Boris Schönfelder ist deutscher Produzent und Mitbegründer der Filmproduktionsfirma XYZ. Er hat zahlreiche Kinofilme realisiert und arbeitete bereits in der Vergangenheit mit Regisseur Hanno Olderdissen und Drehbuchautor Clemente Fernández-Rill zusammen. Zum Kinostart von Ganzer halber Bruder am 18. September 2025 gibt er uns Einblicke in den Schaffensprozess und seine Arbeit hinter den Kulissen als Produzent. Wir haben bei der Premiere auf dem Filmfest München 2025 getroffen.
Für viele ist der Beruf des Produzenten sehr abstrakt. Könntest du vielleicht am Beispiel von Ganzer halber Bruder erklären, ab wann genau du in den Schaffensprozess involviert warst und wie dein Arbeitsalltag bei so einem Projekt aussieht?
Das ist unterschiedlich. Jedes Projekt ist anders. Mal ist der Produzent initiativ, kommt mit einer Stoffidee zu Autoren. Mal ist es so, dass Leute zu ihm kommen, ungefragt oder auch gefragt. Hier in dem Fall war es so, dass ich mit einer, wie ich es nenne, Keimzelle zusammenarbeite. Einem Autor und einem Regisseur. Wir drei bilden diese Keimzelle, in der immer wieder Ideen entstehen, die wir dann versuchen auf die Leinwand zu bringen. In dem Fall war das vor ungefähr sieben Jahren. Wir hatten gerade einen Film beendet, der stark auf den Lebenserfahrungen des Regisseurs beruhte. Diesmal hat sich der Drehbuchautor sehr eingebracht, weil er selbst ein Kind mit Down-Syndrom hat und dem filmisch ein Denkmal setzen wollte, sich als mit etwas auseinandersetzen, das er sehr gut kennt. Wir haben uns dann relativ schnell auf die groben Linien dieser Stoffidee geeinigt. Am Autor lag es nicht, dass es sieben Jahre gedauert hat, Clemente hatte relativ zügig ein überzeugendes Konzept und ein Drehbuch. Aber es war in der Finanzierung schwierig. Filmverleiher sind nicht unbedingt die experimentierfreudigsten Menschen in dieser Branche. Es geht oft darum, Anhaltspunkte zu finden, warum ein Film wirtschaftlich erfolgreich werden könnte. Also haben wir versucht, das Projekt so aufzubauen, dass es funktioniert und wir wussten irgendwann, dass das nur was wird, wenn die zweite Hauptrolle ein Star ist, ein Publikumsmagnet. Und so war es dann auch. Als Christoph dabei war, ging die Finanzierung deutlich besser. Auch wenn man sagen muss, Inklusion ist in Deutschland zwar ein großes Bekenntnis, aber dann auch Geld für inklusive Filme, das geht dann doch nicht so leicht. Das war schon eminent schwierig. Auch die Produktionsbedingungen, um einen Mainstream-Kinofilm zu machen, waren in dem Fall nicht besonders toll, wir mussten einfach kämpfen.
Noch einmal kurz zu deiner Arbeit: Du sagst, ihr seid da zu dritt in enger Zusammenarbeit. Aber bist du dann trotzdem in kreative Entscheidungen eingebunden? Überlässt du Regie, Drehbuch oder Casting den jeweiligen Parteien, oder bist du als Produzent als übergeordnete Instanz tätig?
Also, ich würde nicht sagen und empfinde es auch nicht so, dass ich eine Instanz über den Anderen bin. Klar, der Produzent ist immer in einer bewertenden Situation, auch der Vermittler hin zur Finanzierung, also zu dem, was man braucht, um wirklich loslegen zu können. Aber ich empfinde Film als kollaborativen Prozess auf Augenhöhe. Und das erlebe ich mit den beiden auf jeden Fall. Jeder von uns kann mit Recht behaupten, er habe viel zu diesem Film beigetragen, auch kreativ.
Wie war die Zusammenarbeit dann wirklich am Set, beim Dreh direkt? Gab es besondere Herausforderungen?
Ja, klar. Es ging zum Beispiel darum, auszuloten, wie viel man von einem Menschen mit Down-Syndrom in so einem Drehprozess verlangen kann, ohne das Gefühl zu haben, ihn auszubeuten oder zu überbeanspruchen, ihm vielleicht sogar Schaden zuzufügen. Das galt es abzuwägen. Und irgendwann haben wir gemerkt: Innerhalb dieses Spektrums schaffen wir nicht alles. Also mussten wir Dinge streichen wie bei einer Art Mikado-Spiel. Man nimmt ein Stäbchen raus, ohne dass das Ganze zusammenbricht. Damit habe ich mich viel beschäftigt, weil wir Probleme hatten, das Pensum zu schaffen. Und da war ich dann tatsächlich eher allein verantwortlich. Der Autor war gewissermaßen schon ausgeschrieben, er konnte nicht so leicht neue Lösungen finden.
