Ganzer halber Bruder
Christoph Maria Herbst in "Ganzer halber Bruder" (© 2025 Neue Schönhauser / Wild Bunch Germany)

Christoph Maria Herbst [Interview 2025]

Christoph Maria Herbst wurde 1966 in Wuppertal geboren und ist ein deutscher Schauspieler, Synchronsprecher und Autor. Bekannt wurde er vor allem durch seine Rolle als pedantischer Bürokrat Bernd Stromberg in der gleichnamigen Serie Stromberg, die ihn zum Aushängeschild des deutschen Comedyfernsehens machte. In Hanno Olderdissens neuestem Film Ganzer halber Bruder (Kinostart: 18. September 2025) übernimmt Christoph Maria Herbst die Hauptrolle an der Seite seines Schauspielkollegen Nico Randel, der mit Trisomie 21 lebt. Wir haben uns mit ihm bei der Premiere beim Filmfest München 2025 getroffen, um über die Erfahrungen am Set und den Schaffensprozess von Ganzer halber Bruder zu berichten.

Wie hast du vom Projekt Ganzer halber Bruder erfahren und warst du sofort Feuer und Flamme, als dir die Rolle des Thomas angeboten wurde?

Ich war ziemlich schnell Feuer und Flamme. Diese erste Drehbuchfassung, die ich bekommen habe, fand ich schon ziemlich auf den Punkt. Und bekanntermaßen sind die drei wichtigsten Dinge bei einem Film ja ein gutes Buch, ein gutes Buch, ein gutes Buch. Das war hier tatsächlich gegeben. Die Vorstellung, diese Figur des Thomas Bellmann zu spielen, war für mich eine neue Erfahrung. Weil ich so etwas in der Art noch nicht gespielt hatte. Eine Figur, die innerhalb einer Geschichte quasi von Saulus zu Paulus wird, wo man aber merkt, da schlägt doch ein Herz in der Brust. Sowas habe ich vielleicht schon mal in Ansätzen gespielt, aber nicht so wie bei dieser Figur. Und auch nicht in der Konstellation mit jemandem, der eine Beeinträchtigung hat. Das fand ich spannend. Da war meine Neugier sofort getriggert. Mich dieser Challenge zu stellen, mit jemandem zu arbeiten, der nicht Vollprofi ist, der nicht wahnsinnig viel Dreherfahrung hat und diese Behinderung mitbringt, das wollte ich erleben.

Wie du bereits erwähnt hast, spielst du an der Seite von Nico Randel, einem Schauspielkollegen mit Trisomie 21. Wie hast du die Zusammenarbeit erlebt? Gab es Momente, die deinen kreativen Prozess besonders beeinflusst haben?

Ein Kollege hat mich gefragt, ob ich Nico nicht ganz oft hätte helfen müssen am Set. Ich glaube, andersrum wird ein Schuh draus. Ich habe eine Menge von ihm gelernt. Er ist sehr impulsgesteuert in der Arbeit. Schrankenlos, ohne Filter. Das hat mir Spaß gemacht zu sehen, wie er an die Rolle, an die Situationen, an die Drehtage herangeht. Da konnte ich mir oft echt eine Scheibe abschneiden. Ich habe gedacht: Genau, man muss wieder dahin kommen, mit so einem großen, eher naiven Kinderaugenblick auf die Welt zu schauen und sich einzulassen. Für mich als Schauspieler ist es wichtig, einen kühlen Kopf und ein warmes Herz zu haben. Nico war ausschließlich Herz. Er war eine richtige Zentralheizung während der Dreharbeit.

Als Thomas spielst du einen Charakter mit moralischen Ambivalenzen, gleichzeitig blitzt auch dein typischer, bissiger Humor auf. Wie viel kreative Freiheit hattest du, der Figur deinen Stempel aufzudrücken?

Clemente, der Drehbuchautor, hat die Rolle nicht auf mich zugeschnitten. Das war ein ganz normaler Castingprozess. Einen kreativen Prozess, bei dem ich noch hätte ins Drehbuch eingreifen müssen, gab es nicht. Alles, was da an Bissigkeiten oder Ambivalenzen angelegt war, kam von ihm. Meine Aufgabe war es, mich dieser Figur zu nähern und sie mir als Schauspieler zu eigen zu machen.

Wie schwierig war die Balance zwischen Humor und den ernsten, emotionalen Themen?

