Hanno Olderdissen ist ein deutscher Regisseur und Drehbuchautor, bekannt für seine Arbeiten im Kinder- und Jugendfilm. Mit Produzent Boris Schönfelder und Drehbuchautor Clemente Fernández-Rill hat er bereits den Film Rock my Heart realisiert. Für Ganzer halber Bruder (Kinostart: 18. September 2025) kehren sie nun gemeinsam zurück. Wir haben uns mit Hanno Olderdissen bei der Premiere beim Filmfest München 2025 getroffen, um über die Entstehung und die Zusammenarbeit zu sprechen.
Hast du beim Ideenprozess von Ganzer halber Bruder von Beginn an mitgewirkt oder wurde dir das Drehbuch angeboten? Und falls Letzteres, was war für dich der ausschlaggebende Punkt, das Projekt umsetzen zu wollen?
Wir hatten in der Konstellation Produzent Boris Schönfelder, Drehbuchautor Clemente Fernández-Rill und ich als Regisseur schon einmal zusammengearbeitet, bei Rock My Heart. Das war mein Kinodebüt und die Zusammenarbeit war großartig. Clemente kenne ich noch aus dem Studium. Danach stand die Frage im Raum: Was machen wir als Nächstes? Clemente kam dann mit dieser Geschichte zu uns, da er selbst einen Sohn mit Down-Syndrom hat, und Boris und ich waren sofort überzeugt. So haben wir angefangen, daran zu arbeiten.
Wichtig war ja auch die authentische Besetzung der Hauptrolle, Nico Randel. Wie verlief der Casting-Prozess?
Der war sehr umfangreich. Meines Wissens gab es in Deutschland noch keine große Hauptrolle im Kino für einen Schauspieler mit Down-Syndrom. Uns war klar, wie viel Verantwortung auf dieser Rolle liegt. Deshalb haben wir mit Caster Sven Harjes gearbeitet, der sich auf inklusive Rollen spezialisiert hat. Er hat über ein Jahr lang in Theatern, Wohngruppen und Werkstätten gesucht. Außerdem gab es viele Initiativbewerbungen per Video. Nico hatte sich mit einem sehr witzigen Video beworben und bereits Erfahrung, er hatte in zwei ZDF-Filmen mitgespielt und spielt Theater. Clemente und ich sind zu ihm nach Hürth gefahren, haben mit ihm gearbeitet und waren sofort beeindruckt von seiner Energie und Spielfreude. Natürlich gab es noch weitere Castingrunden, um Belastbarkeit und Textsicherheit zu testen. Aber am Ende war klar, Nico passte einfach sehr gut.
Gab es für dich in der Regiearbeit mit ihm ganz neue Aspekte, sei es in der Vorbereitung, im Umgang oder in der Kommunikation?
Absolut. Das war in vieler Hinsicht Pionierarbeit. Ich musste mir einiges neu erarbeiten. Enorm geholfen hat uns Schauspielcoachin Anna Garten, die sich extrem in die Arbeit mit Nico eingearbeitet und sehr viel Zeit mit ihm verbracht hat, sowohl in der Vorbereitung als auch am Set. Beim Dreh selbst musste man mehr Zeit einplanen und öfter Pausen machen. Das ist in einer straffen Produktionsrealität nicht immer leicht, aber wir haben es geschafft.
Die Figur Thomas, gespielt von Christoph Maria Herbst, ist moralisch ambivalent, bringt aber auch Humor. War er von Beginn an für die Rolle vorgesehen?
Anfangs hatten wir Thomas etwas jünger gesehen und mit verschiedenen Schauspielern gesprochen. Dann kam Produzent Boris Schönfelder mit Christoph als Idee und wir alle dachten, das würde gut passen. Wir haben ihm dann das Buch geschickt, es gefiel ihm und der Rest ist Geschichte.
Wie hast du die Zusammenarbeit mit ihm erlebt? Musstest du manchmal bewusst gegensteuern, damit es nicht zu komödiantisch wird?
Christoph war großartig. Wahnsinnig professionell, bestens vorbereitet und sehr geduldig im Umgang mit Nico, der am Set einfach mehr Zeit brauchte. Was die Balance betrifft, da hat Christoph selbst sehr darauf geachtet. Er wollte unbedingt, dass Thomas nuanciert bleibt und nicht ins Überzeichnete kippt. Er hat mich da eher gebremst als umgekehrt.
Gab es beim Dreh Szenen oder Momente, die dich persönlich besonders berührt haben?
Ganz viele. Nico hatte ein unglaubliches Gespür für die Stimmung am Set, wenn es mal angespannt war, hat er jemanden umarmt oder einen Witz gemacht. Das war wichtig für alle. Ein Moment, der mir besonders bleibt, war, als wir eine Cabrio-Szene mit den beiden Brüdern hatten. Vorher durfte Nico mit dem Fahrer eine Runde über die Kartbahn drehen. Dabei hat er laut Sunny gesungen, wie es im Drehbuch stand. Diese pure Lebensfreude war einfach berührend.
Mit welchem Gefühl sollten die Zuschauer den Kinosaal verlassen?
Ich wünsche mir, dass sie gut unterhalten und berührt herauskommen. Und dass sie vielleicht noch stärker verstehen, wie wichtig es ist, Menschen wie Nico einen Platz in der Mitte unserer Gesellschaft zu geben.
In den USA werden Filme mit inklusiven Inhalten oft vorschnell als „woke“ abgetan, teils negativ konnotiert. Spürst du diesen Trend auch in Deutschland?
In der deutschen Förderlandschaft sehe ich diesen Anti-Woke-Trend nicht. Im Gegenteil, die Statuten sind stark auf Diversität ausgerichtet. Aber wir hatten trotz der persönlichen Nähe von Clemente zu diesem Stoff durchaus Schwierigkeiten, Fördergelder zu bekommen. Eine Institution hat uns sogar abgesagt mit der Begründung, wir würden uns über Behinderte lustig machen, was bei diesem Projekt absurd war. Das war schon ein Schlag ins Gesicht.
Merkst du beim Publikum ähnliche Vorbehalte?
Nein, da habe ich ein anderes Gefühl. Filme mit inklusiven Themen laufen in Europa immer wieder sehr erfolgreich wie zuletzt Was ist schon normal? in Frankreich oder The Peanut Butter Falcon. Das Publikum nimmt diese Filme an, oft sogar begeistert. Wir hoffen, dass Ganzer halber Bruder in Deutschland Ähnliches schafft.
Kannst du schon etwas über zukünftige Projekte verraten?
Solche Filme sind absolute Herzensprojekte, die dauern lange. Bei Ganzer halber Bruder waren es sieben Jahre, beim ersten Film mit Clemente, Rock my Heart, neun Jahre. Ich hoffe, beim nächsten werden es vielleicht nur fünf. Daneben mache ich wie viele Kolleginnen Auftragsarbeiten, populäres Kino, Family Entertainment, auch düstere Stoffe. Da bin ich offen, es hängt immer von der Geschichte ab. Clemente, Boris und ich denken gerade über neuen Stoff nach, aber mehr verrate ich noch nicht.
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