Die jüngste Tochter La Petite dernière
Szenenbild aus Hafsia Herzis preisgekröntem Drama "Die jüngste Tochter" (© Kathu Studio/ Arte France / mk2 Films / Alamode Film)

Hafsia Herzi [Interview]

Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Fatima Daas erzählt Die jüngste Tochter (Kinostart: 25. Dezember 2025) von der 17-jährigen Muslimin Fatima (Nadia Melliti), die ein Geheimnis hat: Sie ist lesbisch. Davon darf niemand etwas wissen, nicht ihre Familie, nicht der Freundeskreis. Sie selbst tut sich auch schwer damit, das so zu akzeptieren. Selbst als sie die Medizinstudentin Ji-Na (Ji-Min Park) kennenlernt und anfängt, sich auf diesen Teil von sich einzulassen, hat sie mit sich zu kämpfen. Wir haben uns während der Französischen Filmwoche 2025 mit Regisseurin und Drehbuchautorin Hafsia Herzi unterhalten. Im Interview spricht sie über das Spannungsfeld von Sexualität und Religion und wie Filme dabei helfen können.

„Die jüngste Tochter“ ist die Adaption des gleichnamigen Romans von Fatima Daas. Wie bist du dazu gekommen, diesen zu verfilmen?

Die Produzentin Julie Billy hatte meinen ersten Film gesehen, den ich als Regisseurin gemacht habe, und ist mit dem Vorschlag auf mich zu gekommen, den Roman zu adaptieren, da sie die Rechte an dem Buch gekauft hatte. Ich kannte den Roman nicht, war aber gerade mit meinem zweiten Film fertig geworden und in der Post Production. Damals hatte ich noch keine Idee für einen dritten Film. Ich wäre niemals darauf gekommen, ein Buch zu adaptieren. Nachdem ich es aber gelesen hatte, hatte es mir sehr gut gefallen. Vor allem hatte mir diese Hauptfigur so sehr gefallen, die ich so noch nie im Kino gesehen hatte.

Wenn du vorher noch nie etwas adaptiert hattest, wie war die Erfahrung für dich? Was waren die Herausforderungen?

Das war wie ein Sprung ins kalte Wasser für mich. Vor allem wollte ich nicht die Autorin des Buches enttäuschen, da sie mir ihr Vertrauen geschenkt hatte. Es handelt sich ja um eine stark autobiografische Geschichte. Ich wollte auch nicht die LGBTQ Community enttäuschen. Das hat dann schon etwas Druck auf mich ausgeübt.

War die Autorin noch irgendwie bei dem Film involviert, eben weil es ja zum Teil ihre Lebensgeschichte ist?

Ab dem Moment, an dem entschieden war, dass ich diesen Film mache, war klar, dass ich das alleine machen darf. Ich bin es gewohnt, alleine zu arbeiten. Deswegen war das meine Bedingung, damit ich mir diesen Stoff auch auf meine Weise aneignen darf. Ich hatte vorher von vielen Fällen gehört, dass Autoren unzufrieden waren mit Adaptionen und mit der Zusammenarbeit. Die Autorin hat das auch wirklich akzeptiert und sich nicht eingemischt. Ich habe ihr aber verschiedenste Versionen von meinem Drehbuch gezeigt, wenn ich der Meinung war, dass etwas vorzeigbar war. Sie hat mir auch gesagt, dass sie für alle Fragen offen ist, wenn mal etwas sein solle, hat mich ansonsten aber machen lassen. Sie war auch mal beim Dreh dabei, hat sich aber sehr zurückgehalten. Das war dann alles sehr unkompliziert.

Und wie hat Daas reagiert, als sie den fertigen Film gesehen hat?

Sie war die erste, der ich den fertig geschnittenen Film gezeigt habe. Ich war schon sehr gestresst, als ich ihr das gezeigt habe, aber sie war sehr gerührt und zufrieden. Sie ist auch mit uns nach Cannes gekommen. Das war mir auch sehr wichtig, dass sie weiterhin dabei war und sich einbringen konnte, weil es ihr Werk war. Ohne ihr Buch gäbe es den Film nicht.

Du hast gemeint, dass du noch nie so eine Figur im Kino gesehen hast. Was macht sie so besonders?

Es gab bislang einfach keine Filme über eine junge lesbische, muslimische Frau. So etwas fehlte in der Kinolandschaft, auch wenn es solche Leute gibt. Ich kenne sie selbst aus meinem Alltag. Es waren auch beim Casting verschiedene lesbische Musliminnen dabei, manche waren verschleiert. Das entspricht dann gar nicht dem Bild, das man vielleicht hat. Das ist auch ein Thema, über das nie gesprochen wird. Dabei ist dieses Spannungsfeld zwischen Religion und Sexualität sehr spannend, wenn die Protagonistin zerrissen ist zwischen diesen beiden Polen.

