Szenenbild aus Justine Bauers Debütfilm "Milch ins Feuer" (© Bauer Carnicer / Filmperlen)

Justine Bauer [Interview]

Regisseurin Justine Bauer (© Semih Korhan Güner)

„Schreiben hilft, Gefühle zu verarbeiten“. So formuliert es Justine Bauer im Regiekommentar zu ihrem Debütfilm Milch ins Feuer. Mit Worten umgehen kann sie so erfolgreich, dass es beinahe ihr einziger Karriereweg geworden wäre. Aber dann entschied sie sich zusätzlich auch für den Film. Zum Glück. Denn Milch ins Feuer ist eine sehr eigenständige und stilbewusste Abschlussarbeit an der Kunsthochschule für Medien (KHM) Köln geworden, kaum zu vergleichen mit anderen Filmen über die Landwirtschaft. Vieles ist darin enthalten: die Solidarität der Frauen, die Feier des Sommers, das Heranwachsen unter überkommenen patriarchalen Regeln, der Stolz auf die Selbstbestimmung landwirtschaftlicher Arbeit, aber auch das Bauernsterben.

Erzählt wird von Katinka (Karolin Nothacker), ihrer Mutter Marlies (Johanna Wokalek) und Oma Emma (Lore Bauer) sowie von den Schwestern Emma (Anne Nothacker) und Emilie (Sara Nothacker) und Katinkas schwangerer Freundin Anna (Pauline Bullinger). Katinka möchte gern einmal den Hof übernehmen, aber dieses Recht steht ihrem Bruder Adrian (Johannes Nothacker) zu, der Anna geschwängert hat. Somit könnte Anna zur zukünftigen Bäuerin auf dem Milchvieh-Betrieb werden, aber sie will das Kind nicht behalten und denkt zudem mehr über Kastration als über Männer nach. Zum Kinostart am 7. August 2025 sprachen wir mit Justine Bauer über Laiendarstellerinnen, die Bedeutung von Mundart und eine poetische Bildsprache, die den Fokus weniger auf die Landschaft als auf Menschen und Tiere legt.

Sie sind auf einer Straußenfarm im Hohenlohischen aufgewachsen, also selbst Tochter von Landwirten. Was bedeutet Ihnen das Landleben heute?

Meine ganze Familie lebt dort und ich denke, dass ich längerfristig wieder aufs Land ziehen werde. Das Stadtleben in Köln bedeutet, dass ich dort studieren konnte und jetzt alle die Dinge tun kann, die man braucht, um im Filmbetrieb anzukommen. Ich vermute, dass meine nächsten Filme auch vom Land handeln werden. Das ist die Thematik, die mich interessiert. Ich finde übrigens, dass auf dem Land mehr passiert als in der Stadt.

Diese These habe ich noch nie gehört. Wie meinen Sie das?

Es passieren kleine Sachen, vor allem wenn man viel mit Tieren zu tun hat. Da ist immer irgendetwas los. Man kann nicht so gut planen und muss sich auf das Unvorhersehbare einlassen. In der Stadt ist alles durchgetaktet.

Sie schreiben im Regiekommentar, dass Sie sich erstmal dagegen sträubten, einen Film über das Landleben zu drehen. Warum haben Sie es dann doch gemacht?

Ich habe mich gesträubt, weil es so viele Vorurteile über das Leben in der Landwirtschaft gibt. Gleichzeitig war das der Grund, dass ich mich letztlich doch dafür entschieden habe. Ich wollte zeigen, dass es spannende Frauen auf dem Land gibt und dass sie eine Realität leben, die erzählt werden sollte. Meine ganze Familie kommt aus der Landwirtschaft. Bäuerinnen wie meine Mutter und meine Oma finden im Film praktisch nicht statt, oder zumindest nicht so, dass man sie glaubwürdig findet. Mir war es wichtig, solche Frauen einmal authentisch zu zeigen. Bei Festivalvorführungen im In- und Ausland habe ich gemerkt, dass sich weltweit Leute durch den Film vertreten fühlen. Die Städter allerdings weniger. Aber für sie habe ich den Film nicht gemacht, sondern dafür, dass sich Menschen auf dem Land mit den Figuren identifizieren können.

