Walkabout

Walkabout

(„Walkabout“, directed by Nicolas Roeg, 1971)

“I expect we’re the first white people he’s seen.”

Wenn ein australisches Stammesmitglied sein 16. Lebensjahr erreicht hat, wird er von der Gruppe getrennt und im Outback ausgesetzt. Dort muss er beweisen, dass er ein Mann geworden ist. Ist er dies nicht, bleibt ihm nichts anderes übrig, als in der Ödnis Australiens zum Mann zu werden, sich von den Dingen zu ernähren, die dort wachsen, in der Luft fliegen, im Wasser schwimmen oder auf dem Boden liegen. Dieses Ritual nennt man Walkabout. Regisseur Nicolas Roeg machte dies zum Thema seines Films, den er 1971 in die Kinos brachte und bei dem er nicht nur Regie führte, sondern auch als Kameramann fungierte, was nicht weiter überrascht, denn schließlich verdiente er sich mit diesem Beruf bis zu seinem Regiedebüt 1970 die Brötchen und fotografierte zum Beispiel Francois Truffauts Fahrenheit 451.

Nun ist die Kameraarbeit bzw. die kunstvoll eingefangene Landschaft die eigentliche Hauptattraktion dieses Films, der nach einem Drehbuch von Edward Bond entstand, welches wiederum angeblich nur 14 Seiten umfasste. Im Nachhinein überrascht das wenig, denn es sind nur minimale Dialoge vorhanden und ein Großteil der Spielzeit wird von Landschaftsaufnahmen bestritten. Hauptpersonen dieses Films sind ein pubertierendes Mädchen (Jennifer Agutter) und ihr kleiner Bruder (Luc Roeg, Sohn des Regisseurs), deren Namen wir nicht erfahren. Eines Tages fahren die in Australien lebenden Engländer mit ihrem Vater zu einem Picknick am Rande des Outbacks. Der Vater ist angespannt, man merkt ihm an, dass er überarbeitet ist.

Doch dass er dazu fähig sein würde, auf seine eigenen Kinder zu schießen, hätte man ihm wohl nicht zugetraut. Seine Kinder können sich rechtzeitig hinter einem kleinen Felsen verstecken und hinfort schleichen, ohne von den Kugeln getroffen zu werden. Wenig später setzt der Vater seinen Wagen in Brand und seinem eigenen Leben ein Ende. Die Kinder sind auf sich alleine gestellt. Während ihr Vorrat an Essen und Trinken langsam zur Neige geht müssen sie einen Ausweg aus der scheinbar endlosen Steppe finden. Als all ihre Hoffnung auf Rettung bereits schwindet, werden sie von einem australischen Ureinwohner (David Gulpilil) gefunden, einer jener Stammesmitglieder, der sich gerade in seiner Walkabout-Phase befindet. Er nimmt sich der beiden englischen Kinder an und mit ihm erleben sie schließlich die australische Steppe in ihrer vollen Pracht.

Es soll um das Erwachsenwerden gehen, um aufkeimende Sexualität, sodass man vielleicht bei dieser Beschreibung an Die blaue Lagune von Randal Kleiser erinnert wird, der 1980 Brooke Shields und Christopher Atkins auf eine einsame Insel verbannte, damit diese sich dort näher kommen konnten. Damit hat Walkabout schlussendlich kaum etwas zu tun, denn zwar wird das Erwachen der Sexualität in eindeutigen erotischen Symbolen angedeutet, doch letztlich spielt dieser Aspekt keine bedeutende Rolle, auch wenn Roeg es sich nicht nehmen ließ, die damals 19-Jährige Jenny Agutter in mehreren Szenen nackt in einem See badend zu zeigen. Dass ein derartiger Aspekt in den Hintergrund gerät, mag man sowohl Regisseur als auch Drehbuchautor nachsehen, viel schwerwiegender ist die emotionale Kälte die von diesem Film ausgeht. Dass Roeg zu keinem Zeitpunkt auf das Seelenleben der Charaktere eingeht ist fatal für einen Film, der wie ein Kammerstück lediglich von drei Personen handelt, die im Outback um ihr Überleben kämpfen müssen – was jedoch keinesfalls Auslöser für zahlreiche, spannende Szenen ist, da sich das Überleben dank des Eingeborenen einfacher als gedacht erweist.

Dass das pubertierende Mädchen den Tod des Vaters gegenüber ihrem Bruder zu verheimlichen versucht, mag man verstehen, wesentlich ungeschickter ist diesbezüglich jedoch, dass Roeg dem Mädchen keinerlei Raum für Emotionen gibt, sodass man sie nachts heimlich weinen und aufgrund des Wahnsinns ihres Vaters leiden sieht. Fatal ist dies deshalb, weil es dem Zuschauer die Charaktere nicht näherbringen kann, da sie aufgrund fehlender Emotionen wie Roboter erscheinen, mit denen wir uns nicht identifizieren können. Die logische Schlussfolgerung ist, dass wir sie nicht als Freunde oder für 100 Minuten als Weggefährten empfinden, sondern erstaunlich wenig Anteil an ihrem Schicksal nehmen.

Erstaunlich ist auch, dass dieser Streifen seinerzeit keine Oscar-Nominierung für die Kameraarbeit erhalten hat, denn diese gehört zweifellos zu den beeindruckendsten der Filmgeschichte, sodass Walkabout zumindest als Appetithappen für einen Australien-Urlaub funktioniert. Roeg arbeitet nicht nur mit gekonnt eingefangener natürlicher Beleuchtung oder eingefrorenen Aufnahmen, sondern benutzt bewusst unmissverständliche Metaphern und Vergleiche, wenn er etwa beim Aushäuten eines Tieres überblendet in kurzen Einstellungen, in denen die Arbeit eines Schlachters dargestellt wird.

Bezüglich der Charaktere ist es aufgrund der oben genannten Ausführungen interessant anzumerken, dass die interessanteste Figur dieses Werks nicht etwa das Mädchen oder ihr kleiner Bruder ist, sondern der junge australische Ureinwohner, denn wie sich bald herausstellen soll, treibt ihn ein ganz besonderes Ziel an, dass ihn dazu veranlasst, die beiden Ausgesetzten von der Zivilisation fernzuhalten. Roeg – Intellektueller, der er ist oder zumindest sein möchte – vermeidet es natürlich, derartiges unmissverständlich auszudrücken und so bleibt es bis zum Schluss dem Zuschauer überlassen, einige Lücken und Rätsel innerhalb des Abenteuers zu interpretieren.

Walkabout ist insgesamt kein schlechter Film, denn aufgrund der faszinierenden Landschaftsaufnahmen und einigen psychologischen Ansätzen seitens des australischen Ureinwohners vermag dieses Werk solide Unterhaltung zu garantieren. Eine enorme Aufwertung erhält der Film durch die lyrische Musik John Barrys, der im Januar 2011 verstarb und mit Walkabout eine seiner besten Partituren vorlegte. Mit Figuren, die teilweise zu sehr zugunsten der schönen Landschaft in den Hintergrund zu geraten drohen, inszenierte Roeg ein solides, hübsch anzusehendes Werk, das mehr sein möchte, als es letztendlich ist.



(Anzeige)

7
von 10