Extrem wichtig. Ich mag diese Entwicklung in Deutschland, dass Komödie nicht mehr nur Schenkelklopf-Komödie ist. Dass man nicht aus dem Kino geht und denkt, ich brauche jetzt erstmal eine Dusche, weil es so eklig ist, oder ein Glas Wasser, weil es so trocken war. Sondern, dass es so etwas wie eine Komödie plus ist, eine Dramödie. Früher hat man im Theater von Tragikomödie gesprochen. Marketingabteilungen freuen sich über diesen Begriff sicher nicht, aber ich finde es super, den Film erstmal als Komödie zu promoten. Um die Menschen zum Lachen und Schmunzeln zu bringen und ihnen dann auch Momente zuzumuten, die reinhauen. Mit dem Begriff Tragikomödie lockst du heute niemanden ins Kino. Gerade in einer Zeit, wo alles so eskapistisch sein muss, tut es gut, wenn Kino den Blick öffnet, die Seele und das Herz mal wieder bestückt. In der Arbeit macht das für mich keinen Unterschied. Ich nähere mich komischen Aufgaben nicht anders als tragischen. Ich versuche, die Figur ernst zu nehmen. Natürlich weiß ich als Leser, dass das eine lustige Situation ist, aber ich bediene sie nicht noch extra. Das wäre eins zu viel.

Suchst du gezielt nach Rollen mit Humoranteil oder wärst du auch offen für komplett ernste Figuren?

Klar wäre ich offen. Ich bin ja nicht mein eigenes Besetzungsbüro, das machen andere. Ich habe letztes Jahr Der Buchspazierer gemacht, das war nun wirklich keine Comedy. Diese Rollen finden eher mich. Ich rufe nicht bei Studios an und sage, ich habe ein tolles Buch gelesen, warum machen wir keinen Film draus und den Hauptdarsteller bringe ich gleich mit. Deshalb gibt es für mich auch nicht die eine Rolle oder das eine Genre, das ich unbedingt spielen möchte. Ich halte mich offen und bereit für das, was kommt.

Der Film hat über weite Strecken einen lockeren Ton, wird in der zweiten Hälfte aber zunehmend emotional. Gab es eine Szene, die dich besonders berührt hat?

{Spoilerwarnung} Ja. Die Szenen mit der sterbenden Mutter im Krankenhaus. Diese Ambivalenz, die meine Figur aushalten muss, eine Mutter, mit der er nie etwas zu tun hatte, die er nie gesehen hat, und jetzt soll er entscheiden, die Geräte abzustellen. Das ging ans Eingemachte. Und Nico hat da nochmal alles gegeben. Das ist wirklich stark umgesetzt.

In den USA werden inklusive Projekte schnell als „woke“ abgestempelt. Siehst du dieses Risiko auch in Deutschland, dass das Publikum sich im Vorfeld abschrecken lässt?

Ich hoffe nicht. Wissen werden wir es im September, wenn der Film rauskommt. Und zwar mit gar nicht so wenigen Kopien, wie ich gehört habe. Ich setze da sehr auf die Neugier der Menschen.

Welche Botschaft sollte das Publikum deiner Meinung nach mitnehmen?

Da kann jede und jeder ihre oder seine eigene Botschaft mitnehmen. Spontan würde mir einfallen „Don’t judge a book by its cover“ oder „Blut ist dicker als Wasser“ oder „Familie kann man lernen“. Vor allem, dass man Menschen erstmal eine Chance gibt und nicht gleich die Schublade aufmacht. Dass man Klischees und Vorurteile über Bord wirft und sich mit Neugier auf Menschen einlässt. Das kann schmerzhaft sein, das kann ein Lernprozess sein, aber genau da könnte der Film ein bisschen an die Hand nehmen.

Und Ende des Jahres kehrst du wieder mal als Bernd Stromberg zurück auf die Bühne.

„Wieder mal“ ist gut, nach zehn Jahren. Das klingt, als würde ich jedes Jahr einen Stromberg-Film drehen. (lacht)

Darf man darüber hinaus schon etwas ankündigen? Hast du weitere Projekte oder machst du nach zwei Filmen in diesem Jahr auch einfach mal Urlaub?

Kurz danach kommt noch Die Extrawurst, die wir gerade gedreht haben. Ab September fangen jetzt quasi die Herbstfestspiele an. Man hat natürlich immer die Angst, zu inflationieren, dass die Leute irgendwann sagen: Oh Gott, der schon wieder. Aber ich darf in drei sehr unterschiedlichen Filmen auch sehr unterschiedlich sein und zwar so sehr, dass man fast denkt, es ist ein anderer Schauspieler. Das ist toll. Und für mich auch wichtig, weil ich mich nur dann kurzweilen kann. Wenn ich mich beim Spielen langweile, langweilt sich das Publikum auch. Stromberg wieder zu spielen, irgendwann war die Zeit reif. Zehn Jahre fand ich einen guten Abstand. Und dass der Film nächstes Jahr läuft, wenn ich selbst 60 werde, das war dann auch so ein bisschen mein eigenes Geburtstagsgeschenk an mich.

Vielen Dank für deine Zeit.



(Anzeige)