The Good Girl

The Good Girl

(„The Good Girl“, directed by Miguel Arteta, 2002)

“Life goes on, and so should we.”

Es beginnt wie pure Magie – und bricht zusammen wie ein instabiles Kartenhaus mit Jennifer Aniston als sterbendem Schwan. Gut aussehend, aber zum Tode verurteilt. Diese Tragikomödie ist wahrscheinlich so weit von den üblichen Aniston „Rom-Coms“ entfernt, wie nur möglich. Das klingt so gut, dass Sie jetzt Ihr Interesse an dem hier rezensierten Film bekunden? Leider ist The Good Girl (welch Ironie) nicht viel besser als jene anspruchslosen Hollywood-Popcorn-Komödien, in denen der ehemalige Friends-Star ihr Gesicht mehrmals pro Jahr in die Kamera halten darf. Hier spielt sie Justine, eine 30jährige, gelangweilte Supermarkt-Angestellte, die sich ihr Leben ganz anders vorgestellt hat.

Aber jetzt sitzt sie für mehrere Stunden pro Tag in diesem Gefängnis, in dem die Zeit so langsam vergeht wie Schnecken, die man angekettet hat, um sie vor einer Flucht abzuhalten. Sie hasst ihr Leben und wenn wir ihren Monolog hören und die entsprechenden Bilder sehen glauben wir ihr das. Sie ist mit Phil (John C. Reilly) verheiratet, einem Maler, der abends mit seinem Freund Bubba (Tim Blake Nelson) vor der Glotze hängt und kifft. Einerseits will sie schwanger werden, andererseits zweifelt sie bereits seit längerem an ihrer Beziehung zu dem Mann, mit dem sie seit sieben Jahren das Bett teilt. Eines Tages fällt ihr ein neuer Praktikant in dem Supermarkt auf, in dem sie arbeitet. Er heißt Holden (Jake Gyllenhaal) oder er nennt sich zumindest so, denn in Wahrheit heißt er Tom, doch als leidenschaftlicher Fan von Salingers „Der Fänger im Roggen“ hat er sich nach dessen Hauptfigur benannt.

Er ist Schriftsteller, depressiv, ehemaliger Alkoholiker, wurde vom College geworfen, leidet unter der erkalteten Beziehung zu seinen Eltern und würde am liebsten sterben – und all das mit 22 Jahren. Justine findet schnell heraus, dass sie vieles mit Holden verbindet. Auch sie hasst ihr Leben, auch sie hat nie das College besucht, auch sie fühlt sich wie in einem Gefängnis, aus dem es kein Entrinnen gibt. Holden verliebt sich in Justine. Aber die will nicht, sie hat Angst. Sie traut sich nicht, sich von ihrem Mann zu trennen, sie weiß nicht einmal, ob sie das möchte. Aber sie kann auch Holden, diesem interessanten, jungen Mann nicht widerstehen und so entwickelt sich eine leidenschaftliche Beziehung. Bis jemand hinter das Geheimnis des Paares kommt und sich die Ereignisse überschlagen…

Die erste halbe Stunde ist pure Magie. Fantastisch! Und schnell wird klar, dass dies keine Komödie ist, sondern ein überraschend sensibel erzähltes, ruhiges, zurückgenommenes Melodram über Antihelden – über das Gegenteil von Perfektion, das hier vor den Augen der Zuschauern zelebriert wird. Justine muss mit ihrem versauten Leben fertig werden. Das versucht sie im Supermarkt, in einsamen Monologen, die sich über die Bilder legen. Die Zukunft hat sie verloren, ihre Träume hat sie aufgegeben. Traurig.  Das ist es wirklich und wir beginnen, den Charakter zu mögen, weil wir mit ihr leiden. Aniston spielt ein sympathisches Mädchen aus dem Volk, das ihrem Leben irgendwie entfliehen möchte. Diese Chance sieht sie schließlich in Holden und sie wird zur Ehebrecherin. Der Zuschauer akzeptiert das. Er akzeptiert die Lügen, er akzeptiert ihre Untreue, er akzeptiert ihr Doppelleben, unter dem sie selber leidet.

Doch bald gerät The Good Girl aus dem Konzept und wird zu einem skurrilen, da chaotischen Erlebnis, das den Charakter der Justine überstrapaziert. Justine wird zum Feigling, sie wird zur Hure, die bereitwillig mit anderen Männern schläft, weil diese sie erpressen und sie nicht den Mut hat, endlich aufzuräumen und der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Aber es ist schlimmer als das, denn Justine ist eine egoistische Schlampe, die ihre Mitmenschen benutzt und sie behandelt, wie es ihr gerade passt. Diese Mitmenschen, das sind Holden, Phil und Bubba, alles Karikaturen von männlichen Figuren, die zu hilflosen Kindern werden und Justine ist die einzige, die versucht, zwischen diesen Personen erwachsen zu wirken. Finden wir so eine Frau sympathisch? Eine Frau, in der wir zu Beginn des Films all unser Vertrauen gesetzt haben und die uns nun so enttäuscht?

Diese Frau, die wir schon längst nicht mehr verstehen, rezitiert überraschend tiefsinnige, sich auf die Bibel berufende Monologe und wir lächeln über die Ironie des Titels The Good Girl. Umso erschreckender ist es, dass in Filmforen darüber diskutiert wurde, ob Justine wirklich ein gutes Mädchen sei. Jemand, der frei sein möchte und seinen Träumen hinterherrennt, dadurch aber zur Hure einer ganzen Gesellschaft wird. Schön und gut, vielleicht ist das der Stoff, aus dem Filmträume gemacht sind, aber Miguel Artetas Film verfängt sich in einem wirren Chaos, das man als Satire bezeichnen könnte, wäre es als solche kenntlich gemacht.

Die Ereignisse überstürzen sich und Drehbuchautor Mike White (in einer Nebenrolle als Sicherheitswärter zu sehen) nimmt sich nicht die Zeit, in die Tiefe zu gehen, ihm fehlt die Ausdauer und Geduld zum Ausbau der Geschichte(n), wenn Justine versucht, den Menschen, den sie liebt, zu vergiften, mit dem Freund ihres Mannes schläft und obendrein ihren nach Zuneigung dürstenden Liebhaber gefühlskalt aus dem Wagen stößt. Warum will diese Frau mit ihrem Mann, über den sie so schimpft, zusammen bleiben? Weil sie ihn noch liebt? Weil sie sich nicht sicher ist, ob sie Holden liebt? Weil sie einfach nur feige ist? Weil sie keine Lust auf den ganzen Bürokratiekram bei einer Scheidung hat?

Die erste Hälfte liefert alle Zutaten für einen guten Film, der sich angenehm von den schrillen Romanzen aus der (Alp)Traumfabrik unterscheidet. Die Beziehung zwischen Justine und Holden ist niedlich, das triste Supermarktleben wird in amüsanter Detailliertheit geschildert, eine feinfühlige Mischung aus Komödie und Drama ist vorhanden, wenn Justine gelangweilt und schlecht gelaunt zusehen muss, wie die zwei Männer auf ihrem Sofa bekifft über den Sinn des Lebens zu philosophieren. Doch die Filmemacher wissen den Wert dieser Zutaten nicht zu schätzen und schmälern die Qualität ihres Werkes, in dem sie Justine überstürzt zur Nutte machen und die den Schlussmonolog als Quasi-Rechtfertigung benutzt. Das ist schmutzig. Das wollen wir nicht sehen.



(Anzeige)

6
von 10