
Der 7. Dezember ist ein besonderes Datum in der Welt der Oper. Jedes Jahr an diesem Tag findet nämlich ein besonderes Ereignis in Mailand statt, genauer gesagt im wohl bekanntesten Opernhaus, dem Teatro alla Scala: die Premiere einer neuen Operninszenierung, mit welcher die Saison eröffnet wird. Für 2025 fiel die Wahl auf ein Stück von Guiseppe Verdi: La forza del destino. Der Titel La Scala – Die Macht des Schicksals mag auf den ersten Blick suggerieren, dass es sich bei der Dokumentation von Anissa Bonnefont lediglich um eine Aufzeichnung dieser Premiere handelt. Die ersten Bilder führen uns durchs Opernhaus, zeigen uns Gänge, den Bühnenvorhang, die Logen. Noch wirkt alles pompös. Mit Schnittbildern wird schnell eine andere Seite untergemischt: Da werden Absperrungen aufgebaut, Haare frisiert, Kostüme angepasst. Texteinblendungen informieren uns darüber, dass 900 Menschen über Monate hinweg rund um die Uhr damit beschäftigt sind, diesen besonderen Abend am Jahresende zu ermöglichen.
Sprunghaft
Nach dem musikalisch fulminant untermalten Intro verlassen wir Glamour und Glanz erst einmal und beobachten jemanden aus der Vogelperspektive, dessen Treiben mit der beinahe unheilvollen Texteinblendung unterbrochen wird, dass es noch 80 Tage bis zur Premiere sind. Bonnefonts Dokumentarfilm begnügt sich eben nicht damit, einfach das Ergebnis festzuhalten, sondern schaut wortwörtlich hinter die Kulissen. Knapp drei Monate begleitet die Filmemacherin die Vorbereitungen für das Großereignis.
Knapp eine Viertelstunde Erzählzeit dauert es, bis die Premiere 70 Tage in der Zukunft liegt. Bei einer Gesamtlaufzeit von 93 Minuten lässt sich bereits das dramaturgische Schnittkonzept von La Scala – Die Macht des Schicksals erahnen. Keine sechs Minuten sind es schon nur noch 60 Tage bis zur Premiere. Keine drei Minuten später 50. Diesen Muster kann natürlich nicht in derselben Weise gefolgt werden, die Verknappung der Intervalle zwischen zwei Etappenzielen ist jedoch extrem effektiv, imitiert gleichsam den Wandel des Teams von Ent- zu Angespanntheit, je näher der große Tag rückt. Wahrscheinlich kennt jeder Künstler dieses Gefühl, das die Doku narrativ stark zu vermitteln weiß. Da sich an den Sprüngen in der Erzählzeit nicht mehr viel machen lässt, geht die Doku zu solchen in der erzählten Zeit über. Die nächste entsprechende Texteinblendung informiert dann eben nicht über, wie es zu erwarten gewesen wäre, 40 verbleibende Tage, sondern über 35. Danach werden die Abstände deutlich kürzer.
Beeindruckende Ausmaße
Die Idee, die Entstehung eines künstlerischen Werkes zu dokumentieren, ist natürlich nicht neu. Hierzulande erschien im Mai dieses Jahres Barbara Morgenstern und die Liebe zur Sache von Sabine Herpich. Darin wurde der Entstehungsprozess eines neuen Albums der deutsche Musikerin begleitet. La Scala – Die Macht des Schicksals macht sich dieses Prinzip zu eigen, skaliert es aber in ungeahnte Dimensionen. Während für das Musikalbum ein paar wenige Menschen zusammenkamen, sind es für eine Oper diesen Ausmaßes mehrere hunderte. Jeder hat seine ganz eigene Aufgabe und jeder trägt auf seine Weise zum Gelingen der Show bei, oder wäre bei Nachlässigkeit eventuell für ihr Scheitern (mit)verantwortlich.
Wie in Barbara Morgenstern und die Liebe zur Sache bleibt die Kamera hier ein stiller Beobachter. Das von Martina Cocco geführte Stück Technik steht dabei aber nicht einfach nur in einer Ecke, sondern navigiert sich geradezu durch das Geschehen. Es ist natürlich ein Vorteil, vielen verschiedenen Gewerken in riesigen Hallen bei ihren jeweiligen Arbeiten beiwohnen zu können; das ist einfach spannender, als jemandem in seiner Privatwohnung zuzusehen, wie er etwa ein Stück komponiert. Während den meisten sicher bewusst sein dürfte, dass eine Operninszenierung nicht am Tag zuvor so konzipiert wurde, wie sie letztendlich auf der Bühne zu sehen ist, mag die breite Masse doch unterschätzen, wie viel Zeit, Arbeitskraft und Energie zu so einem Unterfangen gehört.
OT: „La force du destin“
Land: Frankreich
Jahr: 2025
Regie: Anissa Bonnefont
Drehbuch: Anissa Bonnefont, Myriam Weil
Musik: Jack Bartman
Kamera: Martina Cocco
Mitwirkende: Riccardo Chailly, Leo Muscato, Silvia Aymonino, Federica Parolini, Dominique Meyer, André Comploi, Anna Netrebko, Brian Jadge
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