Die Bildsprache des Films ist etwas ganz Besonderes und Eigenständiges. Sie entspricht erst einmal nicht den Erwartungen, die man an einen Film über das Landleben hat. Zum Beispiel wird die Landschaft nicht in ihrer ganzen Fülle und Breite gefeiert, sondern eher im poetischen Detail. Wie haben Sie diese Bilder kreiert? Hatten Sie sie schon beim Schreiben des Drehbuchs im Kopf?

Beim Schreiben dachte ich, dass man den Himmel nicht sehen soll. Beim Drehen war das aber schwierig umzusetzen und dann auch nicht mehr so entscheidend. Uns war wichtig, dass man durch das schmale 4:3-Bildformat nahe bei den Menschen ist. Zwar ist die Natur im Hohenlohischen besonders schön, aber wir wollten nicht suggerieren, dass es auf dem Land idyllisch ist. Man sieht auch den Hof nicht. Trotz der Verankerung an einem konkreten Ort und trotz des hohenlohischen Dialekts sollte es eine universelle Geschichte sein, die man nicht an bestimmten Häusern und Baustilen festmacht. Wir wollten bei den Figuren und den Tieren sein und nicht die Landschaft in den Fokus stellen.

Haben Sie für die ausgefeilte Bildsprache vorher Storyboards gezeichnet?

Ja, aber nicht immer. Die Kamera musste oft auch flexibel bleiben und sich den Darstellerinnen anpassen, die überwiegend Laien waren. Wir konnten und wollten sie nicht in ein vorgefertigtes Schema pressen. Das hätte nicht zu der Herangehensweise gepasst, wie wir gedreht haben. Wir haben nicht viel geprobt, sondern die Schauspielerinnen bekamen erst vor dem Take die Beschreibung der Szene, damit sie so natürlich wie möglich agieren konnten. Sie sollten nicht in etwas Geübtes verfallen. In solchen Momenten hat die Kamera einen eher dokumentarischen Stil, in anderen Szenen konnten wir stilistisch ausgefeilter arbeiten.

War das Drehbuch in Dialekt oder auf Hochdeutsch verfasst?

Es war auf Hochdeutsch. Aber die Schauspielerinnen kannten das Drehbuch nicht. Sie wussten zwar im Großen und Ganzen, was passiert. Aber nicht, welche Szene wir an welchem Tag drehen. Dadurch war gewährleistet, dass sie aus dem Moment heraus und im Dialekt die passenden Worte finden.

An manchen Stellen gibt es Musik, die für mein Gefühl einen überraschenden Kontrapunkt zur Szene setzt und manchmal klassisch angehaucht ist. Wie haben Sie mit der Komponistin oder dem Komponisten gearbeitet?

Wir hatten insgesamt ein Budget von lediglich 30 000 Euro. Deshalb konnten wir nicht mit Komponisten arbeiten. Die Musik kannte ich schon. Sie stammt von einer indigenen kanadischen Musikerin, die dieses Album 2013 geschrieben hat. Ich habe die vier Szenen, in denen es Musik gibt, zu Teilen ihrer Aufnahme geschnitten. Sie passt gut zu den Gefühlen, die ich vermitteln wollte, aber auch zu der Szenerie, obwohl es sich um zwei völlig verschiedene Länder und Hintergründe handelt. Eigentlich ist der Bildschnitt auf die Musik hin komponiert, nicht umgekehrt wie sonst üblich.

Stand von Anfang an fest, dass Sie überwiegend mit Laien drehen wollen?

Kurz gab es die Überlegung, ob man es mit Profis machen sollte. Da habe ich ein bisschen gecastet. Aber es gab gar nicht viel Interesse an der Hauptrolle. Man hat gemerkt, dass dies keine Rolle ist, die Agenturen ihren Schauspielerinnen für den ersten Film empfehlen. Weil ich eh‘ im Dialekt drehen wollte, versuchte ich es dann mit einem Laien-Casting vor Ort, über eine Zeitungsanzeige in der Regionalzeitung. Natürlich hätte das schieflaufen können. Aber wir hatten Glück.

