Wilma will mehr
Szenenbild aus Maren-Kea Freeses Tragikomödie „Wilma will mehr“ (© Neue Visionen Filmverleih)

Maren-Kea Freese [Interview]

Die Figuren in Maren-Kea Freeses Spielfilmen sind fast immer unterwegs. Sie streunen durch die Großstadt, lassen sich als Taschendiebe durch die Straßen treiben oder machen sich auf zu neuen Ufern. So wie Wilma (Fritzi Haberlandt), eine einst erfolgreiche Elektrikerin und Maschinistin aus einem Kraftwerk der ehemaligen DDR. Aber die vielen Zertifikate, die die Mittvierzigerin in Wien vorzeigt, gelten dort erst einmal wenig. Kaum einer merkt, welche fachlichen Talente und sozialen Fähigkeiten in der Frau stecken, der man in ihrer ehemaligen Heimat viel zugetraut hat, gerade auch in einem technischen Beruf, der im Westen immer noch als Männersache gilt. Aber Wilma lässt sich in der fremden Stadt nicht unterkriegen, selbst wenn sich die Jobsuche schwierig gestaltet und sie einmal sogar eine Nacht in einem Obdachlosenasyl zubringen muss. Zum Filmstart der Dramödie Wilma will mehr am 31. Juli 2025 sprachen wir mit Regisseurin Maren-Kea Freese über Systemverlust, das Durchhaltevermögen von DDR-Frauen und den Zusammenprall von Lausitzer und Wiener Kultur.

Sie sind in Hannover geboren und in Köln aufgewachsen. Welchen Bezug hatten Sie zur ehemaligen DDR, bevor Sie diesen Film gemacht haben?

Ich lebe seit Mauerzeiten in Berlin und war damals besuchsweise öfter mit Passierschein in Ost-Berlin. Eine Freundin hatte einen Bekannten, der wohnte direkt an der Mauer – nur auf der anderen Seite. Wir brachten ihm Schallplatten, die er gern wollte, hörten zusammen Musik und kauften meist für das Mindestumtausch-Geld im Buchladen am Alexanderplatz ein. Um kurz vor Mitternacht ging‘s dann am Tränenpalast wieder zurück. Und dann war plötzlich alles offen, noch in der Nacht trank ich in Potsdam mit fremden, euphorischen Menschen Sekt bis in den Morgen – ein wilder unvergesslicher Rausch. Danach kam die große Ernüchterung: Der Osten wurde verschachert und zurückgebaut, wenn überhaupt. Nichts wurde übernommen, überdacht – auch von ideellen Werten und interessantem Ideengut (für den Westen). Es gab keinen inspirierender Austausch und Dialog, um Teilhabe und Einigkeit für eine „Demokratie für Alle“ erarbeiten zu können. Kein runder Tisch – eine Beteiligung von Bürgerbewegungen an politischen Entscheidungsprozessen war nicht vorgesehen. Es wurde „abgewickelt“.

Wann hatten Sie erstmals die Idee, den Film in Angriff zu nehmen?

Das reicht bis ins Jahr 2010. In meinen Filmen Zoe und Was ich von ihr weiß standen Frauen, ihr Umgang mit Verlusterfahrungen und die Energien, die sie freisetzen können, im Zentrum. Beim letzten Film meiner Trilogie hat mich neben biografischen, Heimat- und Job-Verlusten die erneute Identitätssuche durch Systemverlust interessiert. Wie gingen Frauen (und Männer) nach der Wende damit um? Da gab es die Internationale Bauausstellung (IBA) zum Strukturwandel der Bergbauregion „Industriekultur der Lausitz“ und ich bin per Fahrrad durch diese Orte der Energie-Region gefahren und habe so das Dorf Plessa entdeckt. Dort gibt es ein stillgelegtes Kraftwerk und ich lernte ehemalige Mitarbeiterinnen kennen, die dort die Industrie-historischen Führungen machten. So traf ich auch die Maschinistin Monika Werner, die diese Führungen mit Witz und einer so großen Liebe und Hingabe zu ihrer früheren Arbeit machte, die mich stark berührte. Immer noch hat sie den Schlüssel zu „ihrem“ Kraftwerk – auch wenn dort inzwischen geplündert wird und alles zerfällt. Ich bekam die Möglichkeit, mit weiteren Industriearbeiterinnen und -Arbeitern aus der Lausitz über ihre existentiellen Erfahrungen in der Nachwendezeit zu sprechen. Es war oft traurig, aber auch enorm kraftvoll, beschämte mich und machte mich wütend – und es gab viele Überschneidungen. Danach spürte ich: Die Geschichte so einer Frau, aus diesem Leben kommend, und ihre Neuorientierung will ich erzählen. Aus dem Material ist dann meine Figur Wilma entstanden. Diese Mischung an Gefühlen hat mich die ganze Zeit begleitet und auch beflügelt.

