Postcards from London
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Postcards from London

Postcards From London
„Postcards from London“ // Deutschland-Start: 13. Dezember 2018 (Kino)

Endlich raus, weg von daheim, weg von der Enge der Familie: Das ist das Ziel, als Jim (Harris Dickinson) eines Tages verkündet, nach London zu ziehen, wo das große Abenteuer auf ihn warten soll. Stattdessen wartet aber erst einmal ein sehr unangenehmer Zwischenfall, als er schon in der ersten Nacht seines Geldes beraubt wird. Glücklicherweise ist er jedoch ebenso jung wie schön, was ihm so manche Tür öffnet. Und so überzeugt ihn eine Gruppe von Escorts, bei ihnen einzusteigen. Ihre Spezialität: Sie bieten nicht nur Sex, sondern auch kulturelle Gespräche, davor und danach, was besonders für das wohlhabende Klientel auf reizvolle Weise stimulierend ist. Jim eignet sich nach und nach tatsächlich jede Menge Wissen über Kunst nach, hat dabei jedoch ein Problem: Sobald er vor einem echten Kunstwerk steht, fällt er in Ohnmacht …

Junge Menschen, die ihren Körper für Geld verkaufen müssen, das ist natürlich eine bittere Situation. Kein Wunder also, wenn Filme zu dem Thema oft im Dramabereich angesiedelt sind, von Nöten erzählen, von einer schwierigen Selbstfindung, von zerplatzten Träumen. Gewissermaßen tut Postcards from London das auch, wenn hier die Geschichte eines naiven Vorstadtjungen erzählt wird, der nur mittels der Prostitution über die Runden kommt. Und doch ist der Film kaum mit dem kurz zuvor im Kino gestarteten Sauvage zu vergleichen, trotz einer ähnlichen Thematik.

Aus einem nicht ganz normalen Leben
Dass Regisseur und Drehbuchautor Steve McLean kein Interesse an dem dreckigen Naturalismus hat, den sein Kollege demonstrierte, das wird hier sehr früh klar. Schon die erste Szene mit den Eltern, wenn Jim zum Entsetzen seines Vaters seinen Auszug ankündigt, ist einer Komödie näher als einem Drama. Eingepfercht in einen Quader, der nur so tut, als wäre er ein wirkliches Zimmer, verdeutlicht Postcards from London, wie beengt das bisherige Leben des jungen Mannes war. Und es zeigt, dass der Filmemacher seinem Thema und den Figuren mit jeder Menge Augenzwinkern und Mut zur Künstlichkeit begegnet.

Daran wird sich später nichts ändern. Im Gegenteil, je weiter die Geschichte voranschreitet, umso weiter entfernt sich Postcards from London von dem, was wir guten Gewissens Realität nennen könnten. McLean, der 24 Jahre nach seinem Postcards from America erst seinen zweiten Film drehte, hat hier eine Liebeserklärung an die englische Metropole geliefert. Genauer ist es eine an Soho, das Schwulen- und Lesbenviertel der Stadt. Und an die Kunst natürlich: So viele große Künstler werden hier zitiert, sei es aus Malerei oder Literatur, dass der Film zuweilen eher Namesdropping betreibt, als wirklich etwas zu erzählen.

Was will ich hier?
Ein wenig schade ist es schon, dass der Beitrag vom Filmfest München 2018 mit der Zeit so ausfranst, in der zweiten Hälfte nicht mehr klar ist, worum es überhaupt noch gehen soll. Wirklich emotional wird das Drama ohnehin nie, dafür sind die Figuren zu skurril und oberflächlich. Die anderen Raconteurs, abgeleitet vom französischen Verb für erzählen, sind nicht mehr als ein mehrköpfiger Block, an dem Ereignisse oder Theorien abgearbeitet werden. Mit Menschen hat das eher selten etwas zu tun. Oder auch mit tatsächlichen Begierden: Postcards from London spricht zwar dauernd von Sex, zeigt sich insgesamt aber erstaunlich züchtig. So als wolle hier eigentlich keiner dem anderen zu nahe kommen.

Und doch verdanken wir dieser Künstlichkeit und dem bewussten Verzicht auf Realismus einige schön absurde Momente. Ob es nun die Begegnungen mit den Kunden sind oder auch spätere Passagen, die sich um Jims ausgefallene Krankheit drehen, von visuellen Spielereien ganz zu schweigen: Da lässt sich schon jede Menge Spaß haben. Harris Dickinson, dank dem hoch gelobten Beach Rats dem LGBT-Publikum bereits vertraut, passt mit seiner Mischung aus Muskelpaket und Engelsgesicht zudem wunderbar in die Rolle. Ein attraktives Rätsel auf zwei Beinen, das träumerische Naivität und enthusiastisches Kunstverständnis vereint, zwischen kindlichem Staunen und mitreißendem Frohsinn. Antworten gibt es keine. Aber manchmal reicht fragen ja auch.



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„Postcards from London“ stellt uns seine Gruppe etwas anderer Escort-Männer vor, die körperliche Angebote mit kulturell-intellektuellen Gesprächen verbinden. Das ist zu keiner Zeit realistisch, soll es auch nicht sein. Vielmehr handelt es sich um eine bewusst inszenierte, zuweilen absurde Liebeserklärung an die Kunst und das Londoner Viertel Soho.
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von 10