Viet und Nam
© Slazgeber & Co. Medien
Viet und Nam
„Viet und Nam“ // Deutschland-Start: 4. September 2025 (Kino)

Inhalt / Kritik

Im Jahre 2001 ist es zwar nicht verboten, aber gesellschaftlich verpönt und riskant, sich als offen homosexuell zu zeigen, weswegen Viet (Duy Bao Dinh Dao) und Nam (Thanh Hai Pham) aus Scham ihre Intimitäten in die Unterwelt verlagern. 1000 Meter unter der Erde, nackt, erschöpft, voller Ruß, auf pechschwarzer Kohle, die wie Sterne funkelt, tauschen sie sich aus, werden eins, erzählen einander von ihren Träumen. Als Nam jedoch den Wunsch äußert, ins Ausland zu gehen, um dort ein neues Leben zu beginnen, erschüttert dies verständlicherweise die innige Beziehung. Das, was sie noch zusammenhalten wird, ist nicht allein die reine innere Zerrissenheit, die Frage nach dem „Was tun?“. Nam treibt vor allem noch die Suche nach dem verschollenen Leichnam seines Vaters umher, der im Vietnamkrieg gefallen ist; bevor er nicht herausfindet, was damit passiert ist, kann er das Land nicht verlassen, keinen Schlussstrich unter die Geschichte ziehen.

Private Liebe auf funkelnder Kohle

Wohl nicht ganz zufällig wählte Regisseur Truong Minh Quy die Namen Viet und Nam für die beiden jungen Protagonisten in seinem gleichnamigen Drama: Die zwei phonetischen Bestandteile des Landes Vietnam symbolisieren eigentliche historische Unvereinbarkeiten wie den Norden und den Süden, die erst nach einem blutigen Bürgerkrieg, stark beeinflusst von den USA in ihrem Feldzug gegen den Kommunismus, zu einem Land geworden sind; auch die Gegensätze von Heimat und Exil, Vergangenheit und Gegenwart sowie Gesellschaft und Individuum werden hier impliziert – in dieser 2024 produzierten Studie vietnamesischer Traumata und Hoffnungen erforscht Trương Minh Quý diese komplexen Themen anhand zweier Bergarbeiter, die selbst einander in zweisamen Momenten erforschen: körperlich und emotional.

So wenig der Vietnamkrieg ein rein auf das südostasiatische Land isolierter Konflikt war, so sieht sich auch Viet und Nam nicht als alleinstehender, von allen weltlichen Problemen losgelöster Liebesfilm, sondern ist Teil des großen Ganzen einer zunehmend globalisierten Erde – im Jahr 2001 folgte ein gewaltiger Umbruch nach der erstmal nicht eingetretenen Apokalypse durch den Millennium-Bug, als Flugzeuge in das World Trade Center und das Pentagon rasten, wonach der großangelegte Krieg gegen den Terror begann. Gleichzeitig nahm das Internet immer mehr seinen Lauf und sollte die Welt bis heute massiv verändern. Diese Umbrüche und Widersprüche thematisiert Viet und Nam im Kleinen, betrachtet unsere Umwelt als pulsierenden Organismus, in der alles irgendwie zusammenhängt.

Menschen in Vietnam bekommen genauso etwas von politischen Großereignissen mit, wie sie mit ihren eigenen gesellschaftlichen, generationenübergreifenden Traumata umgehen; Queerfeindlichkeit ist bei konservativen Familien und in der Politik dort genauso ein Problem wie hier, Wünsche nach einem besseren Leben begleiten junge Menschen weltweit. Truong Minh Quy schafft es mit diesem Film, inhärent vietnamesische Themen mit allumfassender Menschlichkeit zu verknüpfen und überbrückt damit Entfernungen, die allein durch räumliche Distanz und kulturellen Unterschieden entstehen.

Erinnerungen an Tarkovsky und Wong Kar-Wai

Thematisch gleichzeitig Liebes- und Nachkriegsfilm, gesellschaftliches Drama und äußerst intimes Individualportrait, unterstreicht die mithilfe analogem 16mm aufgenommene Bildsprache die Poesie der Widersprüchlichkeit: Teils dokumentarisch still, musiklos, mit statischen, weiten Aufnahmen der wunderschönen Natur, die gleichzeitig kalt und gesättigt wirkt, aber auch mit klandestinen Kameraeinstellungen am Familientisch, wechseln sich die Stimmung und die Bildkomposition mit kunstvollen, manchmal auch die vierte Wand durchbrechenden Szenen ab, was an Werke der Japanese New Wave erinnert. Generell besitzt Viet und Nam so einige Anleihen an Großmeister des Kinos: Der surreale Naturalismus der Umgebung, die Suche nach einem Sinn im Leben erinnern an Andrej Tarkovsky, die Zärtlichkeit zwischen den beiden Liebenden an Wong Kar-Wai, die meditative Magie zwischen dem Irdischen und dem Jenseits an Apichatpong Weerasethakul.

Anleihen, an denen sich viele Regisseur*innen übernehmen könnten, doch Truong Minh Quy gelingt es in weiten Strecken, diesen hochkomplexen Spagat zu halten. Was die Viewing Experience schmälert, ist das manchmal allzu mäandernde Pacing, gerade im Mittelteil, und die allgemeine Länge des Films; dies könnte man zwar als beabsichtigt interpretieren, da auch Viet sowie Nam drohen, sich auf der Suche nach sich selbst zu verlieren, tut der kohärenten Gestaltung des Films schließlich einfach nicht so gut. Die Identifikation mit den Figuren ist bewusst sehr offen gehalten, geht es hier weniger um persönliche Schicksale als um kollektive Erfahrungen, die von rein vietnamesisch bis hin zum kompletten Globalen Süden rangieren. Ob da also eine weitere Profilschärfung zielführend wäre, ist zu bezweifeln. Truong Minh Quy möchte sichtlich keine Antworten auf Fragen liefern, die sowieso dafür viel zu vielschichtig wären; was bleibt, ist ein bedrückender Baustein in der ewigwährenden Suche nach Identität.

Credits

OT: „Trong lòng dat“
Land: Frankreich, Liechtenstein, Vietnam, Schweiz
Jahr: 2024
Regie: Truong Minh Quy
Drehbuch: Truong Minh Quy
Musik: Vincent Villa
Kamera: Son Doan
Besetzung: Thanh Hai Pham, Duy Bao Dinh Dao, Thi Nga Nguyen, Viet Tung Le

Bilder

Trailer

Kaufen / Streamen

Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.




(Anzeige)

Viet und Nam
fazit
Nach etlichen Werken, die sich eher im dokumentarischen Bereich bewegen, bringt Regisseur Truong Minh Quy mit „Viet und Nam“ ein Drama auf die Leinwand, das sich absichtlich jeglichen Charakterisierungen entzieht. Trotz der unschaffbar anmutenden Mammutaufgabe, Themenkomplexe von Sexualität über Krieg bis zur Verbindung zwischen Leben und Tod, gelingt es ihm über weite Strecken, ein düsteres, aber doch zauberhaftes Bild vom Nachkriegsvietnam zu zeichnen, das besonders in den ruhigsten, intimsten Momenten seine volle Kraft entfaltet.
Leserwertung0 Bewertungen
0
7
von 10