Greta 2019
© Aline Belfort

Greta (2019)

Greta 2019
„Greta“ // Deutschland-Start: 5. Juni 2020 (DVD)

Das Krankenhaus in der brasilianischen Metropole Fortaleza ist überfüllt. Mal wieder. Doch davon lässt sich der 70-jährige Krankenpfleger Pedro (Marco Nanini) nicht abhalten. Als seine Transgender-Freundin Daniela (Denise Weinberg) dringend ein freies Bett braucht, überredet er deshalb einen verwundeten jungen Mann (Demick Lopes), der unter polizeilicher Beobachtung steht, das Krankenhaus zu verlassen und zu ihm zu gehen. Der lässt sich auf den Deal auch tatsächlich ein, und sei es nur, um der Gefängnisstrafe aus dem Weg zu gehen. Doch das Zusammenleben der beiden Männer gestaltet sich deutlich komplizierter – vor allem, als auch noch Gefühle ins Spiel kommen.

Die Wahl war mit viel Spannung erwartet worden. Und auch mit Angst. Am Ende kam es wie prognostiziert bzw. befürchtet, Jair Bolsonaro übernahm die Macht. Und damit einer, der gegen alles poltert, was auch nur im Entferntesten nach gesellschaftlichem Fortschritt riecht. Eines seiner Lieblingsziele: Homosexuelle. So ließ er unter anderem verlauten, er könne keinen homosexuellen Sohn lieben, würde ihm stattdessen wünschen, in einem Autounfall zu sterben. Dass eine solche Einstellung nicht unbedingt dazu beiträgt, dass Homosexuelle sich sicher genug fühlen, um sich vor anderen zu outen, muss da nicht erst besonders betont werden.

Im Bett wie eine Göttin
Umso schöner ist es, wenn mit Greta gerade jetzt ein Drama aus Brasilien kommt, das eine sexuelle Selbstfindung behandelt. Eine überaus späte. Dabei ist sich Pedro natürlich bewusst, dass er schwul ist, macht daraus auch kein Geheimnis. Doch der Film zeigt, wie er einen offensichtlich länger gehegten Traum erst vorsichtig anspricht, ihn später mehrfach wiederholt, bis er stolz zu ihm steht. Er möchte Greta Garbo genannt werden, nach seinem großen Vorbild, der Schauspielikone. Vor allem beim Sex.

Warum er diesem Wunsch nicht schon viel früher Ausdruck verleiht, das verrät Regisseur und Drehbuchautor Armando Praça nicht. Aufgrund von Pedros enger Freundschaft zu Daniela wäre es doch irgendwie zu erwarten gewesen, dass er da keine größere Scham hat. Und auch an anderen Stellen von Greta ist nicht immer so ganz ersichtlich, warum sich Figuren so verhalten, wie sie es tun. Das betrifft gerade die etwas eigenartige Beziehung von Pedro und Jean, die als reines Zweckarrangement beginnt und sich später in wenig definierbare Richtungen weiterentwickelt.

Wenn zwei Einsame sich treffen
Und doch ist es irgendwie rührend, wie hier zwei Männer zueinanderfinden, die irgendwie niemanden haben im Leben. Pedro sucht den anonymen Sex in Schwulensaunas, Jean ist auf der Flucht vor der Polizei, was die zwischenmenschlichen Optionen doch ziemlich einschränkt. Wenn aus der anfangs so konfrontativen Begegnung mehr wird, Opportunismus und Zuneigung miteinander verschmelzen, dann ist auch das eine Form der gegenseitigen Akzeptanz. Denn so kurios der spezielle Wunsch von Pedro anfangs erscheint – er wird im Film mehrere verwirrte Blicke erhalten –, so wird er dafür doch nicht ins Lächerliche gezogen.

Ungewöhnlich ist auch der Sex: Greta, das auf der Berlinale 2019 Weltpremiere feierte, schönt hier nichts, die Bettszenen dürfen grob sein, wenig erotisch, eine Mischung aus nackter Lustbefriedigung und Einsamkeit. Denn allein sind sie hier ja alle an der einen oder anderen Stelle. Und doch macht das Drama Mut. Es muntert auf, sich zu öffnen – sich selbst gegenüber oder auch anderen. Es lässt einen daran glauben, dass alles gut werden kann, selbst mit über 70. Selbst wenn sonst niemand da ist, der dich bewundert. Da ist es dann auch schon zweitrangig, dass zwischendurch gar nicht so klar ist, was hier eigentlich noch erzählt werden soll.



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Ein bisschen komisch wirkt es ja schon, wenn in „Greta“ ein 70-jähriger Krankenpfleger beim Sex Greta Garbo genannt werden möchte. Das Drama macht sich jedoch nicht über seinen Protagonisten lustig, sondern muntert vielmehr dazu auf, den anderen und sich selbst zu nehmen, wie man ist.
6
von 10