
Gaucho Gaucho ist ein Dokumentarfilm von Michael Dweck und Gregory Kershaw, die bereits bei The Truffle Hunters eine große Menge Lob vor allem für ihre Kinematographie einheimsen konnten. Hier sieht es nicht anders aus: In machetescharfem Schwarz-Weiß porträtieren die beiden US-Amerikaner eine kleine Community an Gauchos, den traditionellen Viehtreibern in Argentinien; allen voran die 16-jährige Guada, die trotz der Männerdominanz in diesem Beruf eine Gaucha werden möchte, den fünfjährige Jony, der einfühlsam von seinem Vater ins Handwerk eingelernt wird, und den alten Lelo mit dem Rauschebart, der trotz seines gebrechlichen Zustands den Fuß nicht vom Gaspedal des Lebens nehmen möchte. Im Mittelpunkt aller Protagonist*innen steht die Beibehaltung der jahrhundertealten Lebensweise.
Im Einklang mit der Natur und mit sich selbst
Pferde und Rinder, langsam herunterkommende Gemäuer, der Kontrast zur „modernen“ Welt, gefährliche Kondore, gesellige Rodeos, die Einsamkeit der weitläufigen Berge und Grasflächen – das Leben als Gaucho in Argentinien mag vielleicht entbehrlich sein, aber ganz sicher nicht langweilig. Vor allem in der Natur liegt in dieser Dokumentation die Schönheit, in den sorgfältig durchkomponierten Weitwinkelaufnahmen, in den zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb dieser kleinen Community im Örtchen San Carlos, die sich und ihre Reittiere gegenseitig auf bzw. im Trab hält und in regelmäßigen Rodeos feierlich zusammenfindet, kommentiert vom charismatischen Santito, der sowohl Radiomoderator als auch Rodeoanimateur ist.
Gaucho Gaucho erklärt nicht viel, sondern zeigt im Direct Cinema Stil, der im Bereich des kunstvollen Films genau am Puls der Zeit liegt, zahlreiche Szenen aus dem Alltag dieser teils indigenen, teils hispanischen Bevölkerung. Diese Melange zeigt sich auch in den kulturellen Traditionen: Ihr Glaube besteht prädominant aus katholizistischem Symbolismus mit Anleihen aus generationenaltem Animismus. Ihr Umgang mit der Natur, mit den Mitmenschen, ist von Sänfte geprägt, immer den Kreislauf des Lebens ehrend, verbunden mit der Fauna und Flora, für die sie verantwortlich sind. Dies wird vor allem in Szenen mit sterbenden Kälbern, die von Kondoren gerissen werden, sowie in der Weitergabe der Traditionen an die jüngere Altersgruppe dargestellt, in denen es nur vor Empathie sprüht. Dabei gibt es keine Vorurteile oder andere Ressentiments: Egal ob noch Kleinkind oder Teenagerin, die Älteren sind immer stolz auf die Entscheidungen ihrer Kinder.
Monumentale Bildsprache in Schwarz-Weiß
Neben der humanitären Harmonie werden natürlich auch Schattenseiten angeschnitten: Ja, es gibt Alkoholismus, ja, das Gauchotum ist immer noch maskulin geprägt, ja, auch Armut und körperliche Gebrechen grassieren in der Mitte der Gemeinschaft, auch werden Gauchos sowie Gauchas in der argentinischen Öffentlichkeit teilweise diskriminiert. Jedoch soll dies niemals der Fokus von Gaucho Gaucho sein, denn in erster Linie ist diese Dokumentation ein Feel-Good-Film. Das durchgehende Schwarz-Weiß drückt keine Melancholie oder irgendeinen grungy Retro-Vibe aus, sondern setzt die malerische Umgebung so warm es eben entsättigt geht in Szene; jeder Shot wirkt fast schon gestellt, teilweise vergisst man, dass es sich hier um einen non-fiktionalen Film handelt. Im Raum steht, dass etliche Szenen gescriptet sein könnten, zudem könnte man kritisieren, dass das Werk von Dweck und Kershaw in seiner Materie nicht tief genug gehe.
Doch warum gibt es diese Ansprüche überhaupt? Warum will ein (hierzulande mehrheitlich weißes, mitteleuropäisches) Publikum, dass eine ihnen fremde Lebensweise in bester Othering-Manier auch noch einen willkürlich auferlegten Bildungsauftrag erfüllt? Nein, auch die Gauchos haben es verdient, einfach mal einen schönen, nicht belastenden Film zu erhalten, der all ihre positiven Eigenschaften als auch ein paar ihrer Laster porträtiert, die nicht bereut, sondern zelebriert, mindestens jedoch akzeptiert werden. Wird von einem US-Western erwartet, alle Schattenseiten des Lebens im Wilden Westen zu beleuchten? Nein, und so sollte es auch bei diesem Film nicht sein, der nicht in jeder Ecke der Ortschaft schnüffeln möchte, nicht jede Familie bloßstellen möchte, sondern sich auf das fokussiert, was schließlich wichtig ist und im aktuellen Zeitgeist viel zu wenig Beachtung findet: die Idylle in einer sich rapide selbstzersetzenden Welt, das Ästhetische im Ordinären, das Großartige in den Kleinigkeiten.
OT: „Gaucho Gaucho“
Land: Argentinien, USA
Jahr: 2024
Regie: Michael Dweck, Gregory Kershaw
Drehbuch: Michael Dweck, Gregory Kershaw
Kamera: Michael Dweck, Gregory Kershaw
Mitwirkende: Guada Gonza, Taty Gonza, Jony Ávalos, Solano Ávalos
Sundance 2024
Locarno 2024
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