Der Wert des Menschen
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Der Wert des Menschen

(„La Loi du marché“ directed by Stéphane Brizé, 2015)

Der Wert des Menschen
„Der Wert des Menschen“ läuft ab 17. März im Kino

Seit 20 Monaten ist Thierry (Vincent Lindon) schon arbeitslos. Und es sieht nicht gut aus, dass sich daran so bald wieder etwas ändert: Er ist über 50, bringt nicht die notwendigen technischen Kenntnisse für heutige Maschinen mit, seine vom Arbeitsamt vorgesetzten Zusatzausbildungen waren reine Zeitverschwendung. Allmählich machen sich Resignation, sogar Verzweiflung in ihm breit, denn er und seine Frau (Karine De Mirbeck) haben einen behinderten Sohn zu versorgen, die Geldsorgen werden so groß, dass sogar der Verkauf ihrer Wohnung zum Thema wird. Nach vielen demütigenden Erfahrungen findet er zwar doch noch eine neue Stelle beim Sicherheitsdienst eines Supermarktes. Die ist aber nicht nur weit unter seinem bisherigen Niveau, er muss dort auch mitansehen, wie andere Menschen trotz Arbeit das Geld zum Leben nicht reicht.

Wenn über die Lage am Arbeitsmarkt gesprochen wird, dann gerne in Zahlen: Wie viele Menschen haben Arbeit? Wie viele suchen welche? Was sich jedoch hinter diesen Zahlen verbirgt, das wird dabei jedoch oft verschwiegen. Regisseur und Ko-Autor Stéphane Brizé tut in Der Wert des Menschen nun genau das und erzählt von den unwürdigen Zuständen, die selbst arbeitswillige Menschen in einem Industriestaat zu erleiden haben. Und so beschreibt er gleich zu Beginn seines Films von den absurden Situationen, welche man in Arbeitsämtern erlebt: Nach dem Motto „aus den Augen, aus dem Sinn“ oder besser „aus der Statistik“ ist Thierry einer der Menschen, welche im fortgeschrittenen Alter noch Zusatzausbildungen hinter sich bringen sollen, obwohl diese von der Wirtschaft überhaupt nicht gesucht werden.

Nach und nach klappert Brizé so die einzelnen Stationen des Leidensweges seines Protagonisten ab, lässt ihn ein Skype-Jobinterview führen, zeigt ihn bei aussichtslosen Verhandlungen mit der Bank oder auch in Workshops, wo er lernen soll, wie man sich präsentiert. Denn auch das kennen wir aus der Arbeitssituation: Das Äußere ist alles, deine Fähigkeiten sind eher zweitrangig, solange du sie gut verkaufen kannst. Und eben das kann Thierry nicht. Er ist erfahren, diszipliniert, sogar zu Abstrichen und Kompromissen bereit. Und doch ist er kaum vermittelbar, für einen stillen, introvertierten Menschen wie ihn ist da kein Platz mehr.

Die Anklageliste in Der Wert des Menschen ist lang, reicht von Behörden bis zu Unternehmen, bringt in einer besonders schmerzhaften Szene auch noch ein Pärchen unter, welches auf dreiste Weise von der Not Thierrys und seiner Frau profitieren will. Dabei schafft es der französische Filmemacher, sich nicht zu verzetteln oder sich übertriebenen Dramen hinzugeben. Dass der Sohn auch noch behindert ist, wäre nicht notwendig gewesen. Ansonsten aber gefällt der Film gerade durch seine nüchterne, analytische Authentizität.

Wo es etwas holpert, das ist die Geschichte. Genauer ist es das Fehlen einer solchen. Der Wert des Menschen verfolgt keinen echten roten Faden, sondern reiht diverse Momentaufnahmen aneinander, die ohne echten Zusammenhang bleiben. Verwunderlich ist vor allem der Übergang zum zweiten Teil, wenn Thierry wieder eine Arbeit hat. Die Vorgeschichte dazu, die fehlt uns völlig, es gibt keine Bewerbungsgespräche oder sonstige einführende Szenen. Die Arbeit ist irgendwann einfach da. Zu diesem Zeitpunkt verschiebt sich der Fokus dann auch: Thierry, der zuvor verzweifelt nach Arbeit gesucht hat, muss nun mitansehen, wie die Menschen des Supermarktes durch kleine Diebstähle oder Betrügereien über die Runden kommen.

„Ich würde ja bezahlen, wenn ich das Geld hätte“, sagt ein älterer Herr, der in flagranti erwischt wurde. So wie er stehen auch die anderen mitten im Leben, haben aber nicht genug, um daran teilzuhaben. Das ist manchmal etwas repetitiv und eben auch hier zusammenhangslos, aber nicht ohne Wirkung. Vielleicht ist der zweite Teil sogar der härtere, da die Tristesse Menschen betrifft, die eigentlich gar nicht betroffen sein sollten. Menschen mit Arbeit. Wenn die wegen geringer Beträge ihrer Existenz beraubt werden, dann mag das rechtlich in Ordnung gehen, es fällt aber schwer, von dieser Unverhältnismäßigkeit nicht empört zu sein. Und das ist dann auch das Gefühl, mit welchem einen Brizé aus seinem zynischen Film entlässt: Empörung, dazu noch Schwermut und Trauer, dass der Wert des Menschen am Ende dann doch nur eine Zahl ist.



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Ob mit Arbeit oder ohne, in „Der Wert des Menschen“ hat eigentlich keiner genug Geld. Die einzelnen Episoden sind etwas willkürlich miteinander verbunden. Dennoch ist der analytisch-zynische Blick auf die Verlierer der Gesellschaft bedrückend und empörend zugleich.
7
von 10