Du hast schon erwähnt, dass Christoph wichtig war für Reichweite und Verkäuflichkeit. In den USA sieht man ja, dass Filme mit gesellschaftlichem oder inklusivem Anspruch schnell als „woke“ abgestempelt werden, und damit oft negativ konnotiert. Das schreckt Studios und Verleiher ab. Spürst du das auch in Deutschland?
Das ist ein ganz großes Thema. Es fällt mir schwer, da in zwei Sätzen zu antworten. Wir wollen Nico sichtbar machen, wir wollen Menschen mit Behinderung sichtbar machen. Das war auch ein hehres Ziel des Autors. Aber wir wollen natürlich auch unterhalten. Wir wollen kein Publikum belehren, wir haben nichts Missionarisches im Sinn. Außer vielleicht, dass man im Film manchmal denkt, wer hier eigentlich nochmal der Mensch mit der Behinderung ist? Uns geht es darum zu zeigen: Es gibt nicht den einen Typus Mensch mit Behinderung. Sondern, wie bei allen anderen, gibt es introvertierte, lustige, intellektuelle, extrovertierte, gröbere Charaktere. Das ist eigentlich das Wichtigste, dass man merkt, es ist normal. In der Branche ist es aber so, die Lippenbekenntnisse sind groß, die Taten kleiner. In den öffentlich-rechtlichen Sendern ist das Thema wichtig, fast Konsens. Aber wenn es um eigenes Geld geht, also wirtschaftlich selbstverantwortlich, dann wird es schwierig.
Wünschst du dir, dass da mehr Mut herrscht, solche Filme zu finanzieren? Oder denkst du, dass Filme wie eurer langfristig etwas bewegen, weil sie das Thema ohne missionarischen Charakter anbieten und dadurch zur Normalisierung beitragen?
Es wäre wünschenswert. Ob es passiert, weiß ich nicht. Wir können nur unseren Teil beitragen. Gesellschaftlich sehe ich es so, es gibt Gründe, warum Menschen so programmatisch geworden sind. Für mich ist es auch okay, wenn man mal übers Ziel hinausschießt. Das hat Gründe, da hat sich Unmut aufgestaut. Ich rege mich darüber nicht auf, weil ich glaube, dass sich das zurechtruckelt. Was unsinnig ist, verschwindet irgendwann, und das Wichtige wird hoffentlich bleiben.
Was nimmst du persönlich für dich aus dem Projekt? Fühlt sich gesellschaftlich relevantes Kino für dich am Ende anders an?
Nee. Wie gesagt, das Missionarische ist nicht mein Ding. Ich glaube an gute Geschichten und diese mochte ich von Anfang an. Ich bin sehr glücklich, wie wir den Film gemacht haben, mit Sorgfalt. In Deutschland gilt oft die Vorstellung, wer publikumszugewandte Filme macht, arbeitet gröber oder oberflächlicher. Aber das stimmt nicht. Auch solche Filme entstehen mit Sorgfalt und Kleinteiligkeit, wie Arthouse-Filme. Ich möchte solche Filme machen, mit Leuten, die dieses Mindset teilen. Das ist uns hier gelungen, und darauf freue ich mich auch bei unserem nächsten Projekt.
Abschließend, ist Ganzer halber Bruder für euch abgeschlossen, oder denkt ihr über eine Fortsetzung nach? Gibt es schon neue Ideen in eurer „Keimzelle“?
Also vom letzten Film bis zu diesem hat es sieben Jahre gedauert. Diesmal soll es kürzer werden. Wir haben schon früh nach etwas Neuem gesucht und sind fündig geworden. Aber wir wissen natürlich nicht, ob Ganzer halber Bruder ein Bombenerfolg wird. Nur dann würde jemand über eine Fortsetzung nachdenken. Das nächste Projekt ist ein anderer Stoff, diesmal von mir.
Also dein nächstes großes Projekt?
Nee, nee. So schnell geht das nicht. Als Produzent habe ich immer mehrere Projekte in der Luft. Es gibt Drehbücher, die schon bei Verleihern und Sendern sind, bei denen der Cast steht und die Finanzierung anläuft. Das nächste gemeinsame Projekt mit Hanno und Clemente ist in der Mache, aber das wird noch ein oder zwei Jahre dauern, bis wir in die Finanzierungsrunde gehen können. Aber nach Ganzer halber Bruder freue ich mich sehr darauf, was uns da erwartet.
Ich mich auch, vielen Dank für deine Zeit.
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