Stießen Sie bei den Fördergremien und Sendern auch auf die Meinung, dass das Thema DDR inzwischen „durch“ sei?

Durch die besondere, mal andere Frauenfigur aus einer anderen Schicht als üblich, traf es erstmal meist auf Interesse. Dass manches nicht klappte wegen dem Thema DDR, habe ich so explizit nicht gesagt bekommen. Eher, dass es das Thema gerade vorher gegeben hatte oder dass es den Regional-Effekt nicht bedienen kann, der gewünscht ist. Letztendlich machten u.a. die Förderungen und der Sender aus den Lausitzer Regionen mit dem BKM den Film dann möglich, was dann ja auch für die regionalen Effekte passte.

Was fasziniert Sie an den Frauen der Ex-DDR?

Ich kann nur von den Frauen ausgehen, die ich kennengelernt habe. Sie beobachten sehr genau und können gut zwischen den Zeilen lesen, können aber auch sehr direkt sein. Sie lachen und feiern gern und haben einen lebensklugen Pragmatismus. Sie nehmen eher mal den Hammer in die Hand. Sie haben etwas Solidarisches unter Frauen, ihre Mädelsgang ist ihnen wichtig und sie sind nicht übermäßig eitel. Und natürlich: Sie haben keine Angst vor technischen Berufen wie Maschinistin und Kranführerin und stehen „ihre Frau“ in tradierten Männerberufen (im Westen). Ich habe auch mit Frauen gesprochen, um mehr über ihre weiblichen Rollenbilder zu erfahren und ihr Verständnis von Feminismus. Teils konnte ich mit diesen Themen gar nicht landen, was ich bei ihren gelebten Leben interessant fand. Meine Mutter musste noch bei meinem Vater dafür kämpfen, wieder halbtags zu arbeiten – so war das in den 70ern noch im „alten Westen“.

Was hat Sie am meisten überrascht bei Ihren Recherchen?

Die Frauen berichteten mir von den absurdesten Umschulungen, die dann direkt in die Arbeitslosigkeit führten. Das war manchmal ein endloser Sisyphos-Prozess. Trotzdem haben sie immer weiter gemacht und durchgehalten. Das hat mich stark beeindruckt, ja auch immer wieder selbst ermutigt. Natürlich gab es Rückschläge, aber diese Frauen haben nicht aufgegeben – eine Energie und „Steh-auf-Frau“-Mentalität. Interessant fand ich auch, dass es diese Liebe zur „alten Kohle“ gab, aber trotzdem Offenheit für erneuerbare Energien und Umwelt artikuliert wurde. Daraus entstand die Idee, es eben auch als ein „Thema der Energien“ ganzheitlich zu behandeln. Einmal als einen Übergang bei ihr von den fossilen zu den erneuerbaren Energien, aber auch herauszuarbeiten, dass Wilma persönlich durch ihre Erlebnisse und Begegnungen für sich selbst neue Energien aktiviert. Ich fand das einen schönen Entwicklungsbogen. Überrascht hat mich, dass die Männer oft größere Schwierigkeiten hatten, mit dem Jobverlust umzugehen. Die Frauen waren flexibler, auch bei Arbeiten die unter ihrem Ausbildungsniveau waren. „Die Männer schlurften da eher hinterher, wenn überhaupt“, wie es eine auf den Punkt brachte.

Glauben Sie, dass die DDR-Sozialisation diese Frauen in einer besonderen Weise stark und resilient gemacht hat?

Ich kann nur versuchen, aus dem, was ich sehe und höre, meine Schlüsse zu ziehen. Die Selbstverständlichkeit, ja Pflicht, vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu sein, trotz Kind und Familie ganztägig seinen Beruf auszuüben, stärkte sicher eine Fähigkeit des „Multitasking“, aber auch Eigenständigkeit – ein im Leben stehen mit Selbstbewusstsein: So bin ich, nehmt mich so oder lasst es. Die Scheidungsrate war dementsprechend ja auch sehr hoch. Sie waren unabhängig. Aber auch diesen Umbruch und Wechsel mit oder ohne Kind und Mann zu wuppen und in einem neuen Leben und System anzukommen, zeigt schon sehr viel an Zähigkeit und Belastbarkeit.

Sie zeigen den Westen, in diesem Fall Wien, auf eine humorvolle und ironische Weise. Wollten Sie bewusst ein Gegengewicht zu einem vermeintlichen Paradies schaffen?