Als wir sie kennenlernen, will sie nicht wahrhaben, dass sie etwas für Frauen empfindet. Was macht es für sie so schwierig, sich damit auseinanderzusetzen?

Sie weiß schon, dass sie etwas für Frauen empfindet. Das weiß sie sehr genau. Sie weiß auch, dass sie sich immer zu Frauen hingezogen gefühlt hat. Deswegen ist sie oft in Gedanken und zieht sich ein bisschen zurück. Sie versucht mal etwas mit einem Jungen, das klappt aber überhaupt nicht. Aber sie weiß eben, dass sie Leute enttäuschen wird, wenn sie die Wahrheit sagt. Das ist ihr großes Problem. Sie leidet auch darunter und es ist für sie ein langer Weg, bis sie sich wirklich annehmen kann. Deswegen verprügelt sie den einen Jungen aus ihrer Klasse, als der ihr die Wahrheit sagt. So ist das auch im wahren Leben. Viele fühlen sich einfach schlecht in ihrer Haut und stehen nicht dazu. Manche sind dann regelrecht homophob, bis sie akzeptiert haben, wer sie wirklich sind. Diese Leute haben es richtig schwer. Und so eben auch Fatima. Sie mag sich selbst nicht wirklich, weil sie es nicht akzeptieren kann.

Glaubst du, dass ein Film wie deiner anderen dabei helfen kann, sich selbst zu akzeptieren?

Auf jeden Fall. Das war ja auch das Ziel von „Die jüngste Tochter“. Ich wusste, dass das kein leichtes Thema ist und dass ich auch Probleme haben würde. Aber mir war es wichtig, dass ich mit meinem Film eine Art Aussage habe und eine Diskussion anstoße. Es gab auch viele Zuschauerinnen, die sich bei mir bedankt haben, auch Eltern. Ich hoffe, dass mein Film Menschen, die in einer ähnlichen Situation sind, helfen kann und vielleicht auch versöhnen kann. Unsere Hauptdarstellerin Nadia Melliti hat vor Kurzem eine sehr schöne Geschichte erzählt. Nach einer Vorführung in Montreal kam eine junge verschleierte Muslimin zu ihr und ihr gesagt, dass der Trailer zum Film sie dazu bewogen hat, sich vor ihrer Familie zu outen.

Der Roman ist bereits einige Jahre alt. Daas schilderte darin zudem Erfahrungen, die schon eine Weile zurückliegen. Die Geschichte eures Films ist entsprechend etwas älter. Hast du das Gefühl, dass sich seither etwas getan ist oder ist die Situation wie damals?

Es hat sich schon ein wenig verbessert seit damals. Das Grundproblem der Homophobie und Intoleranz bleibt. Vor allem in sozialen Medien siehst du, wie Menschen unter falschen Namen den Film angreifen und beschimpfen. Aber es gibt auch immer Leute, die ihn sofort verteidigen. Das freut mich dann immer. Ähnliches ist bei Vorführungen passiert, dass Menschen im Vorfeld dagegen gewettert haben, woraufhin andere sofort das Wort ergriffen haben. Deswegen hoffe ich schon, dass der Film ein kleiner Lichtstrahl ist, der den Leuten hilft, zu sich zu stehen.

Dann kommen wir noch kurz zur Besetzung, Wonach hast du bei der Hauptfigur gesucht? Warum ist es am Ende Nadia geworden?

Mir war von vorneherein klar, dass es schwierig sein würde, die richtige Darstellerin zu finden. Ich hatte keine sehr präzisen Vorstellungen und wollte mich auch nicht beeinflussen lassen. Beispielsweise war es mit egal, ob die Schauspielerin der Autorin irgendwie ähnlich sieht. Wichtig war mir nur, dass diese Darstellerin aus dem Maghreb kommt. Außerdem sollte es ein neues Gesicht sein. Ansonsten war das Aussehen egal. Meine Casting Direktorin ist vor die Schulen gegangen, ist auf die Straßen gegangen und hat dort junge Frauen angesprochen und fotografiert. Als ich Nadia das erste Mal auf einem Foto gesehen habe, fand ich sie sofort spannend. Als ich sie dann das erste Mal live gesehen habe, wusste ich sofort, dass sie die Richtige ist. Das hatte ich im Gefühl, obwohl ich sie da noch gar nicht hatte spielen sehen.

Vielen Dank für das Interview!



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