Wie kam dann Johanna Wokalek als Profi dazu?

Zuerst habe ich mich nicht getraut, sie zu fragen, weil ich dachte, sie sagt sowieso nein. Aber dann habe ich mir einen Ruck gegeben, sie kontaktiert und ihr das Drehbuch geschickt. Sie mochte es und hat zugesagt. Gerade für die Rolle der Mutter, die Johanna spielt, hatte ich den Eindruck, dass sie mit einem Profi besser besetzt ist. Jüngere Laiendarstellerinnen sind spielerischer, mit ihnen kann man besser zu dem gelangen, was man haben will. Ältere Frauen haben vielleicht schon Volkstheater gespielt und sind nicht mehr so „unschuldig“ in ihrem Spiel. Als ich zum Beispiel die Rolle der Oma gecastet habe, gab es mehrmals ein Vorsprechen, das unnatürlich wirkte. Am Ende habe ich meine eigene Oma genommen.

Wussten Sie, dass sie so gut sein würde?

Ich habe es natürlich gehofft, aber sicher war ich nicht. Beim Dreh hat sie dann die Kamera vergessen und sehr natürlich gespielt.

Auch wenn die Darsteller aus dem Hohenlohischen kommen, so machen sie doch Ausbildungen in nicht-landwirtschaftlichen Berufen. Wie haben Sie das Team auf die Arbeit mit den Tieren und auf dem Feld vorbereitet?

Karolin, die Hauptdarstellerin, kommt von einem Bauernhof, auch wenn sie erst eine Ausbildung zur Mechatronikerin machte und jetzt Tischlerin lernt. Sie konnte Traktor fahren, hatte aber noch nie Ballen gepresst. Das hat ihr der Mann gezeigt, der auch bei meinen Eltern immer Ballen presst. Nur Johanna musste man das Traktorfahren beibringen. Das hat mein Vater übernommen. Er hat sich für den Dreh zwei Wochen frei genommen und auch die ganzen Maschinen verwaltet. Es gab ganz viele ehrenamtliche Helfer, die ich nicht bezahlen konnte, viele aus meiner Familie. Die Kastration des Lamas hat übrigens eine professionelle Tierärztin vorgenommen. Das war ein wenig dramatisch, weil sie die Arbeit am Set nicht kannte und nicht wusste, dass Filmen so langsam vor sich geht, mit Wiederholungen und Einrichtungen der Kamera. Sie wollte ihren Job besonders gut machen und war schon fast fertig, während wir noch an der Totalen bastelten.

Zweimal reitet Karolin Nothacker in der Rolle der Katinka auf einem Ochsen. Musste sie das nicht erst lernen?

Dass sie beim ersten Mal herunterfällt, war nicht geplant. Das war ein Unfall. Aber wir haben es trotzdem im Film gelassen. Insgesamt legten Karolin und ihre Geschwister, die auch im Film die Schwestern spielen, eine unerschrockene Haltung an den Tag. Ich nenne das den landwirtschaftlichen Pragmatismus. Den Job, den man bekommt, versucht man so gut zu erledigen wie möglich.

Noch mal zurück zur Mundart. Von den 35 jungen Frauen, die Sie für die Hauptrolle der Katinka gecastet haben, sprechen nur noch zehn Dialekt. Wollten Sie mit dem Film auch einen Beitrag leisten, diese Mundart zu erhalten? Oder passte sie einfach zu dem, was Sie zeigen wollten?

Es ist mein Mutterdialekt und ich wollte, dass er eine Bühne bekommt. Ich finde schade, dass Dialekte verschwinden. Es braucht nur eine Generation, die ihn nicht spricht, und dann ist alles vergessen. Für mich ist wichtig, dass im Kino nicht immer nur Hochdeutsch gesprochen wird. Zu oft wird auf den Dialekt herabgeschaut. Und zwar genauso, wie man auf Menschen herabschaut, die kein perfektes Deutsch sprechen, weil sie aus dem Ausland kommen und es für sie die zweite oder dritte Sprache ist. Mir ist wichtig, dass man alle Menschen ernst nimmt, die Deutsch sprechen, egal wie. Darüber hinaus trägt der Dialekt im Film auch zur Authentizität bei.