Ich würde es nicht durchgehend als humorvoll und ironisch beschreiben, da ich versucht habe, Wilmas Entwicklung in Wien zu skizzieren. Aber natürlich: An ein vermeintliches „Paradies im Westen“ haben auch viele meiner Interviewpartnerinnen recht bald nicht mehr geglaubt. Den „Handwerkerstrich“ gibt es in Wien, als Ort, an dem viele Osteuropäer ohne Papiere Arbeit finden können. Dass sich eine Frau dort hinstellt, ist eher selten, aber ein starkes Bild für die Situation an sich, in der Wilma steckt. Auf Wien als Fluchtpunkt für Wilma kam ich durch eine Zeitungsnotiz bei einem Besuch von Wiener Freunden. Darin stand, dass die meisten Arbeitsmigranten im Wien der Nachwendezeit Ostdeutsche waren. Das war eine interessante Spur für meine Geschichte – auch da ich die Stadt seit langem kenne. Denn mir war klar: Wilma muss ihr Dorf Richtung Westen verlassen, um sich „in der Fremde“ reflektieren zu können. Zusätzlich prallen in Wien zwei sehr gegensätzliche Kulturen aufeinander, auch sprachlich. Wilma mit ihrer trockenen, pragmatisch-realistischen Art trifft u.a. auf den blumigen, teils unterschwelligen österreichischen Sprachstil. Ich habe dann in meinen Recherchen ergänzend von Ostdeutschen erfahren, die nach Wien, bzw. Österreich gegangen sind, dass sie dort angenehm finden, dass es nicht diese Ost-West-Schubladen gäbe. Es gehe erstmal darum, seine neue Identität in einem kapitalistischen System zu finden, das reiche völlig. Das traf auf meine grundsätzliche Abneigung, Wilma in eine westdeutsche Stadt zu schicken. Schnell konnte da etwas Angestrengtes von „Ossi kontra Wessi“ entstehen. Auch gibt es in Wien noch viele kleine, alte, auf schöne Weise angestaubte Geschäfte, die von einer anderen Zeit erzählen – ähnlich wie in Ostdeutschland. Das ist etwas, was Wilma an ihre verschwundene Heimat erinnert, was sie mag. Ostdeutsche Wien-Fans bestätigten das. Wichtig war mir jedoch eine feine Ironie, wenn Wilma in Wien in die links angehauchte WG kommt. Wenn sie auf die Feministin und Dozentin Matilde, sowie Max, den Salonkommunisten, trifft, der sich mit Handwerkerjobs, wie Wilma, über Wasser hält. Hier fand ich bei allen Unterschieden aber auch die Ähnlichkeiten von einem linken Paar zu Wilma interessant. Es gibt da Interesse an ihrer sozialistischen Vergangenheit, linke, teils auch naive Statements, vielleicht eine Form von Romantizismus von Max‘ Seite, die auf eine erlebte Ernüchterung von wirklich gescheiterten Träumen bei Wilma prallt. Das Vermissen einer mehr altruistischen Lebensweise gegenüber dem kapitalistischen Konkurrenzverhalten wurde von vielen meiner Interviewpartnerinnen erwähnt.

War Fritzi Haberlandt ihre Wunschkandidatin für die Titelrolle?

Als ich Fritzi Haberlandt im Deutschen Theater sah – in einer völlig anderen Rolle -, spürte ich, dass sie eine sehr interessante Wilma sein könnte und der Figur den notwendigen Eigensinn und Charakter geben würde. Nach wie vor ist es für mich beglückend zu sehen, wie sie Wilma mit Leben füllt.

Zur Person
Maren-Kea Freese wird in Hannover geboren und wächst in Köln auf. Sie studiert Filmwissenschaft, Publizistik und Germanistik an der Freien Universität (FU) Berlin und schließt ihr Studium 1989 mit einem Magister ab. In dieser Zeit beginnt Maren-Kea Freese bereits erste Kurzfilme auf Super 8 und Video zu drehen, die zum Teil mit Preisen ausgezeichnet werden. Parallel hierzu arbeitet sie als Regieassistentin, unter anderem bei Georg Tabori und Rosa von Praunheim. Hinzu kommen ab 1986 Regie- und Redaktionsassistenzen für die Sendereihe „Literatur und Kunst“ beim ZDF. 1990 beginnt sie ein Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) mit dem Schwerpunkt Regie/Drehbuch. Mit Zoe (1999) legt sie 2000 ihren Abschluss- und Debutfilm vor, für den sie den Regieförderpreis der HypoVereinsbank auf dem Münchner Filmfest 1999 gewinnt. Auch ihr zweiter Spielfilm Was ich von ihr weiß (2005/06) läuft auf verschiedenen internationalen Filmfestivals.



(Anzeige)