Aardvark
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Aardvark

„Aardvark“ // Deutschland-Start: 22. August 2019 (Kino)

Josh Norman (Zachary Quinto) geht es nicht gut, und das schon seit Längerem. Immer hat er im Schatten seines Bruders Craig (Jon Hamm) gestanden, der als Schauspieler Karriere gemacht hat. Einen nennenswerten Kontakt gibt es zwischen den beiden schon seit einer Weile nicht mehr. Doch vergessen hat Josh ihn nicht. Im Gegenteil: Immer wieder hat er eigenartige Halluzinationen, in denen Craig auftaucht, jedes Mal in einer seiner Rollen. Oder sind es keine Halluzinationen? Wird er vielleicht wirklich verfolgt? Und was ist mit Hannah (Sheila Vand), die Interesse an ihm zeigt. Ist sie echt? Seine Therapeutin Emily (Jenny Slate) soll ihm aus diesem Unglück helfen, was alles andere als leicht ist – vor allem, als sie Craig tatsächlich begegnet und sich in ihn verliebt.

Brian Shoaf ist ein Mann, der offensichtlich eine Schwäche für Rätsel hat. Oder eine Abneigung gegen das Konkrete. In Aardvark ist beides möglich, so lautet das Filmdebüt des Regisseurs und Drehbuchautors. Aber hier ist vieles möglich, gleichzeitig aber auch nicht. Das erste Rätsel ist eines, welches das Publikum schon beim Titel erwartet: Wer das Wort nicht aus dem Englischen oder Niederländischen kennt, wird wohl eher nicht erraten, dass damit das in Afrika heimische Erdferkel gemeint ist. Das ist im Film auch zu sehen, als einer von vielen Rückblicken, wenn Josh und die anderen versuchen, sich aus der Vergangenheit einen Reim zu machen. Oder der Gegenwart.

Verloren in lauter Bruchstücken
Man könnte es als ein Versäumnis des hiesigen Verleihs ansehen, den Titel nicht ins Deutsche übersetzt zu haben. Andererseits passt das seltsame Wort zu einem Film, der selbst gerne seltsam ist. Immer wieder Bruchstücke anbietet, von denen man überzeugt ist, dass sie etwas bedeuten, ohne dass wir aber je eindeutig Zugriff dazu fänden. Was logisch ist, schließlich tut Josh das ja auch nicht. Und da wir der Geschichte durch seine Augen folgen, sind wir in dieser bald ebenso verloren wie er selbst: Aardvark imitiert als Film ein wenig die Wahrnehmung seines Protagonisten.

Dass Josh mit psychischen Problemen zu kämpfen haben, das erfahren wir zwar schon früh. Warum sonst sollte er bei einer Therapeutin Hilfe suchen? Und es gibt auch immer wieder Theorien und Schlagwörter, um den zurückhaltenden, verschlossenen Mann kategorisieren zu wollen. Aber erst mit der Zeit werden die Hinweise deutlicher, setzen sich die Schemen zu Bildern zusammen. Ein Bruder, der viel mehr aus sich gemacht hat. Ein Bruder, der vielleicht doch nicht so toll war. Ein Zoo mit vielen schönen Erinnerungen. Ein Zoo mit nicht so schönen Erinnerungen.

Hilflos vor dem Abgrund
Immer wieder verstrickt sich Aardvark in Widersprüche, könnte hier sein, könnte dort sein, ist am Ende nirgends. Das ist einerseits interessant: Die Sehnsucht eines unglücklichen Mannes nach Heilung nimmt immer wieder traumartige Züge an. Nicht mehr zwischen Realität und Vorstellung unterscheiden zu können, ist ein beliebtes Element von Horrorfilmen oder Thrillern. Dies jedoch zu nutzen, um sich einem Mann mit psychischer Störung zuzuwenden, das ist eher selten. Unheimlich ist das Gezeigte nie, eher traurig, bedrückend. Man würde Josh, der im eigenen Leben gestrandet ist, so sehr wünschen, das Glück zu finden. Aber das ist schwierig, wenn man nicht weiß, was genau das Problem ist.

Eines ist Aardvark, das 2017 auf dem Tribeca Film Festival Premiere hatte, jedoch sicher nicht: eine reale Auseinandersetzung mit psychischen Krankheiten. Anders als etwa Hirngespinster, das sich mit den Folgen und dem Leid von Schizophrenie auseinandersetzt, in all seiner unangenehmen Hässlichkeit, da bleibt Shoaf an der Oberfläche. Die Komplexität einer Störung wird hier heruntergespielt, verharmlost auch. Der Film sehnt sich nach einfachen Antworten, selbst wenn er keine gibt. Teilweise ist das rührend, zumal das Drama auch mit sehr guten Darstellern dem Thema zu Leibe rückt. Es ist nur nicht wirklich befriedigend, sondern gefällt sich in einer schwammigen Unzurechnungsfähigkeit, bei der alle ein wenig verkorkst sind, sich jedoch keiner in die Abgründe hineintraut. Aber es ist gut, darüber gesprochen zu haben.



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Ein psychisch angeknackster Mann fühlt sich von seinem Bruder verfolgt. Das klingt nach Thriller, ist aber tatsächlich ein Drama, das sich dem Thema psychische Störung auf eine traumartige Weise annähert. Das ist gut gespielt, teilweise rührend, scheut sich aber so sehr vor dem Konkreten und den Abgründen, dass am Ende nur das Rätsel bleibt.
5
von 10