Un cafe sans musique cest rare a Paris
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Un café sans musique c’est rare à Paris

Un cafe sans musique cest rare a Paris
„Un café sans musique c’est rare à Paris“ // Deutschland-Start: 18. Juli 2019 (Kino)

Für Anna (Jana Klein) fängt der Urlaub in Paris denkbar schlecht an. Kaum ist sie in der Stadt angekommen, hat schon jemand ihr Gepäck gestohlen. Eine wirkliche Hilfe sind ihr die Menschen vor Ort nicht, niemand hat vor, ihr beim Wiederfinden zu helfen. Dafür findet sie etwas anderes: ein Paar, das vorgibt, sie zu kennen und mit ihr Zeit verbringen will. Eigenartig nur, dass Anna so gar keine Ahnung hat, wer die beiden sein sollen. Und auch spätere Begegnungen, die sie immer wieder haben wird, kann sie nur schlecht einordnen oder überhaupt entscheiden, ob sie real sind oder nicht.

Eine Protagonistin, die sich zu Beginn eines Films nicht an ihr Umfeld erinnern kann, doch das kommt immer mal wieder vor, gerade auch im Bereich des Thrillers. Gemeinsam mit ihr – wahlweise mit ihm – geht das Publikum auf eine Reise in die Vergangenheit, setzt nach und nach Puzzleteile zusammen, um am Ende ein großes Rätsel zu lösen. Das hängt meist mit einem tragischen Schicksal zusammen oder auch finsteren Mächten, Verbrecher spielen meist eine große Rolle. Beispiele dafür gibt es viele, von dem fabelhaften Kultfilm Memento von Christopher Nolan bis zum aktuellen Netflix-Schund Secret Obsession.

Alles nichts, was es ist oder nicht
Un café sans musique c’est rare à Paris wirkt zeitweise so, als wolle der Film in eine ähnliche Richtung gehen. Zumindest die mysteriöse Stimmung und die vielen eigenartigen Widersprüche sprechen dafür. Warum kann sich Anna nicht an die Leute erinnern, die behaupten, sie zu kennen? Lügen sie? Lügt Anna? Gibt es eine Doppelgängerin? Die üblichen Mutmaßungen, die Genrefans an dieser Stelle automatisch anstellen werden, treffen die Situation aber nicht. Nicht nur, dass es einen Unterschied gibt zwischen der Identität, die Anna für sich in Anspruch nimmt, und der, die sie von anderen erhält. Diese Identität ist nicht einmal fest.

Eine andere Stelle des Films zeigt, wie Anna und ein Mann, dem sie in einer Bar begegnet, zu ihm nach Hause gehen. Ein typisches One Night Stand, könnte man meinen. Doch auch hier bleibt nichts, wie es ist oder wie man es gern hätte. Die nächtliche Affäre wandelt sich in eine langjährige Beziehung, die mit einer ebensolchen Selbstverständlichkeit behauptet wird wie der Widerspruch. Und das sind nur zwei der diversen Beispiele, welche Regisseurin und Co-Autorin Johanna Pauline Maier hier eingebaut hat. Auch andere Szenen werden damit spielen, dass Erwartungen gezielt unterwandert werden, nichts je das ist, wofür wir es halten.

Die ewigen Fragen nach dem Ich
Anstatt daraus aber einen spannenden Thriller zu basteln, da wird bei Un café sans musique c’est rare à Paris eine ruhige Reflexion zum Thema Identität daraus. Wer bin ich eigentlich? Was macht mich aus? Sprache und Namen als Identifikationsparameter spielen mit rein. Auch die Frage des anderen: Bin ich, wer ich für andere bin? Wie sehr werde ich von außen mitbestimmt? Das ist teilweise klassisches Coming-of-Age-Material, geht aber darüber hinaus und zieht zahlreiche philosophische Implikationen nach sich. Wer eine Neigung zu solchen hat und gerne über dieses Thema oder Filme im allgemeinen nachgrübelt, für den ist das hier eine reizvolle Angelegenheit. Antworten sollte man sich aber keine erhoffen, die Geschichte bleibt bis zum Schluss diffus.

Und: Un café sans musique c’est rare à Paris bleibt eine reine Kopfangelegenheit. Da Anna sich selbst nicht sicher ist, wer sie denn nun ist, lernt das Publikum sie nie wirklich kennen. Selbst die gelegentlichen zwischenmenschlichen Beziehungen bleiben auf Distanz, der Film ist eine vage Gedankenspielerei, die nie dazu einlädt, sich selbst darin wiederzufinden. Interessant ist das, auch wenn das auf Dauer etwas zerfasert. Diese ständigen Bestrebungen, sich auf nichts festlegen zu lassen, führen irgendwann dazu, dass alles etwas beliebig wirkt. Dass es letztendlich nicht wichtig ist, wer Anna denn nun ist, weil sich sowieso keine Antwort finden wird. Dafür gibt es immer wieder sehr bestimmt schöne Bilder, die von einer vergleichbaren Fremdartigkeit sind wie der Inhalt, wenn wir durch ein Paris irren, oft nachts, das kaum mehr wiederzuerkennen ist.



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In „Un café sans musique c’est rare à Paris“ lernen wir eine Frau kennen, die wir gar nicht kennenlernen können – weil sie selbst nicht wirklich weiß, wer sie ist. Der Film ähnelt einem Mysterythriller, statt Hochspannung ist hier aber ruhige Reflexion zum Thema Identität angesagt. Wer gerne über dieses Thema nachdenkt, wird in diesem seltsamen Werk lohnenswerte Irritationen finden, Antworten gibt es hier hingegen keine.
6
von 10