
Kollektivbetriebe sind keine neue Erfindung. Weltweit gibt es seit Langem Beispiele dafür, dass Unternehmen in Selbstverwaltung durch ihre Beschäftigten erfolgreich funktionieren können. Auch Mario Burbachs Dokumentarfilm Ohne Chefs – Demokratie bei der Arbeit greift dieses Phänomen auf – allerdings weniger als globales Konzept, sondern als deutsche Gegenbewegung zum kapitalistischen Normalbetrieb. Burbach porträtiert vier Betriebe, die versuchen, kollektive Arbeitsstrukturen im Alltag zu leben, und stellt sie als Antwort auf die Entfremdung der Lohnarbeit dar – eine berechtigte, aber filmisch nur bedingt eingelöste Prämisse. Denn sein Film bestätigt eher, als dass er hinterfragt. Zwar deuten einzelne Stimmen auch auf die Schwierigkeiten hin, die Mitbestimmung und geteilte Verantwortung mit sich bringen, insgesamt bleibt die Darstellung jedoch erstaunlich unkritisch. Das Werk scheint für eine klar umrissene Zielgruppe konzipiert – und genau das begrenzt seine Wirkung.
Kollektiver Idealismus
Im Zentrum stehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – zugleich Miteigentümer – der Hamburger Kaffeerösterei Quijote, des Berliner Cafés Radikalecker, des Lübecker Hostels Schicksaal sowie des Dresdner Zickzack-Kollektivs, das Limonaden produziert. Nach kurzen Einführungen stellt Burbach die jeweiligen Arbeitsabläufe vor. Diese unterscheiden sich von Branche zu Branche, doch ein verbindendes Element zieht sich durch alle Betriebe: das wöchentliche Plenum, in dem sämtliche Entscheidungen gemeinsam getroffen werden. Auffällig ist dabei der Idealismus, mit dem alle Beteiligten ihr Tun beschreiben – fast liebevoll sprechen sie über ihre Arbeit. Das wirkt sympathisch, doch der Enthusiasmus stößt im marktwirtschaftlichen Umfeld schnell an seine Grenzen. So sah man sich im Hostel Schicksaal gezwungen, die Preise zu erhöhen und sich auf Buchungsplattformen listen zu lassen – eine pragmatische, aber ungeliebte Anpassung an die Realität.
Auch der Umgang mit Geld und Bezahlung unterscheidet sich erheblich. Während im Schicksaal maximal der gesetzliche Mindestlohn gezahlt wird, orientiert sich die Entlohnung bei Quijote am Hamburger Durchschnittslohn im Dienstleistungs- und Produktionssektor, der bei rund 5400 Euro brutto liegt. Gerade hier, im Spannungsfeld zwischen Ideal und ökonomischer Notwendigkeit, hätte der Film kritischer nachfragen können. Stattdessen konzentriert sich Ohne Chefs – Demokratie bei der Arbeit auf die Vernetzung kollektiver Betriebe in Deutschland – und offenbart damit seine eigentliche Absicht: Er will nicht nur informieren, sondern auch motivieren. Der Film möchte die Idee der Kollektivbetriebe verbreiten und zugleich bestehende Initiativen enger miteinander verknüpfen.
Mehr Image- als Dokumentarfilm
Diese Mission ist ehrenwert, doch sie prägt den Film allzu deutlich. Immer wieder wirkt Ohne Chefs – Demokratie bei der Arbeit wie ein Imagefilm. Die Establishing Shots, die die Städte der vorgestellten Betriebe einführen, zeigen die bekannten Sehenswürdigkeiten – als wolle man jedem Zuschauer versichern, wo er sich befindet. Unterlegt sind sie mit harmloser Musik, deren Belanglosigkeit in merkwürdigem Widerspruch zum kapitalismuskritischen Anspruch des Projekts steht. Hinzu kommen Sequenzen, etwa gleich zu Beginn zur Einführung ins Thema oder später zur Geschichte der Kollektive, die eher an eine PowerPoint-Präsentation als an filmische Gestaltung erinnern. Ob diese Form die intendierte Zielgruppe tatsächlich erreicht, darf bezweifelt werden. Spätestens wenn am Ende der Experte Rupay Dahm von der Plattform Kollektivberatung.de Ratschläge zur Gründung eigener Betriebe gibt, hat der Film endgültig den Charakter eines Werbefilms angenommen.
Das ist bedauerlich, denn das Thema selbst ist hochinteressant und hätte eine analytischere Herangehensweise verdient. Kollektivbetriebe als Alternative zur klassischen Lohnarbeit eröffnen Perspektiven, die weit über eine links-alternative Nische hinausreichen könnten. So bleibt Burbachs Film zwar als sympathische Motivationshilfe für bestehende oder angehende Kollektive von Wert, verfehlt jedoch die Tiefe, die nötig wäre, um ein breiteres Publikum anzusprechen. Die fehlende kritische Distanz und die Tendenz zur Idealisierung nehmen ihm jene Ambivalenz, die ein gutes Gesellschaftsdokument auszeichnet.
OT: „Ohne Chefs – Demokratie bei der Arbeit“
Land: Deutschland
Jahr: 2025
Regie: Mario Burbach
Kamera: Isabel Zalami, Mario Burbach, Max Knoop
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