Nachthelle
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Nachthelle

(„Nachthelle“ directed by Florian Gottschick, 2015)

Nachthelle DVD
„Nachthelle“ ist seit 6. November auf DVD erhältlich

Von dem idyllischen Dorf ist kaum mehr etwas übriggeblieben, immer mehr Menschen haben den Ort verlassen, um Platz für einen Kohletagebau zu machen. Bevor er völlig verschwindet, will Anna (Anna Grisebach), die ebenfalls schon vor Jahren dem Ganzen den Rücken gekehrt hat, ihr Haus aus Kindheitstagen noch ein letztes Mal sehen. Zusammen mit ihrem deutlich jüngeren Freund Stefan (Vladimir Burlakov) beschließt sie deshalb, ein Wochenende dort zu verbringen, und trifft dabei auch das befreundete Pärchen Bernd (Benno Fürmann) und Marc (Kai Ivo Baulitz). Das führt jedoch bald zu Komplikationen, denn Anna und Bernd waren einst selbst ein Paar gewesen. Und das ist nicht die einzige alte Geschichte, welche das Quartett während des Trips verfolgt.

Frisch und ungewöhnlich sollen sie sein, den Anspruch zumindest stellt das Label „Darling Berlin“ an die eigenen Filme. Und tatsächlich haben die Independentproduktionen oft nur wenig mit dem deutschen Mainstream an Hut, erzählen von improvisationsfreudigem Liebeschaos (Love Steaks, Familienfieber) ebenso wie vom Amoklauf eines unscheinbaren Durchschnittsbürgers (Amok – Hansi geht’s gut). Bei Nachthelle, dem zweiten Langfilm von Regisseur und Ko-Autor Florian Gottschick sieht es erst einmal nicht danach aus, als würde hier etwas Neues geboten: Menschen, die in der Einöde ihre gemeinsame Vergangenheit und unausgesprochene Gefühle aufbereiten, das ist nicht gerade ein selten verwendetes Motiv.

Ein bisschen weicht der Film von der Norm ab durch die unklare Sexualität von Bernd, der zwar nach außen hin die Ufer gewechselt zu haben scheint, sich aber nicht wirklich davon definieren lassen möchte. Zu einem wirklichen Thema wird die sexuelle Orientierung jedoch nicht, sieht man einmal von den unbeholfenen Versuchen Stefans ab, diese für ihn so fremde Form des Zusammenseins verstehen zu wollen – mit seinen Fragereien wirkt er manchmal wie ein Junge, der die Welt erklärt haben möchte. Diese fließenden Übergänge bieten aber immerhin die Voraussetzung, dass hier bald ohne Scham gesehnt, geflirtet, geneckt, gesucht wird. Nachthelle ist dann auch weniger ein Film über Definitionen und klare Entscheidungen, sondern das Unbewusste, darüber wie unser Leben von dem Nichtsichtbaren bestimmt wird, ohne dass wir uns darüber klar sind.

Nicht ohne Grund wurde Marc zu einem Psychologen gemacht. Seine Kenntnisse des menschlichen Geistes nutzt er nicht nur, um immer wieder Theorien in Gespräche einzubauen, sondern auch sein Umfeld zu manipulieren, die Grenzen immer wieder zu verschieben. Nachthelle lässt diese dann auch zunehmend verschwinden, nimmt Elemente des Mysterythrillers auf, lässt offen, was noch Realität, was schon (Alp-)Traum ist.

Einfach ist das nicht, wer von einem Film tatsächliche Auflösungen erwartet, ist hier an der falschen Adresse: Anstatt die einzelnen Fäden mit der Zeit voneinander zu trennen, verwickeln die sich immer weiter. Bezeichnend ist, dass in den auf der DVD enthaltenen geschnittenen Szenen der Kommentar fällt, eine dieser fiel der Schere zum Opfer, weil sie zu konkret war. Man sollte also schon eine Vorliebe für das Interpretieren haben, für das Eintauchen in surreal angehauchte Gedanken- und Gefühlswelten, für die Suche nach dem Hellen inmitten der Nacht. Wer das von sich behaupten kann, der findet hier zwar einen eher handlungsarmen, nach außen hin unspektakulären, dafür aber faszinierenden Film, der sich das Prädikat „frisch und ungewöhnlich“ am Ende verdient hat.



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Vier Menschen verbringen ein Wochenende miteinander und verarbeiten dabei alte Geheimnisse und neue Gefühle. Das klingt recht konventionell, wird später jedoch sehr rätselhaft und fordert mit seinen surreal angehauchten Szenen viel Interpretationsbereitschaft vom Zuschauer.
7
von 10