
Das Gedächtnis gehört sicher zu den faszinierendsten Fähigkeiten von Lebewesen, insbesondere von Menschen. Das Vergangene so zu bewahren, dass es teils Jahre später noch präsent ist, als wäre nichts seither geschehen, das ist schon etwas Außergewöhnliches. Zumal wir es meistens ganz unbewusst machen. Wenn wir uns nicht gerade etwas aktiv merken wollen, etwa Namen oder Telefonnummern, haben wir keinen Einfluss darauf, was uns bleibt und in welcher Form es das tut. Das heißt aber nicht, dass unmöglich ist, das Gedächtnis gezielt zu beeinflussen, wie uns der Dokumentarfilm Memory Wars – Elizabeth Loftus und die Macht der Erinnerung vor Augen führt.
Eine Professorin warnt vor falschen Erinnerungen
Wem der Name im Titel nichts sagt: Es handelt sich bei Elizabeth Loftus um eine 80-jährige ehemalige Professorin, die sich ausgiebig mit dem Thema Gedächtnis befasst hat. Ursprünglich interessierte sie sich für Mathematik, bevor sie sich der Psychologie zuwandte. Bekannt ist die US-Amerikanerin aber vor allem als Expertin für die Unzuverlässigkeit des Erinnerns, die in mehreren hundert Gerichtsfällen hinzugezogen wurde. Ihre Grundaussage, die sich dann auch wie ein roter Faden durch Memory Wars – Elizabeth Loftus und die Macht der Erinnerung zieht: Man kann sich nicht auf die Erinnerungen von Menschen verlassen, da sie grundsätzlich unzuverlässig sind, weshalb es keine gute Idee ist, das Urteil von Zeugenaussagen abhängig zu machen.
Dass Erinnerungen trügen können, ist dabei natürlich keine neue Erkenntnis. Die meisten dürften diese Erfahrung selbst schon einmal gemacht haben, etwa wenn zwei Leute eine Situation ganz anders in Erinnerung haben. Dafür gibt es die unterschiedlichsten Gründe, etwa weil die Prioritäten anders sind oder man manches anders empfunden hat, was Auswirkungen auf die Geschichte hat. Memory Wars – Elizabeth Loftus und die Macht der Erinnerung spricht dieses Phänomen an und zeigt an verschiedenen Beispielen, wie unbeständig das Gedächtnis auch ist. Da kann es schon einmal sein, dass sich Erinnerungen verändern, obwohl das Ereignis dasselbe geblieben ist. Ein Beispiel zeigt, wie das bereits nach wenigen Stunden der Fall sein kann. Auch das kontroverse Thema der unterdrückten Erinnerung kommt in dem Zusammenhang zur Sprache.
Stoff zum Grübeln
Der spannendere Aspekt ist jedoch, wie sich eine Erinnerung von außen manipulieren lässt. Auch dafür hat Regisseur Hendrik Löbbert einige Beispiele zusammengetragen, die Loftus in den zahlreichen Interviews mit ihm erzählt hat. So können Suggestivfragen beeinflussen, was das Gedächtnis ausspuckt, quasi in Echtzeit. Geradezu perfide ist, wie bei einer Frage zu einem Verkehrsunfall durch die Wortwahl die Erinnerung an die Bilder sich verändert. Wenn in der Frage etwa ein Stopp-Schild erwähnt wird, erinnern sich die Menschen daran, eines gesehen zu haben, obwohl es überhaupt keines gab. Memory Wars – Elizabeth Loftus und die Macht der Erinnerung hangelt sich auf diese Weise von Fall zu Fall bzw. Experiment zu Experiment, mit mal verblüffendem, mal erschreckendem Ergebnis.
Während der Film in der Hinsicht regelmäßig spannend ist, fällt ein anderer Aspekt etwas ernüchternd aus. So wird Loftus meistens zu Rate gezogen, wenn jemand angeklagt wird und Zeugenaussagen in Zweifel gezogen werden sollen. Das ist nicht ganz billig, die Wissenschaftlerin lässt sich ihre Expertise erwartungsgemäß gut bezahlen. Das führt nicht nur zu einem Ungleichgewicht, wenn das vermögende Leute bevorzugt. Sie arbeitete dadurch gewissermaßen auch für Menschen wie Harvey Weinstein und hilft ihnen, eine Verurteilung zu verhindern oder zumindest das Strafmaß zu verringern. Memory Wars – Elizabeth Loftus und die Macht der Erinnerung spricht da das Dilemma an, als Wissenschaftlerin neutral bleiben zu müssen, gleichzeitig aber auch als Mensch eine moralische Verantwortung zu haben. Leider macht der Film aus dem Stoff aber nicht sehr viel, die Diskussion ist schon vorbei, bevor sie richtig angefangen hat. Da reicht der Platz dann doch nicht aus. Davon abgesehen ist das hier aber eine spannende Angelegenheit, über die man im Anschluss noch etwas grübeln kann und die auch das Bewusstsein dafür schärft, dass manche absolute Wahrheit in unserem Kopf vielleicht doch nur eine Geschichte ist.
OT: „Memory Wars“
Land: Deutschland
Jahr: 2025
Regie: Hendrik Löbbert
Drehbuch: Hendrik Löbbert, Caroline Ektander
Musik: Caroline Kox, Antonio de Luca
Kamera: Hajo Schomerus
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