
„Es gibt nur zwei Genies in der Malerei: Velázquez und ich“. Mit diesem Spruch hat der Surrealist Salvador Dalí in einem Anflug von Größenwahn sicherlich übertrieben. Allerdings bringt das Zitat in schönster Klarheit die Verbeugung des Nachgeborenen vor dem spanischen Hofmaler Diego Velázquez (1599 bis 1660) zum Ausdruck, der heute als Ahnherr und Mitbegründer der modernen Malerei gilt. Nicht nur Dalí, sondern auch Francisco de Goya, Francis Bacon und Pablo Picasso verehrten den Barockkünstler wegen seiner Innovationen. Édouard Manet nannte ihn gar den „Maler aller Maler“. Und doch gilt Velázquez in der breiten Öffentlichkeit nicht als einer der ganz Großen. Woher dieses Paradox rührt, damit beschäftigt sich – neben anderen Themen und Widersprüchen – der französische Produzent Stéphane Sorlat in seinem Dokumentarfilmdebüt. Indem er sich dem Maler indirekt über seine Aktualität auch für gegenwärtige Künstler nähert, schafft er ein dichtes, von vielerlei Erkenntnisinteressen und Querverbindungen durchzogenes Porträt.
Weiter Bogen
Wirbelnde Wolken, die in einen sprudelnden Bach überblendet werden. Zu den Bildern liest Jean-Pierre Belmondo aus dem Off einen poetisch angehauchten Text. „Nach 50 Jahren malte Velázquez keine konkreten Dinge mehr“, heißt es darin. Sondern ließ Formen und Töne ineinander spielen, nahm in der Welt nur noch geheimnisvolle Wechselspiele wahr. Wenig später sehen wir den Schauspieler in der Badewanne liegen, in der Hand ein Buch des Kunsthistorikers Élie Faure, dem es nicht um konkrete Bildbeschreibungen geht, sondern um ein sprachlich virtuoses Einfangen von Seherlebnissen. Die Szene stammt aus Jean-Luc Godards Elf Uhr nachts (1965). Sie zeigt, wie Velázquez nicht nur in der Malerei nachwirkt, sondern auch im Kino, in der Literatur, in der Oper, im Theater und sogar in der Philosophie. Die Eingangssequenz ist damit ein weiteres Beispiel für die Umwege, auf denen sich Stéphane Sorlat dem Barockmaler nähert. Sein Film spannt den Bogen weit: über knapp 400 Jahre, über völlig verschiedene Stilrichtungen und über mehrere Kunstgattungen.
Dennoch gibt es einen chronologisch entwickelten biografischen Kern. Diego Velázquez wuchs in Sevilla auf, zeigt früh künstlerisches Talent und setzte sich bereits mit 17 Jahren über konventionelle Vorgaben hinweg. Er ging bei Francisco Pacheco in die Lehre, verehrte Michelangelo Caravaggio und pflegte einen realistischen, wenig symbolischen Stil, der dennoch mit Überhöhung und Transzendenz arbeitet. Er hatte sich in seiner Heimatstadt bereits einen Namen gemacht, als er mit 22 Jahren nach Madrid ging, um Hofmaler bei König Philipp IV. zu werden. Unter dem Einfluss von Peter Paul Rubens, der für einige Monate in Madrid weilte, unternahm er seine erste italienische Reise, die seiner künstlerischen Entwicklung einen weiteren Schub verlieh. Seine berühmtesten Werke entstanden zehn Jahre vor seinem Tod und weisen erstaunliche Freiheiten gegenüber dem gängigen Barockstil und der damals üblichen Porträtmalerei von der königlichen Familie und anderen Berühmtheiten auf.
Das ist einer von vielen Fäden des filmischen Gewebes. Ein anderer ist deutlich assoziativer: Immer wieder tauchen Motive aus den bekanntesten Werken des Meisters auf. Mal in kleinsten Details, mal als Ausschnitt von einzelnen Figuren, mal in der Totale als vollständiges Gemälde. Die Kamera ist dabei fast immer in Bewegung, tastend, suchend, beinahe hineinkriechend in ihre Objekte, so als sei auch sie beständig dem titelgebenden Geheimnis auf der Spur. Dazu interpretieren zahlreiche Experten in Interviews die Bilder Velázquez‘, untersuchen Einflüsse und die Herausbildung eines eigenen, unverwechselbaren Stils. Insofern entzaubern sie ihren Gegenstand ein Stück weit, leisten kunstgeschichtliche Aufklärung und bieten vor allem dem Laien aufschlussreiche Perspektiven. Gegenläufig dazu bemüht sich die poetische Bildsprache des Films jedoch, die Geheimnisse und Vieldeutigkeiten in den Werken zu bewahren und das Publikum beständig zum Staunen zu verführen.
Wenn das Bild zurückschaut
Vor allem drei Bilder bezeugen den außerordentlichen Rang des Meisters als (Groß)Vater der modernen Malerei: „Venus vor dem Spiegel“, „Las Meninas“ („Die Hoffräulein“) und „Las Hilanderas“ („Die Spinnerinnen“). Sie zeigen einen Künstler, der nicht nur neue Wege in Bildkomposition und Perspektive geht, der sich nicht nur den Ausgestoßenen am Rande der Gesellschaft widmet (Kleinwüchsige, Hofnarren, einfache Spinnerinnen). Sondern der auch modern ist im Sinne von selbstreflexiv. Der sich selbst mit ins Bild nimmt und damit das Rollenbild des Künstlers thematisiert. Der mit Bildern innerhalb der Bilder arbeitet. Und der die Werke auf den Betrachter zurückblicken lässt, am Eindrucksvollsten umgesetzt im Aktbild der Venus, die dem Betrachter den Rücken kehrt, ihn aber zugleich über einen Spiegel anschaut und so seinem Voyeurismus mit selbstbewusster Geste begegnet.
Das alles ist opulent ineinander verflochten, kompakt in dynamische Bilder gepresst und in 91 Minuten dokumentarfilmgerecht verhandelt. Trotzdem führt die Fülle des Materials und der angesprochenen Traditionslinien auch zu einer Überfrachtung. Das Presseheft listet allein 22 Protagonistinnen und Protagonisten auf, von Malern über Professoren, Kuratoren, Galeristen und Filmemachern. Zwar ist es nicht der schlechteste Eindruck, wenn man denkt, man müsste einen Film am besten ein zweites Mal sehen. Aber trotz seiner Informationsfülle und visuellen Schönheit wirkt Das Geheimnis von Velázquez auf die Dauer überambitioniert. Das könnte damit zusammenhängen, dass der Film in Zusammenarbeit mit den Freunden des Louvre und dem Madrider Prado-Museum entstanden ist, als letzter Teil einer Trilogie, die 2016 mit Hieronymus Bosch – Garten der Lüste von José Luis López-Linares begann und 2022 mit L’ombre de Goya von Jean-Claude Carrière fortgesetzt wurde. Der Einwand meint nicht, dass man den Film von Stéphane Sorlat nicht mit Gewinn sehen könnte. Aber manchmal ist weniger eben mehr.
OT: „L’énigme Velázquez“
Land: Frankreich
Jahr: 2025
Regie: Stéphane Sorlat
Drehbuch: Cristina Otero Roth, Stéphane und Nicolas Sorlat
Kamera: Bernabé Bulnes, Mattéo Eustachon, Baptiste Jeuilly, Alfonso Lozano, Augustin Provost, Nicolas Sorlat
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