sie dort nie. Nach einem vielbeachteten, aber nicht übermäßig erfolgreichen Indie-Debüt namens Unter Tage folgte drei Jahre später das Debüt auf einem Major Label – und wurde so wenig beachtet, dass die Karriere schon wieder vorbei war, bevor sie überhaupt angefangen hat.

Für eine Künstlerdoku ist das eher ungewöhnlich. Meistens sind diese eigentlich verkappte Imagefilme, in denen Fans hinter der Kamera einfach mal ihren Idolen nahekommen und sich etwas in ihrem Glanz sonnen wollen. Kritisches Hinterfragen ist nicht, da wird mit Superlativen um sich geworfen, als gäbe es kein Morgen mehr – was oft genug auch wirklich stimmt. Die Zukunftsaussichten von RAG sind trotz zeitweiliger Wiedervereinigung und einem rückblickenden Ansehen ebenfalls eher gering. Umso spannender ist, was We Almost Lost Bochum zu sagen hat, über die Band, über die damaligen Mitglieder, aber auch das berufliche und künstlerische Umfeld Ende der 90er.

Sehenswertes Zeitporträt
Das richtet sich einerseits an Fans, seien sie von RAG selbst oder der Musikrichtung. Da gibt es Archivaufnahmen und Konzertmitschnitte, die einen Einblick in die oft etwas melancholisch gefärbten Stücke geben. Die drei überlebenden Mitglieder Aphroe, Pahel und DJ Mr. Wiz – das vierte mit dem Namen Galla starb bereits 2011 – erzählen aber auch sehr viel darüber, wie sich das damals anfühlte und wie es im Anschluss weiterging. Wenn beispielsweise über den Alltagsrassismus in Deutschland gesprochen wird, den die Mitglieder mit Migrationshintergrund selbst erleben mussten, dann mag das mit der Musik wenig zu tun haben. Aber diese Szenen setzen sich doch zu einem Porträt zusammen, das auch der reflektierten drei Männer wegen sehenswert ist, die so gar nicht dem Image entsprechen, welche dem Rap oft anhängt. Weder sind die unbekümmerte Wortakrobaten, noch selbst ernannte Gangster.

Die Dokumentation, die bei den Hofer Filmtagen 2019 lief, ist aber auch als Zeitdokument sehenswert. Sie zeigt auf, wie sich die Musik damals veränderte, wie Independent und Mainstream sich annäherten, während keiner so recht wusste, was zu tun ist. Der Film ist darüber hinaus eine nostalgisch stimmende Erinnerung daran, wie anders das Musikgeschäft damals noch war, als Fernsehen teils noch von Fans gemacht wurde, es keine sozialen Medien gab, die in Windeseile ein Phänomen erzeugen und gleich wieder begraben können. We Almost Lost Bochum ist ein Film über das, was war, was hätte sein können, was verloren wurde, durchaus mit Wehmut in der Stimme, ohne dabei in Verbitterung zu versinken.

Credits

OT: „We Almost Lost Bochum – Die Geschichte von RAG“
Land: Deutschland
Jahr: 2019
Regie: Julian Brimmers, Benjamin Westermann
Drehbuch: Julian Brimmers
Kamera: Benjamin Westermann

Bilder

Trailer

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„We Almost Lost Bochum“ erinnert an die deutsche Rap-Band RAG, die Ende der 90er kurz vor dem Durchbruch stand, dann aber in der Versenkung verschwand. Der Dokumentarfilm zeigt aber nicht allein, was damals geschehen ist und wie es mit den Musikern weiterging, sondern ist auch ein sehenswertes Zeitporträt über die damalige Szene und das Musikgeschäft im allgemeinen.