
Allein von der Kunst leben kann Angelika Nain nicht und teilt damit das Schicksal eines Großteils der mehr als 50.000 bildenden Künstlerinnen und Künstler in Deutschland. Davon abgehalten, Kunst zu machen, hat ihre finanziell prekäre Lage Angelika Nain trotzdem nicht. Seit fast 30 Jahren arbeitet sie als Künstlerin, inzwischen in Marlen, einem Ortsteil der baden-württembergischen Stadt Kehl, wo sie mit ihrem Lebensgefährten Jürgen Drafehn die alte Bahnhofswirtschaft erworben und saniert hat. Im ehemaligen Schankraum ist ihr Atelier unterbracht, in dem Gemälde, Objekte und Druckgrafiken entstehen. An der Seite Drafehns ist Nain über die Jahre hinweg nach Afrika gereist und hat auf einem Seenotrettungsschiff im Mittelmeer mitgeholfen. Zudem ist sie seit vielen Jahren in der Flüchtlingshilfe aktiv. All diese Erfahrungen schlagen sich in ihrer Kunst nieder, die sich unter anderem mit Kolonialismus und Postkolonialismus auseinandersetzt.
Mach dein Ding!
„Wenn es nach den Gesetzen des Marktes geht, dann sollte ich diesen Film gar nicht machen“, sagt dessen Regisseur Klaus Peter Karger gleich zu Beginn aus dem Off. Denn Dokumentarfilme über Kunst fänden nur dann Zuschauer, wenn der porträtierte Künstler prominent sei oder wenn es um eine Einrichtung gehe, die eine Marke darstelle, wie der Louvre oder die Uffizien. Das habe ihm ein Kinobetreiber mal so erklärt. Und da ist durchaus etwas dran. Doch zum Glück hält sich Karger nicht an die Marktgesetze, was seinem Publikum einen einmaligen Einblick gewährt.
Angelika Nain, um die sich Kargers Film dreht, ist weder berühmt noch kann sie gut von ihrer Kunst leben. Von Kollegen wie Gerhard Richter, dessen Namensvetter Daniel Richter, Neo Rauch oder Anselm Kiefer, deren Alltag bereits im Kino zu sehen war, könnte Nain kaum weiter entfernt sein und doch sind ihre Lebensverhältnisse näher an der Realität der meisten freischaffenden Künstlerinnen und Künstler. Denn was man angesichts all der imposanten Dokumentarfilme über prominente Künstler allzu gern vergisst: Ausschließlich von der Kunst leben können in Deutschland die wenigsten. Angelika Nain hat in den vergangenen 20 Jahren eigenen Angaben zufolge zwischen 10.000 und 12.000 Euro im Jahr verdient, was sich laut Karger mit den Zahlen des Bundesverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) deckt. Aufgesteckt hat Nain trotzdem nie.
Zwischen Berufung und Nebenberufen
Was die Motivation anbelangt, gleicht der Regisseur den Protagonisten seiner Filme. Denn auch in Karger schlummert eine „treibende Kraft“. Anders lässt es sich nicht erklären, dass der im baden-württembergischen Villingen-Schwenningen lebende Filmemacher seine Ideen ohne Fernsehbeteiligung und Produktionsförderung komplett in Eigenregie umsetzt. Auf diese Weise sind unter anderem Herr Felde und der Wert der Dinge (2011), ein Dokumentarfilm über einen nach Deutschland ausgewanderten Schuhmacher aus Kirgistan, und Die Spaßmacher (2019) über zwei Männer, die seit 30 Jahren in jeder freien Minute als Clowns auf die Bühne treten, entstanden. Diese Filmprojekte waren nicht zuletzt deshalb möglich, weil Karger in der glücklichen Lage gewesen ist, „nie vom Filmemachen direkt leben zu müssen, weil ich im Hauptberuf als Journalist und Redakteur angestellt war“, wie er sagt. Was ebenfalls einigen seiner Protagonisten gleicht.
Auch Angelika Nain, die erst über Umwege in der Kunst gelandet ist, lebt nicht von der Kunst allein. Vor ihrem Studium an der Freien Hochschule für Grafikdesign und Bildende Kunst in Freiburg war sie in einer Klinik als Krankenschwester angestellt. Nach dem Studium und der Konzentration auf die Kunst arbeitete sie nebenberuflich bei einem Pflegedienst sowie als Dozentin an einer Kunstschule. Die Einnahmen aus den Nebenjobs und die Unterstützung durch ihren Lebensgefährten, der eine Festanstellung hatte, ließen Nain genügend Freiraum für ihre Kunst und dafür, mit Materialien und Techniken zu experimentieren.
Kunstwerk und Kunstwert
Was seinen Film anbelangt, wagt Klaus Peter Karger hingegen keine Experimente. Auf einer gegenwärtigen Erzählebene begleitet der Regisseur seine Protagonistin durch ihren Alltag und hält dabei den Entstehungsprozess eines Kunstwerks für eine Ausstellung fest. Dazwischen sind Interviews und Archivaufnahmen montiert. Hierfür kann der Regisseur auch auf das eigene Archiv zurückgreifen, denn er hat vor 20 Jahren schon einmal einen Film über Angelika Nain gedreht, als sie kurz nach dem Studienabschluss noch in einem Gemeinschaftsatelier arbeitete.
Was man Kargers Film neben der Nähe und Unmittelbarkeit zu seiner Protagonistin zugutehalten muss, ist die Tatsache, dass er die prekäre Frage nach der Finanzierung prekärer Lebensverhältnisse, die viele andere Dokumentarfilme über Künstlerleben gern unerwähnt lassen, nicht ausklammert, sondern offen anspricht. Von Angelika Nain kritisch erwähnt wird zudem der Umstand, dass die Teilnahme an Ausstellungen kaum Geld in die Kassen spült. Nebenaspekte wie diese machen Die treibende Kraft zu mehr als nur einem Künstlerinnenporträt. Kargers Film stellt indirekt auch die Frage, wie viel unserer Gesellschaft die Kunst und ihre Künstlerinnen und Künstler wert sein sollten.
OT: „Die treibende Kraft“
Land: Deutschland
Jahr: 2025
Regie: Klaus Peter Karger
Musik: Frank Meyer, Daniel Kamwa
Kamera: Klaus Peter Karger
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