Ein ganz anderes Thema. Ich habe gelesen, dass Sie an einem Roman mit dem Titel Brombeeren mit Wanzenspeichel schreiben. Das klingt ebenfalls nach Landleben. Worum geht es da?

Es hat sich viel geändert. Am Anfang war das so eine ähnliche Geschichte wie Milch ins Feuer. Beides basierte auf einer Kurzgeschichte von mir. Das eine wurde der Film und das andere ist das Romanprojekt. Für mich war das interessant, weil man in beiden Medien völlig unterschiedlich an Figuren und Gedanken und Gefühle herangeht, die man im Film anders ausdrückt als im Roman, wo alles gedacht und geschrieben werden kann. In der Zeit, in der Milch ins Feuer so präsent war, hat sich der Inhalt des Romans sehr gewandelt. Früher war es eine Coming-of-Age-Geschichte. Das ist es heute nicht mehr. Die Handlung dreht sich weiterhin um Schwestern auf dem Land, aber die sind inzwischen Ende 20 und haben andere Themen. Ich denke, dass es für mich immer um Frauen und ums Land gehen wird. Aber es wird sich nicht wiederholen. Das ist bei Stadtgeschichten ja auch nicht der Fall. Ich traue dem Land zu, dass man dort auf genauso viele verschiedene Dinge stößt, die man erzählen kann.

Mir war gar nicht klar, dass Sie das Drehbuch aus einer Kurzgeschichte entwickelt haben.

Die Kurzgeschichte ist 2019 entstanden und war für den „Wortmeldungen“-Literaturpreis nominiert. Damals hätte ich auch in Richtung Literatur gehen können, habe mich aber erst einmal für Film entschieden. Ich dachte, es sei besonders leicht, aus der Kurzgeschichte ein Drehbuch zu entwickeln. Aber das stimmt nicht, weil Gedanken von Figuren so schwer in Bilder umzusetzen sind. Für mich war das ein guter Lernprozess, aber ich würde das nicht noch einmal machen. Die Herangehensweise von Literatur und Film ist doch sehr verschieden. Aber umso mehr freue mich nun, auch bald am Roman weiterzuarbeiten.

Ich finde, die Voiceover, die man am Anfang im Film hat und in der innere Gedanken formuliert werden, passen sehr gut.

Man fragt sich beim Filmemachen, ob man wirklich Voiceover einsetzen soll. Es gilt ja oft als verpönt. Aber manchmal ist es doch schön, weil es poetisch sein kann und weil es schwierig wäre, die Gedanken in Bilder zu übersetzen.

Man kann lesen, dass Ihr nächster Film Die Kälte brennender Fichten heißen soll. Was können Sie darüber sagen?

Es geht um zwei Frauen, eine Tante und ihre Nichte, die in Nordschweden im Winter auf einer Husky-Farm arbeiten. Die beiden sind Deutsche und Touristinnen, die sich an einen sehr abgelegenen und einsamen Ort in der Wildnis begeben. So ähnlich wie die Geschichten von den Leuchtturmwärtern, nur mit zwei Frauen.

Zur Person
Justine Bauer wuchs auf einer Straußenfarm in Deutschland auf. Sie studierte Bildende Kunst an der HGB Leipzig und danach postgradual Spielfilmregie und Drehbuch an der KHM Köln. Ihr mehrfach ausgezeichnetes Romanprojekt Die Brombeeren mit Wanzenspeichel (u.a. Brinkmann- Stipendium der Stadt Köln, Stipendium Literatur der Kunststiftung BW) musste während der Fertigstellung von Milch ins Feuer eine Weile pausieren. Milch ins Feuer ist gleichzeitig Justine Bauers Abschlussfilm an der KHM und ihr Debütfilm. Für ihren zweiten Film Die Kälte brennender Fichten erhält sie aktuell ein Recherchestipendium des Filmbüros NW. Des Weiteren schreibt sie gerade zusammen mit Semih Korhan Güner am – von der Film- und Medienstiftung NRW geförderten – Drehbuch seines Debütfilms.



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