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When Harmattan Blows

„When Harmattan Blows“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt / Kritik

Die mittlerweile 25-jährige Barbara wurde mit acht Jahren in die Zwangsarbeit verkauft – ein unfassbar grausames Schicksal, das leider tausende ghanaische Mädchen teilen. Trotz der Leiden, die sie erdulden musste, der schweren Arbeit, der Vergewaltigungen seitens älterer Männer, versucht sie, die Hoffnung auf ein halbwegs friedliches, positives Leben nicht aufzugeben. Dabei wurde und wird sie unterstützt vom polnischen Pfarrer Piotr und ihrem großen Bruder Kweku. Doch sobald der Harmattan, ein trockener Wind aus der Sahara, weht, werden auch ihre Erinnerungen wieder aufgewirbelt. Diese Dokumentation im Direct Cinema Stil von Edyta Wróblewska begleitet Barbara behutsam in ihrem derzeitigen Lebensabschnitt, in dem sie einerseits alles für eine gute Zukunft gibt, andererseits ihre Vergangenheit endlich aufarbeiten möchte, indem sie nach vielen Jahren erstmals ihre Eltern besucht, um sie zur Rede zu stellen.

Hoffnung trotz Trauma

Barbara versucht, aus ihren furchtbaren Erfahrungen das Beste zu machen: Sie kommuniziert ruhig, aber bestimmt, sie arbeitet mit Kindern, um zu verhindern, dass ihnen dasselbe passiert wie ihr, und sie stellt sich der psychischen Mammutaufgabe, das Unaussprechliche bei ihren Eltern anzubringen: Ihren Verkauf in die Sklaverei, dem etliche Familien in Ghana nachgehen, teilweise, als wäre es etwas Selbstverständliches, natürlich jedoch geboren aus großer Geldnot heraus. Eventuell ist diese Abwehrhaltung auch eine Form eines Coping Mechanismus‘, denn welche Eltern schicken ihre Kinder gerade auf diese Weise gerne weg, wohlwissend (oder vielleicht auch nur zu einem Bruchteil), was ihnen dort angetan wird?

Barbara geht offen damit um, so offen wie es bei einem traumatisierten Menschen nur geht. When Harmattan Blows fängt hierbei ohne große Effekthascherei, mit nur wenigen, als solche auch formell klar gekennzeichneten Reenactments, ihre Historie, ihren Alltag umfassend, detailliert und unaufgeregt ein, obwohl solch ein dramatisches Schicksal dahintersteckt. Manchmal allerdings etwas zu unaufgeregt, zu strukturell dahinplätschernd, so dass kein wirklicher Flow in den Film kommt; bei dem Thema ist das verständlicherweise aber nicht die Hauptsache. Barbara arbeitet darauf hin, endlich mit ihren Eltern sprechen zu können, wobei die Distanz zwischen ihnen stark spürbar ist. Mehr als das kann sie nicht tun, egal, ob ihre Mutter und ihr Vater ihre Misere verstehen oder nicht – allein dieser Schritt ist ein unheimlich mutiger, der viel Kraft erfordert: Diese Kraft bekommt sie aus ihrem Umfeld, das ebenfalls verständnisvoll eingebunden wird.

In der Ruhe liegt die Kraft

Edyta Wróblewska begleitet in When Harmattan Blows mithilfe der eher statischen, beobachtenden Kinematographie von Marcin Sauter die verschiedenen Tätigkeiten Barbaras, bei ihrem Support für lokale Kinder, bei ihren Gesprächen mit ihrem Bruder und dem Pater, bei den Momenten, in denen sie kurz innehalten muss, da all ihre Erlebnisse wieder hochkommen. Es gibt keinerlei Eingriffe seitens der Regie, kein Overvoice; die 25-jährige Frau ist eindeutig der Mittelpunkt der Geschichte, die abgebildet wird. Aufgrund der hohen Professionalität der Bilder und der enigmatischen Art Barbaras denkt man zeitweise, es wäre gar keine Dokumentation, sondern ein Spielfilm – obwohl das hier Erzählte bittere Realität ist.

Selbst wenn Barbara genau schildert, was ihr wiederfahren ist, ist es aus einer privilegierten europäischen Perspektive äußerst schwer, sich das vor dem inneren Auge vorzustellen. Bevor auch nur eine krassere Szene aus ihrer Vergangenheit dargestellt werden könnte, brechen die visuellen Erinnerungen ab – was eindeutig eine gelungene Entscheidung darstellt, denn allein Worte reichen aus, dass sich alles im Magen umdreht. Was ebenso gelungen ist, ist die Balance zwischen Zweifel und Selbstbewusstsein, aus Trauma und Therapie – weder versucht Barbara, alles zu verdrängen und ihr Leben von toxischer Positivität bestimmen zu lassen, noch verbringt sie allzu viel Zeit mit negativen Reminiszenzen, die bis zum Nervenzusammenbruch führen könnten. Es ist Edyta Wróblewska zu danken, dass sie diese überwältigende, beeindruckende und inspirierende Lebensgeschichte auf die Leinwand bringt.

Credits

OT: „Gdy powieje harmattan“
Land: Polen
Jahr: 2024
Regie: Edyta Wróblewska
Drehbuch: Edyta Wróblewska
Musik: Paweł Bartnik, Olgierd Dokalski
Kamera: Marcin Sauter

Trailer

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When Harmattan Blows
fazit
Allein das unterrepräsentierte Thema der Sklavenarbeit in Ghana unter Kindern, die von ihren eigenen Eltern verkauft werden, und das einfühlsame Einfangen von Barbaras Gefühlswelt sowie Lebensrealität sind Gründe genug, um „When Harmattan Blows“ von Edyta Wróblewska anzusehen. Einige Schwierigkeiten beim Filmerlebnis ergeben sich aus der Strukturierung und dem Pacing dieser Dokumentation, doch insgesamt zeigt sich hier kinematographisch solide Arbeit, die mit einer hoffnungsvollen Note sowie mit der besonders herausstechenden Persönlichkeit von Barbara zurückbleibt.
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